Schutz für bedrohte Arten nach dem Vorbild des Films »Jurassic World«

Mit Volldampf in die Jurassic World

Wissenschaftler und Zoos versuchen, vom Aussterben bedrohte Tierarten mit Methoden zu retten, die nach Science-Fiction klingen.

Nun sind sie also wieder unterwegs, die Saurier aus der »Jurassic World«. Mit dem fünften Teil der Kinosaga um die aus in Saurier stechenden Mücken konservierter Dino-DNA zurückgezüchteten Urzeitviecher ploppt die Faszna­tion an verblichenen Lebewesen ebenso wieder auf wie die Frage nach der Unabänderlichkeit des Aussterbens. Und so ungemütlich die direkte Begegnung mit einem Tyrannosaurus auch verlaufen würde – wer wünscht sich nicht insgeheim sehnlichst, so ein Tier mal in echt erleben zu können? Nicht zuletzt daraus bezieht die Filmreihe ihren Reiz – der Wehmut des unwiederbringlich Verlorenen die kindliche Hoffnung entgegenzusetzen, dass es doch noch ein Hintertürchen geben könnte.

Dabei muss man gar nicht 65 Millionen Jahre zurückblicken, um diesen Verlust zu spüren – es reicht ein Blick ins Hier und Jetzt. 2012 starb Lonesome George, die letzte Pinta-Riesenschildkröte von den Galápagos-Inseln. Jahrzehntelang lebte er als Letzter seiner Art auf der Charles-Darwin-Station seines Heimatarchipels, während Zoologen sich verzweifelt bemühten, sein Erbgut durch Kreuzungen mit nahe verwandten Schildkröten am Leben zu erhalten. Aber der einsame George mochte einfach nicht. Selbst die knackigsten Schildkrötendamen verschmähte er und strahlte damit eine Perspektivlosigkeit aus, die ihn zum Symboltier für das Artensterben machte. Am 20. März dieses Jahres folgte ihm Sudan nach, das letzte männliche Nördliche Breitmaulnashorn. Auch für diese charismatischen Kolosse wäre natürlicherweise nun endgültig Schluss, aber noch besteht Hoffnung, die Unterart durch zwei verbliebene Weibchen und künstliche Befruchtung zu retten.

Dabei sind die beiden Tierpromis nur zwei Schneeflocken auf einem monumentalen Eisberg. In der Wissenschaft ist längst die Rede von einem neuen Erdzeitalter, dem Anthropozän, das mit einem sechsten Massenaussterben auf dem Planeten einhergeht. Wie zur Zeit der Verheerungen nach dem Meteoriteneinschlag am Ende der Kreidezeit, der nicht nur die Vorgänger der »Jurassic World«-Bewohner, sondern den Großteil aller Arten auf der Erde ausgelöscht hat, steht heute wieder eine solche Zäsur in der Geschichte des Lebens bevor. Nur dass es diesmal kein Komet oder Asteroid ist, der alles platt­macht, sondern der Mensch.
Arten sterben immer aus, das sei nun mal Evolution, sagen diejenigen, die gerne über »Umwelthysterie« oder »Ökokirche« lästern. Die Zahlen sprechen eine andere Sprache: Die Aussterberate ist derzeit 100 Mal höher, als dies auf evolutionärem Weg zu erwarten wäre – Tendenz stark steigend. Würde nur die »normale« Evolution wirken, wären seit 1900 neun Wirbeltierarten ausgestorben, tatsächlich waren es etwa 500. Dass ein solcher Verlust an Biodiversität über kurz oder lang das globale Ökosystem zum Einsturz bringt und auch den Menschen fortspülen wird, darf als sehr wahrscheinlich gelten.

Was aber tun, um den Artenverlust aufzuhalten? Die einzige langfristig sinnvolle Lösung bestünde natürlich darin, endlich den Raubbau an der Natur zu beenden, umweltverträglicher und nachhaltiger zu wirtschaften, ausreichend viele und große Schutzgebiete zu errichten. Nur deutet nichts darauf hin, dass dies in absehbarer Zeit geschehen wird – im Gegenteil. Nicht erst seit US-Präsident Donald Trump Umwelt- und Klimaschutz wirtschaftlichen Interessen nachgeordnet hat, ist klar, dass die Hoffnung schlicht naiv war, die Menschheit würde sich spätestens nach der UN-Umweltkonferenz in Rio de Janeiro 1992 besinnen, als die Dramatik der Lage bereits hinreichend diskutiert wurde.

