Die AfD versucht, einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz zu entgehen

Die Gedankenpolizei im Parteivorstand

Während Verfassungsschützer Material über die AfD sammeln, ergreift die Partei Maßnahmen, um einer Beobachtung durch den Inlandsgeheimdienst zu entgehen. Die Schritte der Führung kommen nicht bei allen Mitgliedern gut an.

Björn Höcke wählte harte Worte. Auf dem Landesparteitag der »Alternative für Deutschland« (AfD) in Thüringen warnte der im Amt bestätigte Landesvorsitzende Anfang November vor einer angeblichen »Säuberung« seiner Partei. Zudem warf Höcke, eine der Hauptfiguren des völkischen Flügels der AfD, manchen seiner Parteikollegen »politische Bettnässerei« vor. Damit wetterte er gegen die Tätigkeit einer vom AfD-Bundesvorstand eingesetzten Arbeitsgruppe, die sich mit einer mög­lichen Überwachung der Partei durch den Verfassungsschutz auseinandersetzen soll.

Der Parteivorsitzende Jörg Meuthen, der dieser Arbeitsgruppe angehört, sagte wenige Tage später: »Personen, die sich gegen die FDGO stellen, die also nicht auf dem Fundament des Grundgesetzes sprechen oder handeln, können in unserer Partei keine politische Heimat haben oder finden.« Idealerweise gelänge es, so Meuthen, solche Mitglieder zum Austritt aus freien Stücken zu bewegen. Das sei in den vergangenen Wochen auch in einigen Fällen so erfolgt. Andernfalls müsse man den Weg des Parteiausschlussverfahrens gehen. Meuthen fügte hinzu, die Partei werde sich allerdings »ganz sicher nicht durch eine uns zu Unrecht angedrohte Verfassungsschutzbeobachtung in eine Welle von Ausschlussverfahren hineindrängen lassen«.

André Poggenburg, der frühere AfD-Landesvorsitzende in Sachsen-Anhalt, monierte, eine übersteigerte »Distanzeritis« könne eine Überwachung durch den Verfassungs­schutz nicht abwenden.

Die Arbeitsgruppe erfasst derzeit alle laufenden Parteiausschluss- und Parteiordnungsverfahren in den Landesverbänden. Seit sie ihre Arbeit im September aufgenommen hat, hat der Bundesvorstand zudem weitere Parteiausschlussverfahren beschlossen. So soll etwa der baden-württembergische Landtagsabgeordnete Wolfgang Ge­deon, der Juden als »inneren Feind des Abendlandes« bezeichnet, aus der Partei ausgeschlossen werden. Eine genaue Zahl der laufenden oder in den vergangenen Wochen abgeschlossenen Ausschlussverfahren ist bisher nicht öffentlich bekannt. Aus der »Arbeitsgruppe Verfassungsschutz« heißt es, es handle sich um »wenige Einzelfälle«.

Ein Parteiausschlussverfahren gegen Höcke war im Mai gescheitert. Seither übt der thüringische Landesvorsitzende keine Zurückhaltung. Der kürzlich ­erschienene Gesprächsband »Nie zweimal in denselben Fluss« gibt Einblicke in Höckes Ideologie: Die westlichen Ideale seien nur »aufgeblasener Werteschaum«, daher müsse man Schluss machen mit dem »westlich-dekadenten Liberalismus und der ausufernden Parteienherrschaft«, an deren Stelle »eine fordernde und fördernde politische Elite« treten solle, »die unsere Volksgeister wieder weckt«. Im September inszenierten Höcke und sein Umfeld den offenen Schulterschluss mit Kameradschaften, Neonazis und ­Hooligans auf einer Demonstration in Chemnitz. Gegenüber dem Spiegel gab Höcke im Oktober freimütig zu, persönlichen Umgang mit dem NPD-Funktionär Thorsten Heise zu pflegen.

Solche Verbindungen ins einschlägige rechtsextreme Milieu könnten für die AfD zu einem Problem werden. Vergangene Woche berieten Verfassungsschützer in der Zentrale des Bundesamts für Verfassungsschutz in Köln über den Umgang mit der Partei. Grundlage waren mehrere Hundert Seiten belastendes Material, das 13 Landesämter für Verfassungsschutz seit März zusammengetragen hatten. Nur die Verfassungsschutzämter aus Schleswig-Holstein und dem Saarland wollten oder konnten nichts Relevantes zu der »Stoffsammlung« beitragen; der säch­sische Verfassungsschutz hatte lange die Mitarbeit verweigert, erst die Geschehnisse in Chemnitz führten nach Angaben des Amtes zu einer neuen Bewertung der AfD – und so lieferte der sächsische Verfassungsschutz Ende vergangener Woche doch noch seinen Beitrag. Neben Kontakten zu rechtsextremen Organisationen wie der »Identitären Bewegung« ging es bei der Recherche auch um das rechtsextreme Potential in der Partei selbst, also etwa um verfassungsfeindliche Aussagen und Aktivitäten von Parteifunktionären. Die Verfassungsschützer wollen den Innenministern der Länder einen Abschlussbericht vorlegen, auf dessen Grundlage diese über das weitere Vorgehen beraten sollen. Eine mögliche Folge wäre die Überwachung der Partei oder einzelner Zusammenschlüsse, etwa des Jugendverbands »Junge Alternative« (JA).

