Annegret Kramp-Karrenbauer wird sich gegen Widersacher in der eigenen Partei durchsetzen müssen

Vorsitz mit Tücken

Auf dem Hamburger Parteitag der CDU beschwor die neu gewählte Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer die Einheit der Partei. Die inneren Konflikte der Union wird sie allerdings nicht lange ignorieren können.

Die CDU hat eine neue Parteivorsitzende gewählt. Es gibt aber auch eine inoffizielle Gewinnerin: Angela Merkel. Mit der ehemaligen Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer konnte sich die Wunschkandidatin der Bundeskanzlerin gegen Friedrich Merz und Jens Spahn durchsetzen. Nach ihrer Wahl beschwor die neue Vorsitzende mit Phrasen wie »die CDU, das ist unsere Familie« die Einheit der Partei. Das Ergebnis des zweiten Wahlgangs war mit 517 Stimmen für Kramp-Karrenbauer und 482 Stimmen für Merz sehr knapp ausgefallen.

Künftige Historiker werden vermerken, dass Angela Merkel die Union auf dem Hamburger Parteitag zum zweiten Mal aus einer Krise geführt habe. Vor 18 Jahren erlöste sie die durch den Spendenskandal beinahe bankrotte CDU vom Erbe Helmut Kohls. In Hamburg befreite Merkel die Partei von ­ihrer eigenen Regentschaft als Vorsitzende. Rund neun Minuten stehenden Applaus erhielt sie für ihre Abschiedsrede. Der Beifall brachte nicht nur ­Respekt für Merkels bis 2017 wahlpolitisch meist erfolgreiche Modernisierung der Union zum Ausdruck, sondern sicher auch Erleichterung über die Tatsache, dass sie, zumindest als CDU-Vorsitzende, nun endlich weg ist. Auf einer der Regionalkonferenzen, die vor dem Parteitag stattgefunden hatten, sagten hessische CDU-Mitglieder der FAZ, die Lage in der Partei sei so »wie nach der DDR«, man dürfe »endlich mal wirklich wählen«.

Kramp-Karrenbauers Aufgabe wird darin bestehen, den Verlierern von Hamburg Zugeständnisse zu machen, ohne die Liberalen in der Union zu vernachlässigen.

Kramp-Karrenbauer wird nun eine Phase des Übergangs gestalten müssen. Auf die für den kommenden Mai terminierten Europaparlaments- und die Bremer Bürgerschaftswahlen folgen zahlreiche Kommunal- sowie im Herbst Landtagswahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen. Nach dem Hamburger Parteitag führt Kramp-Karrenbauer eine polarisierte Partei in einem gespaltenen Land. In gesellschaftspoli­tischen Fragen ist die neue Vorsitzende konservativer als die ideologisch flexi­ble Merkel, die zwar einst zusammen mit Merz für eine »deutsche Leitkultur« stritt, später aber einen anderen Kurs verfolgte.

Merkel steht für eine Ära der gesellschaftspolitischen Liberalisierung, nicht nur der Union. Vor allem aber galt unter der Bundeskanzlerin 18 Jahre lang die Devise anything goes. Exemplarisch zeigte dies die Hashtag-Kampagne #merkelstreichelt. Diese wurde initiiert, nachdem die Kanzlerin dem sich vor seiner Abschiebung fürchtenden Mädchen Reem Sahwil im Juli 2015 auf einer Veranstaltung gesagt hatte, dass nicht alle Flüchtlinge in Deutschland bleiben könnten. Nur sechs Wochen später rief die medial als »Flüchtlingskanzlerin« verklärte Merkel mit ihrem vielzitierten Ausspruch »Wir schaffen das!« eine »Willkommenskultur« für Flüchtlinge aus.

Auch wenn die Ära Merkel für eine liberale Gesellschaftspolitik steht, bleibt der Eindruck, dass die Kanzlerin bei anderen Kräfteverhältnissen vermutlich auch eine andere Politik verfolgt hätte. Mit ihrer Entscheidung, auf den Parteivorsitz zu verzichten, revidierte Merkel ihre bisherige Überzeugung, dass die Ämter des Bundeskanzlers und des CDU-Parteivorsitzenden stets von einer Person ausgeübt werden sollten. Der Regierungsstil der Kanzlerin ist eben vor allem eine pragmatische Technik des Machterhalts.

Kramp-Karrenbauer machte vor und auf dem Parteitag die von ihr gewünschte politische Ausrichtung der CDU deutlich. Trotz des anhaltenden Bürgerkriegs in Syrien will die Parteivorsitzende, dass straffällig gewor­dene Flüchtlinge aus dem Land bald wieder dorthin abgeschoben werden können. In ihrer Bewerbungsrede für den Parteivorsitz bekräftigte sie ihre Forderung nach einem »Staat, der sich nicht auf der Nase herumtanzen lässt, nicht von Kleinkriminellen, nicht von Steuerbetrügern oder von Autonomen, wie wir das in Hamburg gesehen haben«. Auch Floskeln wie »Leistung muss sich wieder lohnen« erhielten in Hamburg viel Zustimmung.

