Der Protest gegen das umstrittene Nationalstaatsgesetz in Israel geht nun erst richtig los

Ein überflüssiges Gesetz

Bereits Mitte Juli ist in Israel das umstrittene Nationalstaatsgesetz verabschiedet worden. Doch die Proteste dagegen gehen nun erst richtig los.

Major Safa Mashur ist stinksauer. »Das Nationalstaatsgesetz ist für nichtjüdische Israelis einfach schlecht«, sagte der 49jährige Druse am 1. August im israelischen Radio. »Das Ganze riecht förmlich nach Diskriminierung.« Als Reaktion darauf will der Arzt fortan nicht mehr zum Reservedienst bei der Armee erscheinen. Er ist nicht der Einzige. Wenige Tage zuvor hatten zwei drusische Offiziere aus Protest gegen das am 19. Juli in der Knesset verabschiedete Nationalstaatsgesetz die israelische Uniform abgelegt.

Sie fühlten sich durch die neue Rechtslage als Bürger zweiter Klasse, so ihre Begründung. »Aber ich will betonen, dass ich mich damit keinesfalls in irgendeiner Form gegen den Staat oder seine Symbole positioniere«, schrieb einer der beiden, der 23jährige Shady Zidan, auf Facebook. Auch unter beduinischen Soldaten regt sich mittlerweile reichlich Unmut.

Drusen und Tscherkessen stören sich weniger an der vielfach im Ausland beanstandeten Passage, die Israel einen jüdischen Staat nennt. Es ist vielmehr die Veränderung des Status quo zu ihren Ungunsten.

Viele Drusen betrachten das Votum der Knesset vom 19. Juli als Schlag ins Gesicht. Schließlich hatten die rund 130 000 in Israel lebenden Angehörigen dieser Religionsgemeinschaft, die vor fast 1 000 Jahren aus dem ismailitisch-schiitischen Islam hervorging, ihr Schicksal bereits seit den fünfziger Jahren eng mit dem des jüdischen Staates verknüpft. Seither dienen sie ebenso wie die Tscherkessen, eine etwa 4 000 Personen zählende muslimische Minderheit, deren Vorfahren vor über 200 Jahren aus dem Kaukasus vertrieben worden waren, bei den israelischen Streitkräften. Dort genießen sie wegen ihrer Einsatzbereitschaft allerhöchstes Ansehen, weshalb die Proteste aus ihren Reihen in den israelischen Medien auch sehr viel Aufmerksamkeit erregten.

Genau das wollte Ministerpräsident Benjamin Netanyahu vermeiden. Deshalb waren vor der Entscheidung der Knesset die in Paragraph sieben des Gesetzestextes vorgesehenen Einschränkungen der Niederlassungsfreiheit von Nichtjuden gestrichen worden. Doch das reichte weder Drusen noch Tscherkessen.

Beide Gruppen stören sich weniger an der vielfach im Ausland beanstandeten Passage, die Israel einen jüdischen Staat nennt. Es ist vielmehr die Veränderung des Status quo zu ihren Ungunsten. Arabisch soll nicht mehr Amtssprache sein, sondern nur noch einen Sonderstatus erhalten. Auf die Barrikaden bringt sie aber auch die Erhebung des jüdischen Siedlungswerks zu einem »nationalen Wert«, der auf jeden Fall gefördert werden müsse. Plötzlich ist nicht mehr von israelischen Kommunen die Rede, sondern von jüdischen, was für sie ganz klar nach einer gesetzlich festgeschriebenen Hierarchisierung aussieht. Denn nichtjüdische Dörfer oder Kleinstädte wurden in Sachen Finanzausstattung und Infrastruktur schon immer schlechter behandelt. Aber in der Vergangenheit ließen sich dagegen – mit wechselndem Erfolg – Rechtsmittel einlegen. Das neue Nationalstaatsgesetz könnte das deutlich erschweren.

Wie zu erwarten meldeten sich zahlreiche israelische Kunst- und Kulturschaffende zu Wort. Allen voran der Dirigent Daniel Barenboim, der sagte, dass er sich nun »schäme, Israeli zu sein«. Bekannte Schriftsteller wie Amos Oz, David Grossmann und Etgar Keret zählen gleichfalls zu den Kritikern des Nationalstaatsgesetzes. Das ist wenig überraschend. Auffällig aber ist die Tatsache, dass Gegner des Nationalstaatsgesetzes bis weit in das bürgerliche ­Lager hinein zu finden sind. Netanyahu verkündete unmittelbar nach der Abstimmung, dass diese ein »Schlüsselmoment in der Geschichte des Zionismus« gewesen sei. Aber andere wie Yael German von der zentristischen Partei Yesh Atid sahen darin »eine giftige Pille für die Demokratie«. Auch Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit hatte zuvor eindringlich vor den negativen Auswirkungen gewarnt.