 

In Thüringen hatte der Präsident des dortigen Verfassungsschutzes den AfD-Landesverband bereits im September zum Prüffall erklärt, eine Vorstufe zur regulären Überwachung. Der bayerische Verfassungsschutz beobachtet zurzeit drei Landtagsabgeordnete der Partei. Auch einzelne Mitglieder der AfD in Niedersachsen werden überwacht. Anfang November löste der Bundesverband der »Jungen Alternative« den niedersächsischen Landes­verband auf, nachdem der Verfassungsschutz in dem Bundesland begonnen hatte, diesen zu beobachten. Er prüft derzeit auch den weiteren Umgang mit dem Bremer Landesverband der Par­teijugend, der ebensfalls vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Auch die »Patriotische Plattform«, ein Verein des völkischen Parteiflügels, wurde präventiv tätig und kündigte die Selbstauflösung an.

Die »Arbeitsgruppe Verfassungsschutz«, der neben Meuthen vier weitere Parteimitglieder angehören, soll sich »auf jedem rechtlichen Wege gegen eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz zur Wehr setzen« sowie »mögliche Anhaltspunkte für eine mögliche Verfassungsschutzbeobachtung, dort, wo sie sich tatsächlich zeigen«, abstellen. Zu diesem Zweck beauftragte die Arbeitsgruppe ein Gut­achten bei dem emeritierten Freiburger Staatsrechtler Dieter Murswiek. Eine Zusammenfassung dieses Gutachtens, die der stellvertretende Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion Roland Hartwig erstellt hat, gibt 39 Handlungsempfehlungen »zur Vermeidung einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz«. Hartwig, der die »Arbeitsgruppe Verfassungsschutz« ­leitet, gibt dort etwa die Empfehlung wieder, auf Begriffe wie »Umvolkung«, »Überfremdung«, »Volkstod« und »Umerziehung« zu verzichten. Auch wird empfohlen, nicht »mit Organi­sationen, die in den Verfassungsschutzberichten als extremistisch« bezeichnet werden, zusammenzuarbeiten oder Kontakte zu solchen Organisationen zu pflegen.

Hartwig kündigte zudem an, seine Partei werde sich auch auf dem Rechtsweg zur Wehr setzen. Die AfD wolle den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte feststellen lassen, ob eine öffentliche Ankündigung der Behörden, die AfD zu beobachten, nach europäischem Recht zulässig wäre oder ob dadurch ein unzulässiger Nachteil für die AfD im Wettbewerb der Parteien entstünde.

Sollte die Partei vom Verfassungsschutz überwacht werden, könnten ihr staatliche Gelder gestrichen werden. Zudem wäre eine Abwanderung von Beamten aus der Partei sowie der Verlust von Wählerstimmen wahrscheinlich. Während die Führung versucht, einer Beobachtung zu entgehen, sorgen sich andere um das Profil der Partei. So wettert nicht nur Höcke gegen die »Arbeitsgruppe Verfassungsschutz«. Jürgen Elsässer, der Herausgeber des Magazins Compact, warnte etwa davor, die Partei begehe »Selbstmord aus Angst vor dem Tod«. Mehr als 1 000 Mitglieder der AfD, darunter Dutzende Mandatsträger, unterzeichneten in kürzester Zeit den »Stuttgarter Aufruf«. Dieser bemängelt, dass »wieder zahlreiche Ordnungs- und Ausschlussverfahren« eingeleitet worden oder in Vorbereitung seien. Zudem widersetze man sich »allen Denk- und Sprechverboten«. Eine der Initiatorinnen des Aufrufs, die baden-württembergische Landtags­abgeordnete Christina Baum, warf der Parteiführung »vorauseilenden Gehorsam« vor. Ihr Fraktionskollege Emil Sänze sprach in diesem Zusammenhang von »Gesinnungsprüfungen«. André Poggenburg, der frühere Landesvorsitzende in Sachsen-Anhalt, monierte, eine übersteigerte »Distanzeritis« könne eine Überwachung durch den Verfassungsschutz ohnehin nicht abwenden. In den sozialen Netzwerken beschimpfen AfD-Mitglieder und Sympathisanten die Arbeitsgruppe als »Gedankenpolizei« und »neue Stasi«. Solche Vorwürfe aus der AfD sind keine Seltenheit – üblicherweise richten sie sich jedoch nicht gegen die eigene Führung, sondern gegen Behörden oder Organisationen, die gegen Rassismus und Antisemitismus arbeiten.