Für die Wirtschaftsliberalen in der CDU war der Parteitag aber ein Fiasko. Kramp-Karrenbauer sieht sich in der Tradition der katholischen Soziallehre. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, der vor dem Parteitag für die neue Vorsitzende geworben hatte, betont immer wieder die Vorzüge der Sozialpartnerschaft. Dass die Christdemokraten seit 2005, abgesehen von ­einer schwarz-gelben Koalition in den Jahren 2009 bis 2013, auf Bundesebene mit der SPD regieren, hat den Einfluss der Sozialpolitiker in der Partei vergrößert. Selbst Jens Spahn, der gerne mal den »jungen Wilden« vom Wirtschaftsflügel spielt, fällt als Gesundheits­minister kaum als neoliberaler Reformer auf.

Trotz der zuletzt schrillen Töne ei­niger CDU-Politiker in Fragen der Migrationspolitik beginnt mit der Wahl Kramp-Karrenbauers für die Parteirechte wohl ein Winter des Missvergnügens. Nicht nur in wirtschaftspolitischen Fragen, sondern auch bei der Suche nach einer »deutschen Leitkultur« sehen die Konservativen in der Union sich immer wieder provoziert. Bisweilen sind es Randnotizen, die eine Veränderung des politischen Profils der Union dokumentieren. Im Juli 2017 reagierte der als konservativ geltende bisherige Vorsitzende der Jungen Union, Paul Ziemiak, mit ­einem in der FAZ veröffentlichten Leserbrief auf eine Rede des Schriftstellers Navid Kermani zur deutschen Erinnerungspolitik. In dem Brief warb Ziemiak, der auf dem Parteitag zum Nachfolger Kramp-Karrenbauers als Generalsekretär gewählt wurde, für eine »deutsche Leitkultur«.

Bemerkenswerterweise spricht Zimieak darin aber mit Blick auf die Zeit des Nationalsozialismus nicht wie früher üblich abstrakt über »die Nazis«, sondern über »die Generation unserer Großeltern«, die »kaltblütig und systematisch mordete und Leid in einem Ausmaß verursachte, das wir nicht einmal erahnen können«. Diese Formulierungen stehen für einen Bruch mit dem Geschichtsbild der alten Union. Ziemiak geht in seinem Leserbrief weit über Richard von Weizsäckers Rede vom 8. Mai 1985 hinaus, in der der damalige Bundespräsident den 8. Mai 1945 als »Tag der Befreiung« bezeichnet hatte. Das »gemeinsame Erinnern« ­gehört dem Brief des Generalsekretärs zufolge zur »deutschen Leitkultur im besten Sinne«.

Die neue Vorsitzende hat in der Vergangenheit gezeigt, dass sie die Innen- und Migrationspolitik ihrer Partei zumindest rhetorisch verschärfen könnte. Aber auch eine CDU unter Kramp-Karrenbauer ist in einem durch die AfD veränderten Parteiensystem auf verschiedene Koalitionsmöglichkeiten angewiesen und kann es sich nicht erlauben, die Linksliberalen von FDP, SPD und Grünen zu brüskieren. Kramp-Karrenbauers Aufgabe wird darin bestehen, den Verlierern von Hamburg Zugeständnisse zu machen, ohne die Liberalen in der Union zu vernachlässigen. Merkels Anhänger haben nicht vergessen, dass die Union bei den Bundestagswahlen 2013 mit 41,5 Prozent der Stimmen nur knapp die absolute Mehrheit verpasste. Schon damals wurde der Islam von führenden Repräsentanten der Union als Teil Deutschlands anerkannt – gegen Widerstand am rechten Rand der Partei.

Auch Merkels Nachfolgerin wird sich also gegen Widersacher in der eigenen Partei durchsetzen müssen. Trotz ihrer bisherigen Nähe zur Kanzlerin dürfte Kramp-Karrenbauers Sozialkonservatismus wahlpolitisch keinesfalls chancenlos sein. Schließlich tritt die AfD, deren Marginalisierung erklärtes Ziel der CDU ist, derzeit besonders in Ostdeutschland als Partei der »kleinen Leute« auf. Bislang hat die Bundeskanzlerin die Proteste ihrer rechtsextremen Gegner noch überstanden. Ob die »Merkel muss weg!«-Rufe in eine Protest­bewegung münden werden, die nicht mehr die Kanzlerin, sondern die neue Parteivorsitzende zum Feindbild erklärt, wird sich spätestens bei den kommenden Landtagswahlen im Osten der ­Republik zeigen. Derzeit verfügt Merkel mit Kramp-Karrenbauer noch über eine Verbündete an der Spitze der CDU. Die Vorsitzende wird den Riss, der sich durch ihre »Familie« zieht, allerdings nicht lange ignorieren können.