In Kolumbien gewinnt der rechte Kandidat Iván Duque die Präsidentschaftswahlen

Uribes Wiedergänger

In Kolumbien hat der rechte Präsidentschaftskandidat Iván Duque die Stichwahl gewonnen. Er hat angekündigt, das Friedensabkommen mit der Guerilla Farc zu modifizieren.

Die Euphorie war groß. Nur noch knapp sechs Prozentpunkte, so hatte es der linke Think Tank Celag, der Ecuadors ehemaligem Präsidenten Rafael Correa nahesteht, in einer Meinungsumfrage kurz vor der Stichwahl des kolumbianischen Präsidenten ermittelt, betrage der Vorsprung Iván Duques vor Gustavo Petro, dem Kandidaten der Linken, ­einem ehemaligen Guerillero, Senatsabgeordneten und Bürgermeister der Hauptstadt Bogotá. Am Ende aber trennten die beiden zwölf Prozentpunkte, was in etwa 2,3 Millionen Wählerstimmen entspricht. Rund 53 Prozent der Wahlberechtigten hatten am Sonntag abgestimmt, die Wahl verlief ohne Zwischenfälle.

In der ersten Runde Anfang Mai hatte Petro knapp vor Sergio Fajardo, dem Kandidaten der linksliberalen Coalición Colombia, die Stichwahl erreicht. Aber nicht alle Anhänger Fajardos wollten Petro im zweiten Wahlgang ihre Stimme geben. Fajardo selbst hatte gesagt, er werde für keinen der beiden Kandidaten votieren, erst spät hatte sich ein Teil seiner Koalition zu einer halbherzigen Unterstützung Petros durchringen können.

Duque, ein 41jähriger, meist freundlich lächelnder ehemaliger Funktionär der Interamerikanischen Entwicklungsbank und politisch bis auf eine Legis­laturperiode im Senat weitgehend unerfahren, genoss hingegen relativ schnell die Unterstützung eines Großteils der in der ersten Runde unter­legenen rechten Konkurrenz. Alle traditionellen Parteien unterstützten ihn in der Stichwahl, die wichtigen Wirtschaftsgremien des Landes ebenso wie die größte Tageszeitung des Landes, El Tiempo. Sein Regierungsprogramm sei seriös und repräsentiere die Hoffnung auf einen wünschenswerten Generationenwechsel, auch wenn er ein wenig unerfahren sei, ließen Chefredaktion und Verlag in einem Leitartikel wissen.

Nicht nur die alteingesessene Führungsschicht, sondern auch zahlreiche regionale Machthaber mit teils besten Verbindungen zur organisierten Kriminalität machten Wahlkampf für Duque.

Damit ging die Strategie von Duques Partei Centro Democrático (CD) voll auf. Deren Führungsfigur ist der rechte ehemalige Präsident Álvaro Uribe (2002–2010), der wichtigste Kritiker des Friedensabkommens der Regierung von Präsident Juan Manuel Santos mit der Guerilla Farc. Duque wurde als smarter Vertreter einer neuen, jungen und unabhängigen Politikergenera­tion präsentiert, im Kontrast zur ausgeprägten Klientelpoltik der Regierung Santos. Doch auch wenn sich Duque offiziell dagegen wehrte: Nicht nur die alteingesessene wirtschaftliche und politische Führungschicht, sondern auch zahlreiche regionale Machthaber mit teils besten Verbindungen zur ­organisierten Kriminalität machten Wahlkampf für ihn, weil er anders als Petro keine Ambitionen zeigt, das Wirtschaftsmodell und die bestehenden Machtstrukturen anzutasten – Friedensabkommen hin oder her.

Die liberale Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, geringe Sozialausgaben und die Ausbeutung von Bodenschätzen als wichtigste Säule der Wirtschaft wird Duque wohl beibehalten. In seinem Wahlprogramm hat er darüber hinaus Steuererleichterungen für Unternehmen angekündigt, will zur Freude der Großgrundbesitzer den Kauf möglicherweise geraubten, aber »in gutem Glauben« erworbenen Landbesitzes legalisieren und wichtige Aspekte der Friedenspolitik seines Vorgängers re­vidieren. So plant er, das mit den Farc geschlossene Friedensabkommen in einigen Punkten zu modifizieren, die Gespräche mit der Guerilla ELN in Frage zu stellen und die Bekämpfung des Kokaanbaus der im Friedensvertrag vereinbarten freiwilligen Substitution vorzuziehen. Es bleibe abzuwarten, welchen Kurs Duque nun einschlage, sagte Florian Huber von der Heinrich-Böll-Stiftung in Kolumbien: »Dies hängt davon ab, wie der neue Präsident sich persönlich gegenüber seinem Mentor Uribe verhält und wie er sein Kabinett zusammenstellt.« Denkbar sei eine Regierung aus den eigenen Reihen, eine Einbeziehung der anderen Parteien, die ihn unterstützt haben, oder eine Regierung aus Experten und Technokraten.