 

Warum viele Israelis das Nationalstaatsgesetz ablehnen, brachte dieser Tage der Kolumnist Ben-Dror Yemini auf den Punkt. Auch er hat kein Problem damit, Israel als einen jüdischen Staat zu etikettieren. »Schließlich verstanden wir uns schon immer so«, schrieb er in der Zeitung Yedioth Ahronoth. »Das Begriffspaar wird allein im UN-Teilungsplan aus dem Jahr 1947 genau 29-mal benutzt.« Auch dass das Adjektiv »jüdisch« vor dem Substantiv »Staat« für viele Araber und Europäer, die nie ein Problem mit einer Islamischen Republik Pakistan oder Islamischen Republik Iran hatten, heute immer noch ein Grund zur Aufregung sein kann, überrascht ihn nicht. »Schon als US-Präsident Obama bei seinem Besuch in Ramallah vor einigen Jahren von Israel als einem jüdischen Staat sprach und die Palästinenser aufforderte, dieses als Faktum anzuerkennen, brachte er Abbas und seine Leute damit auf die Palme«, so Yemini. Zwar habe Israel keine Verfassung, aber nach 1950 seien zahlreiche Basisgesetze erlassen worden, die die wesentlichen Rechte seiner Bürger festschreiben. Darin war bereits von Israel als jüdischem und demokratischem Staat die Rede. »Das Nationalstaatsgesetz ist daher absolut überflüssig gewesen.« Nicht nur, weil die Beziehungen zu den Drusen dadurch leiden. Auch das Verhältnis zur Diaspora könnte Schaden nehmen. Von der Anti-Defamation League in den USA bis hin zu den wichtigsten Repräsentanten der Juden in Großbritannien hagelte es Kritik, weil der »jüdische Charakter« Vorrang vor demokratischen Aspekten erhalten habe. »Sogar das American Jewish Committee (AJC), eine der bedeutendsten jüdischen und proisraelischen Organisationen, verurteilte das Nationalstaatsgesetz auf das Schärfste«, so Yemini.

Profiliertester Gegner der Entscheidung vom 19. Juli ist Staatspräsident Reuven Rivlin, der immerhin Netan­yahus Partei Likud angehört. Nach mehreren Treffen mit Vertretern der Drusen, aber auch der Beduinen soll er gesagt haben, dass er die Gesetzesvorlage, die seiner Unterschrift als Staatsoberhaupt bedarf, nur in arabischer Schrift unterschreiben würde. Das jedenfalls ließ Thabet Abu Rass vom Abraham Fund, einer jüdisch-beduinischen NGO, verlauten. Aus dem Büro des Staatspräsidenten wollte man das nicht kommentieren.

Netanyahu versucht nun, die Wogen zu glätten. So rief er eine Arbeitsgruppe ins Leben, die den Status der drusischen und tscherkessischen Minderheiten neu verhandeln will. Daran soll unter anderem Scheich Muafak Tarif, das spirituelle Oberhaupt der Drusen, teilnehmen. Doch schon ein Treffen mit Vertretern der Drusen im Hauptquartier der Streitkräfte in Tel Aviv am Donnerstag vergangener Woche endete vorzeitig im Streit. Angeblich hatte der drusische Brigadegeneral Amal As’ad gegenüber dem Ministerpräsidenten die Formulierung »Apartheidsstaat« benutzt, weshalb dieser wutentbrannt den Raum verließ. As’ad, der nicht nur ein hochdekorierter ­Veteran zahlreicher Kriege ist und einen Bruder bei Kämpfen im Gaza-Streifen verloren hat, sondern auch als Unterstützer des Likud gilt, bestreitet diese Anschuldigung. In Karmiel kam es ebenfalls zu einen Eklat, als Avi Dichter, der ehemalige Leiter des Inlandsgeheimdienstes Shin Bet, auf den die Initiative für das Nationalstaatsgesetz zurückgeht, bei einer Zeremonie von drusischen Veteranen ausgebuht wurde.

Am Wochenende demonstrierten der Internetzeitung Times of Israel zufolge schätzungsweise 50 000 Drusen sowie ihre Unterstützer in Tel Aviv gegen das Nationalstaatsgesetz. Das letzte Wort dürfte also noch nicht gesprochen sein.