Die türkische Opposition ist nach dem Wahlsieg Präsident Erdogans hilflos

Gemeinsam gegen die HDP

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Allerdings kann der Präsident auch mit Dekreten regieren, überdies steht er einer nicht nur institutionell machtlosen, sondern auch politisch uneinigen Opposition gegenüber. Im Hinblick auf die Kurdenpolitik ist die kemalis­tische CHP fast ebenso borniert wie die ultranationalistische MHP. Ein Bündnis mit der prokurdischen Demokratiepartei des Volkes (HDP) lehnt die CHP rigoros ab. Stattdessen verband sie sich mit der islamistischen Glückseligkeitspartei (SP), die sich in vielen Punkten mit der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Fortschritt (AKP) einig ist. Die SP bemüht sich nun um Gespräche mit Erdoğan. Im neuen Präsidialsystem hat das Parlament wenig zu melden, so dass sich die SP mit dem Mann an der Spitze gut stellen will.

Die CHP demonstriert nach der Niederlage einmal mehr komplette Realitätsferne. Ihr Vorsitzender Kemal Kılıçdaroğlu bezeichnete die verlorene Präsidentschaftswahl als Erfolg für ­seine Partei und träumt von einem überragenden Sieg bei den Kommunalwahlen im März 2019. Davon abgesehen, dass die zukünftige Politik in der Türkei nicht von den Kommunen entschieden werden wird, ist die AKP ­wegen ihrer intensiven Basisarbeit in der Lokalpolitik sehr erfolgreich.

Der frühere AKP-Politiker und ehemalige Minister Abdüllatif Şener wurde für die CHP im Wahlkreis Konya in das Parlament gewählt. Şener gehörte 2001 zu den Gründern der AKP – Erdoğan galt damals als oppositioneller Reformpolitiker in der noch stark vom Militär dominierten türkischen Politik. Mittlerweile ist Şener ein entschiedener Gegner seines früheren Parteifreunds. »Dieses Regime kann nicht als Demokratie bezeichnet werden«, sagte Şener nach der Wahl. »Die demokratischen Institutionen sind geschwächt. Es existiert keine Gewaltenteilung mehr. Die Politik hat die Justiz in eine Peitsche verwandelt. Ein solches Umfeld kann niemals als demokratisch definiert werden. Die Befugnisse des Parlaments sind ebenfalls begrenzt. Der Präsident allein wird die Regierung bilden. Es gibt keinen Ministerpräsidenten, keinen Ministerrat. Das Parlament hat die Macht über die Regierung völlig verloren.« Dass Şener dennoch das Parlament als Zelle des Widerstands gegen das Präsidialsystem ansieht, zeigt die Strategie- und Perspektivlosigkeit seiner Partei. Solange die Kemalisten nur Luftschlösser bauen, kann der Herrscher im Präsidentenpalast ruhig schlafen.

Um die HDP ist es seit der Wahl bislang still geblieben. Die Partei kam zwar über die Zehnprozenthürde, doch ihr Kandidat, Selahattin Demirtaş, sitzt weiterhin im Gefängnis und steht unter Anklage, Mitglied einer Terror­organisation zu sein. Es ist zu befürchten, dass die repressive Kurdenpolitik das Element bleibt, das alle Parteien außer der HDP eint.