 

Im Senat stellt der CD, der  mit der Konservativen Partei als Partner bei den Präsidentschaftswahlen antrat, die größte Fraktion. Für stabile Mehrheiten ist er aber auf Bündnisse mit jenen Parteien angewiesen, die in der ersten Runde teils eigene Kandidaten aufgestellt hatten. Ob die traditionellen Parteien weiterhin zusammenhalten, wird sich nicht zuletzt bei der Umsetzung der Friedensvereinbarungen zeigen. Sei sie früher bezüglich der Friedenspolitik der Regierung Santos noch zerstritten gewesen, habe die »dominierende Klasse« im Wahlkampf einen seltenen Moment des politischen Zusammenhalts gezeigt, sagte der US-Politikwissenschaftler Nazih Richani der Jungle World. »Der Grund dafür ist, dass sie Petro als eine Bedrohung für das dominante neoliberale Wirtschaftsmodell wahrnehmen, auf dem ihr Klasseninteresse und ihre ­politischen und beruflichen Karrieren beruhen.«

Andere Beobachter betonen, dass mit dem Einzug Duques in den Präsidentenpalast die Machtakkumulation des »Uribismo«, jener Fraktion der Oligarchie hinter der Führungsfigur Uribe, weiter zunehmen werde. Diese habe starke personelle Verbindungen in die Judikative, stelle die Mehrheit im Kongress und besetze nun auch noch die Exekutive. Die Anhäufung politischer Macht gehe einher mit der wirtschaftlicher Macht, was insbesondere das auf Extraktivismus aufbauende Wirtschaftsmodell mit sich bringe, schreibt der in Kolumbien lehrende deutsche Wirtschaftswissenschaftler Tobias Franz. Kolumbien könne auf diesem Weg weiter in eine Abwärtsspirale aus einem flexiblen Arbeitsmarkt mit niedrigen Einkommen, niedriger Investitionsrate und geringer Produktivität der eigenen Wirtschaft geraten. Petro, programmatisch eher ein grüner Sozialdemokrat als ein Chavist, der den Großteil der politischen Linken sowie Gewerkschaften, Basisbewegungen und Indigene hinter sich wusste, hatte eben jenes Akkumulationsregime aus liberaler Wirtschaftspolitik und der Ausbeutung von Bodenschätzen in Frage gestellt und stattdessen mehr staat­liche Sozialausgaben und eine Diversifizierung der Wirtschaft angestrebt.

Dass mehr als zehn Millionen Menschen letztlich für Duque stimmten, ist aber nicht nur das Resultat von Klasseninteressen, sondern auch Ausdruck der Skepsis, die es in der konservativen Bevölkerung gegenüber der Linken trotz des Friedensprozesses nach Jahrzehnten der Guerillagewalt immer noch gibt. Zwar trug zum Sieg des Uribismo auch bei, dass dieser sich gegen die Farc und das Friedensabkommen positionierte, doch scheinen andere Themen wie Gesundheits- oder Bildungspolitik, die in der Vergangenheit wegen des bewaffneten Konflikts oft weniger Beachtung fanden, immer stärker in den Vordergrund zu drängen. Deshalb werteten Petro und viele Linke die acht Millionen erlangten Stimmen dennoch als Erfolg – noch nie hatte ein linker Kandidat so viele Stimmen erhalten. Von einer Nieder­lage wollte Petro, der den Sieg Duques anerkannte, dann auch nichts wissen und schwor seine Anhänger bereits auf die Oppositionsarbeit im Parlament und die Kommunalwahlen im kommenden Jahr ein.

An diesen will dann auch die Partei Farc wieder teilnehmen, die sich nach einem enttäuschenden Ergebnis von weniger als 0,5 Prozent der Stimmen bei den Kongresswahlen im März aus dem Präsidentschaftswahlkampf zurückgezogen hatte. Die ehemalige Guerilla gratulierte Duque am Wahlabend nur zurückhaltend, da er den Farc die im Friedensvertrag ausgehandelten Sitze im Kongress streitig machen will und die vereinbarte Übergangsjustiz in Frage stellt. Die Partei wolle sich mit dem neuen Präsidenten treffen und ihre Sichtweise zur Umsetzung des Friedensabkommens darlegen, teilte man mit.

Wenngleich eine geschlossene Rückkehr der Farc zu den Waffen nicht zur Debatte zu stehen scheint, sind viele ehemalige Guerilleros und Guerilleras mit dem Friedensprozess unzufrieden. Veränderungen des Friedensvertrags könnten das Vertrauen nicht nur in der mittleren und unteren Parteiebene weiter erschüttern, sondern auch das der Guerilla ELN. »Wenn Duque gewinnt, sinken die Aussichten auf Frieden«, hatte Diego Sepúlveda, ein Mitglied der ELN-Delegation bei den derzeit noch stattfindenden Gesprächen in Havanna, zuvor betont. Duque hat angekündigt, die Sammlung der ELN-Kämpfer in festgelegten Zonen und die Aufgabe illegaler Akti­vitäten zur Bedingung für die Fortsetzung der Gespräche zu machen. Andernfalls werde er die Bekämpfung der Guerilla wieder aufnehmen, um deren Unterwerfung zu erzwingen. Dass dies den bewaffneten Konflikt erneut eskalieren lassen könnte, befürchten vor allem die Menschen in den Regionen, in denen dieser trotz Demobilisierung der Farc weiter schwelt. Hier stimmte vielerorts eine deutliche Mehrheit für Petro.