Wie Linke sich an rechte Milieus anbiedern

Ihre Sprache sprechen

Die Forderung nach offenen Grenzen dem Neoliberalismus zuzuordnen, ist eine gezielte Anbiederung an das rechte Milieu.
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Für viele Linke ist der Neoliberalismus das, was für Christen der Satan ist: eine nur schemenhaft erkennbare, aber allumfassend wirkende Macht des Bösen, die sich besonders gut auf die Kunst der Tarnung und Verführung versteht. Was oberflächlich betrachtet als linke ­Politik erscheinen mag, kann also in Wahrheit ein hinterlistiges Werk teuflischer Kräfte sein. So sagte Oskar Lafontaine im Gespräch mit der Welt im Februar vorigen Jahres, dass »der Ruf nach offenen Grenzen eine zentrale Forderung des Neoliberalismus ist« – eine seitdem von ihm, Sahra Wagenknecht und anderen Linksnationalisten in verschiedenen Varianten unermüdlich wiederholte Parole.

Wie Satan hat auch der Neoliberalismus keine ladungsfähige Anschrift und niemand hat ihn jemals etwas fordern hören. Die ­Unternehmer und ihre Verbände hingegen hört man oft etwas fordern, allerdings nie offene Grenzen. Man wünscht in diesen Kreisen die begrenzte Einwanderung verwertbarer Arbeitskräfte – die aber ist in Deutschland und den meisten anderen Staaten weitgehend zur Zufriedenheit der Unternehmer geregelt.

Die Linkspartei ist angesichts der wohl nicht überwindbaren Reform­unfähigkeit der SPD die neue Sozialdemokratie. Da ist es nicht überraschend, dass sich ihr linksnationalistischer Flügel mit der Hinwendung zu einer »realistischen« Migrationspolitik auf künftige Koalitionen vorbereitet. Ginge es allein darum, wäre diese ­An­passungsleistung kaum der Rede wert, zumal auch die innerparteilichen Gegnerinnen und Gegner Wagenknechts zu migrations­politischen Kompromissen bereit sein dürften, wenn eine Regierungsbeteiligung in Aussicht steht. Doch der Mythos vom nationalstaatsfeindlichen Neoliberalismus ist eine gezielte Anbiederung an das rechte und rechtsextreme Milieu – »ihre Sprache sprechen«, wie Wagenknecht auf dem Parteitag forderte.

»Neoliberalismus« kann für Marktradikalismus oder Wirtschaftsliberalismus stehen, also für Privatisierung, niedrige Unternehmenssteuern und laissez faire für Konzerne. Unabhängig von diesen ökonomischen Kategorien benutzt und zum Subjekt erklärt, ist er jedoch das pseudolinke Pendant zur rechten Wahnidee einer »globalisierten Elite«, die sich der »Umvolkung« und der Zerstörung ­authentischer Kulturen widmet – und erklärt jene, die offene Grenzen befürworten, zu nützlichen Idioten. Von Deutschtum, Leit­kultur und linksversifften Gutmenschen reden die Wagenknechtianer zwar nicht, doch wenn sie die Notwendigkeit der Zuwanderungsbegrenzung mit der härteren Konkurrenz bei der Arbeits- und Wohnungssuche begründen, sprechen sie den Marktteilnehmern eine unterschiedliche Legitimität zu, die dann wie zufällig der geläufigen nationalistischen Einteilung in »wir« und »die Ausländer« gleicht.

Als Wahlkampfstrategie wäre das nur erfolgversprechend, wenn es den zur AfD abgewanderten Wählern und Wählerinnen um ökonomische Belange ginge – was überaus fraglich ist. Politisch ist eine solche Haltung in jedem Fall desaströs. Sie will »Die Linke« und die Linke auf die nationalstaatliche Konkurrenz einschwören, und dies ausgerechnet in jenem Moment, in dem die globale Vernetzung der Produktion – eine Voraussetzung für eine weltweite demokratische Planwirtschaft – in Frage gestellt wird. Die Herausforderung wäre, eine transnationale Politik zu entwickeln, die das Konkurrenzverhältnis kritisiert und attackiert. Dazu sind allerdings auch die innerparteilichen Gegnerinnen und Gegner Wagenknechts nicht fähig, für die »offene Grenzen« nur ein Mantra ist.