Der Streit um die Aufnahme von Flüchtlingen entzweit die EU-Länder

Legal, illegal, scheißegal

Die Geschichte des von Italien abgewiesenen Flüchtlingsrettungsschiffs »Aquarius« offenbart, wie die EU-Migrationspolitik rechtsstaatliche Prinzipien aushöhlt.

Von Rom über Wien bis Berlin: Künftig soll in der europäischen Grenzsicherung eine »Achse der Willigen« zusammenarbeiten. Diese Formulierung wählte der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem deutschen Innenminister Horst Seehofer, um seinem Wunsch nach einer engeren Abstimmung der drei EU-Länder in Asylfragen Ausdruck zu verleihen.

Das gefiel nicht jedem. Der französische Präsident Emmanuel Macron sagte dazu, er hüte sich vor solchen Formeln, »die uns in der Geschichte niemals Glück gebracht haben«. Italien hatte er zuvor öffentlich gerügt: Als zynisch und unverantwortlich bezeichnete Macron die Regierung des Landes, die sich vor anderthalb Wochen geweigert hatte, das Rettungsschiff »Aquarius« in einem italienischen Hafen anlegen zu lassen. Innenminister Matteo Salvini hatte damit kurz nach Amtsantritt seine Ankündigung wahr gemacht, einen anderen Umgang Italiens mit Migranten einzuleiten. »Sieg! Die 629 Flüchtlinge an Bord der Aquarius sind auf dem Weg nach Spanien, das erste Ziel ist erreicht«, twitterte er am Montag vergangener Woche.

Nicht am Ziel waren die Passagiere, die die NGOs SOS Méditerranée und Ärzte ohne Grenzen (MSF) auf dem Rettungsschiff vor der libyschen Küste aufgenommen hatten. Sie mussten notdürftig mit Lebensmitteln versorgt werden und auf engstem Raum eine tagelange Reise durch das Mittelmeer auf sich nehmen, bis sie schließlich im spanischen Valencia an Land gehen konnten.

»Wie tief kann die EU noch sinken? Der neue spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez hat der EU Würde zurückgegeben«, kommentierte im Straßburger Europaparlament der Abgeordnete Udo Bullmann die Tatsache, dass sich Italien und Malta geweigert hatten, die 629 Geflüchteten aufzunehmen. Bullmann ist der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE), der die Partei von Sánchez, aber auch die des maltesischen Ministerpräsidenten Joseph Muscat angehört. Für Letzteren bringt Bullmann denn auch mehr Verständnis auf als für die neue rechtspopulistische italienische Regierung. »Es gibt einen Unterschied zwischen einem Inselstaat in der Größe eines Landkreises und einem großen Flächenland wie Italien«, relativierte der SPD-Politiker das Verhalten Maltas. Es müssten sich künftig alle klar posi­tionieren zur Frage, wie die Migrationspolitik der EU organisiert werden soll, und man müsse ernsthaft über eine Lastenteilung nachdenken, so Bullmann.

Die Frage nach der Legalität des italienischen Verhaltens wurde in der EU wenig diskutiert. Statt­dessen gab es viel Verständnis.

»Italien verstößt ganz klar gegen internationales Seerecht und gegen das fundamentale Menschenrecht, gerettet zu werden«, stellte Ska Keller, die Co-Vorsitzende der Fraktion der europäischen Grünen / Europäische Freie Allianz (Grüne / EFA) fest. Doch auch sie räumt ein, es sei zu einfach, »alles auf Italien zu schieben«. Schließlich sei es das einzige EU-Land, das sich aktiv an der Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer beteilige.

Die Frage nach der Legalität des italienischen Verhaltens wurde in der EU wenig diskutiert. Stattdessen gab es viel Verständnis. »Es ist keine Lösung, Häfen zu schließen«, sagte Manfred Weber, der Fraktionsvorsitzende der Europä­ischen Volkspartei (EVP) im Europaparlament. »Doch wir brauchen eine ­Lösung dafür, wie wir mit Schlepperbanden umgehen.« Diese sieht Weber darin, sogenannte Hot Spots in den Ländern aufzubauen, aus denen die Flüchtlinge in die EU einreisen.

In solchen Auffanglagern »soll entschieden werden, ob sie in der EU eine Perspektive haben«, so das CSU-Mitglied. Dass eine solche Verlagerung des Asylverfahrens in Orte außerhalb des Territoriums der EU ebenso wie die italienische Weigerung, Rettungsboote anlanden zu lassen, gegen internationale Konventionen verstößt, dürfte ihm geläufig sein. Auch, dass diese Position bislang keine Mehrheit in seiner Fraktion findet.