 

Deshalb muss es kurz- und mittelfristig darum gehen, so viele Arten wie möglich erst einmal irgendwie zu erhalten, und sei es provisorisch, in der Hoffnung auf bessere Zeiten. Im Fall des Nördlichen Breitmaulnashorns sind die Bemühungen noch konventionell und basieren auf jenen reproduktionsmedizinischen Techniken, vor denen Leute wie Sibylle Lewitscharoff sich immer so fürchten. Die Schriftstellerin hatte in einer Rede in Dresden 2014 Kinder, die durch künstliche Befruchtung entstanden sind, als »Halbwesen« bezeichnet. Selbst bei der Pinta-Riesenschildkröte besteht noch Hoffnung, denn Forscher fanden heraus, dass das Erbgut der Tiere noch auf anderen ­Inseln im Schildkrötentempo herumläuft. Offenbar sind, vermutlich durch Verschleppung der einst als Schiffs­proviant geschätzten Panzerträger, einige Exemplare der Pinta-Schildkröte auf andere Inseln geraten und haben sich in die dort heimische Population eingekreuzt. Durch gezielte Rückzüchtungen könnte es möglich sein, wieder so etwas Ähnliches wie Pinta-Schildkröten ins Leben zu holen. Ein Vorgehen, das in ähnlichen Fällen schon ganz gut funktioniert hat. Beispielsweise bei den Przewalski-Pferden, den wildlebenden Ahnen der heutigen Haus- und Hofpferde, die bereits so gut wie ausgestorben waren und von denen nur noch wenige Exemplare existierten, deren Erbgut durch Einkreuzungen von Hauspferden bereits verfälscht war. Aber durch kontrollierte Zucht in Zoos konnten die Urpferde gewissermaßen wie Dateien aus dem Laptop-Mülleimer wiederhergestellt und inzwischen ­sogar wieder in ihrem ursprünglichen Lebensraum ausgewildert werden.

Aber auch futuristischere Methoden werden derzeit verfolgt. In Australien ist seit 1983 der Magenbrüterfrosch spurlos verschwunden, vermutlich fiel er einer von Menschen verschleppten Pilzerkrankung zum Opfer. Derzeit arbeiten Forscher daran, die Art mit ihrem einmaligen Reproduktionsmodus – die Kaulquappen wurden bis zur Metamorphose im Magen der Eltern großgezogen – durch Klonen wiederauferstehen zu lassen. Das Erbgut dafür haben sie von einem tiefgekühlten Exemplar. Bislang ist die Rückzüchtung einer ausgestorbenen Art aus konserviertem Erbgut noch nicht gelungen, aber immerhin mehrere Tage lebensfähige Embryos der Magenbrüter konnten in dem passendenderweise »Lazarus« benannten Projekt bereits erzeugt werden, indem das geklonte Erbgut in die entkernte Eizelle einer nahe verwandten Art eingebaut wurde.

Auch für solche Vorhaben haben Wissenschaftler längst damit begonnen, eine Kryo-Zellbank für Tiere aufzubauen, in der gezielt Stammzellen unter nach derzeitigem Kenntnisstand idealen Bedingungen kältekonserviert werden. Schon jetzt dient das so gesicherte Erbgut als Vergleichsmaterial für wissenschaftliche Arbeiten, der Hintergedanke ist aber auch, mit ihm womöglich einst Wiederauferstehungen möglich zu machen.
Ein solcher Plan ist derzeit noch Science-Fiction wie in »Jurassic World«. Ganz konkret und pragmatisch allerdings kann dem Artensterben schon jetzt die Stirn geboten werden. »Ex situ« heißt das Zauberwort, und es bedeutet die gezielte Erhaltungszucht von Tieren in menschlicher Obhut. In Zoos und wissenschaftlichen Einrich­tungen bestehen Kapazitäten und das nötige Wissen, akut vom Aussterben bedrohte Arten zumindest vorläufig über die Zeit zu retten. Für Nashörner etwa dürften solche Zoozuchten realistischerweise die einzige Chance sein, dem Aussterben vorerst zu entgehen.

Aber was ist mit all den weniger bekannten und beliebten Arten? Vor genau zehn Jahren wurde zum Beispiel mit der »Amphibian Ark« der weltweiten Zoogemeinschaft ein Großprojekt dieser Art ausgerufen. Frösche, Kröten und Salamander sind von allen Tier­klassen am stärksten vom Artensterben betroffen, mehr als 40 Prozent der Arten gelten weltweit als gefährdet – ein dramatischer Verlust von Biodiversität droht. Dabei sind gerade diese vergleichsweise kleinen Tiere recht gut halt- und nachzüchtbar. Und neben der recht begrenzten Zahl von Zoos stünden hier theoretisch auch Tausende von Privathaltern zur Verfügung, die aus Liebhaberei ohnehin schon viele Frösche und Molche züchten – es fehlt aber an Koordination und Kontrolle. Daher sind die Erfolgsnachrichten auch überschaubar. In den europäischen Zoos etwa kamen in den zehn Jahren seit Gründung der Amphibienarche lediglich vier Frosch- und Molcharten in die höheren Weihen europäischer Zoozuchtprogramme. Im selben Zeitraum starben statistisch gesehen 15 Amphibienarten aus. Ihr letztes Quaken ist im weltweiten Geschnatter einfach nicht gehört worden.