Der Streit um die Exhumierung des spanischen Diktators Francisco Franco

Franco, der große Unbekannte

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Die Definition des Franquismus ist in Spanien noch immer umstritten. Der Historiker Pablo Sánchez León stellte in El Publico fest: »Der Franquismus ist keine Ideologie, sondern ein kriminelles Regime. Die antikommunistische Besessenheit des PP zielt darauf, zu verdecken, dass die Partei Abkömmling einer Diktatur war.« Der PP ist die Nachfolgepartei der Alianza Popular, die aus ehemaligen Franquisten bestand. Auch der Vorsitzende der Cs, Albert ­Rivera, so Danilo Albin in El Publico, verwende häufig den Begriff »Kommunist«, »Populist« oder »Chavist«, um seine Gegner zu verunglimpfen, und weigere sich, die rechtsextreme Partei Vox als solche zu bezeichnen. Sánchez León verweist auf Daniel Feierstein, ­einen der größten Genozid-Spezialisten weltweit: »Feierstein ordnet den Fall Spaniens als Genozid ein.« Und León betont, wie gefährlich es sei, dass ein solches Regime nicht offiziell verurteilt wird.

Auch außerhalb Spaniens wird der Franquismus nicht überall als faschistisch bezeichnet. Der Historiker Martí Marín argumentiert hingegen in Salellas Buch, das Franco-Regime sei so ­faschistisch gewesen wie Nazideutschland, Mussolinis Italien oder Salazars Portugal, »denn sie teilten die gleichen Grundwerte«. Der ehemalige Leiter der Franco-Stiftung, Alonso García, zeigte seinen Stolz auf das faschistische Erbe Spaniens und bezeichnete den Franquismus in einem Interview mit der spanischen Tageszeitung  El Mundo als »Kultur«. Franco sei weise, umsichtig und »zutiefst arbeitsam« gewesen, so García weiter.

Wie wenig differenziert viele in Spanien Franco sehen, wurde im Sommer erneut deutlich, als Francos Exhumierung aus dem Tal der Gefallenen an­gekündigt wurde. In den sozialen Netzwerken wurde eifrig über Franco diskutiert, alte Mythen über den »sozialen Diktator« wurden verbreitet – dieser habe etwa die staatliche Krankenkasse, den bezahlten Urlaub und das staatliche Rentensystem eingeführt. Tatsächlich war die Sozialversicherung erstmals in der Verfassung der von Franco zerstörten Republik festgeschrieben.

Xavier Kurz Bodella weiß, dass irrige Meinungen über Francos Sozialpolitik weit verbreitet sind. Er unterrichtet ­Geschichte in einer Oberschule in Barcelona und beklagt, viele Schüler wüssten nichts über die Verbrechen des Franquismus, da viele Lehrer dieses Thema bis zum Abitur nicht behandelten. Man versuche als Lehrer, immer allen Seiten gerecht zu werden, da man keine familiären Erfahrungen in Frage stellen wolle. Josep Casanovas, der Grund- und Mittelschullehrer an der Uni­versität Vic ausbildet, bestätigt, dass an Schulen die Franco-Ära kaum aufge­arbeitet werde: »Ob man die Diktatur und Francos Rolle kennt und wie man sie versteht, hängt häufig vom Elternhaus ab.«

Dass sich Franco aus dem Zweiten Weltkrieg herausgehalten hat, habe dazu beigetragen, dass er nicht mit Mussolini und Hitler auf eine Stufe gestellt werde, sagt Bodella. Zudem habe die schrittweise Integration Francos im Kontext des Kalten Krieges das Regime in den Augen der spanischen Öffentlichkeit weiter legitimiert. Was Bodella aber am meisten Sorgen bereitet, ist die fehlende Analyse des heutigen Rechtsextremismus in Spanien, die daraus folgt: »Wenn es eine solche Analyse im Lehrplan gäbe, wären junge Menschen und die Gesellschaft allgemein wachsamer«, meint er.

Seine Sorgen erscheinen berechtigt: Seit dem katalanischen Referendum und der Ankündigung der Exhumierung des Diktators hat die Partei Vox ihre Mitgliederzahl verdreifacht.