In der Ukraine liegt der Außenseiter Selenskyj nach der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen vor dem Amtsinhaber Poroschenko

Vom Komiker zum Kandidaten

Die erste Runde der ukrainischen Präsidentschaftswahl hat Außenseiter Wolodymyr Selenskyj gewonnen. Sein Erfolg ist als Protestwahl zu verstehen. Zugleich zeigt er, dass viele Menschen nicht mehr mit nationalistischer Rhetorik zu überzeugen sind.

Bei der ersten Runde der ukrainischen Präsidentschaftswahl gab es einen eindeutigen Gewinner. Der Amtsinhaber Petro Poroschenko liegt vorläufigen Ergebnissen zufolge mit 16 Prozent der Stimmen weit hinter Wolodymyr Selenskyj, der noch Anfang des Jahres kaum als ernsthafter Kandidat galt, nun aber 30 Prozent erhielt. Julija Tymoschenko schied als Drittplatzierte mit 13 Prozent der Stimmen aus. Die Stichwahl findet am 21. April statt.

Bereits während des Wahlkampfs gab es mehrere Betrugsvorwürfe, doch bislang sind keine Manipulationen in großem Stil aufgedeckt worden, die die Gültigkeit der Wahl in Frage stellen würden. Während Millionen in Russland lebende Ukrainerinnen und Ukrainer ebenso wie die Menschen in den »Republiken« Luhansk und Donezk und auf der Krim nicht wählen durften, bildeten sich in Warschau, Prag, Berlin und sogar New York City vor den ukrainischen Botschaften lange Schlangen. Hier wählte die Diaspora, die wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage in der Ukraine stark gewachsen ist.

Die Wahlbeteiligung lag bei 64 Prozent – ein Zeichen dafür, dass der Mehrheit der ukrainischen Bevölkerung der politische Prozess nicht gleichgültig ist. Anlass für Zynismus gäbe es freilich genug. Nur neun Prozent der Bevölkerung haben Umfragen zufolge Vertrauen in ihre Regierung. Politik und Staat werden kontrolliert von korrupten Netzwerken und Oligarchen. Abgeordnete, Parteien, Fernsehkanäle und Regierungsbeamte sind oft entweder direkt gekauft oder eingebunden in diese Netzwerke.

Auch bei dieser Wahl hatte nur Chancen, wer viel Geld in den Wahlkampf stecken konnte, wie der Milliardär Poroschenko, oder zumindest mächtige Unterstützer hinter sich wusste, wie der Komiker Selenskyj. In der Fernsehserie »Diener des Volkes« spielt er einen unbedarften Lehrer, der zufällig über Nacht zum Präsidenten wird. Im Gegensatz zu seinen Konkurrenten ist Selenskyj ein politischer Außenseiter, seine Kandidatur verdankt er aber dem ukrainischen Oligarchen Ihor Kolomojskyj. Dessen Fernsehsender hatte wenige Tage vor der Wahl die neue Staffel von »Diener des Volkes« ausgestrahlt.

Kolomojskyj, der während des Wahlkampfs kaum überzeugend behauptete, weder Selenskyj noch Tymoschenko finanziell zu unterstützen, werden in Zusammenhang mit seinen Geschäftspraktiken unter anderem Morde, Folter und Schmuggel vorgeworfen. Wegen seiner Probleme mit der ukrainischen Justiz und der jetzigen Regierung lebt er derzeit im israelischen Exil. Trotz dieser Konstellation – der jüdische Selenskyj aufgebaut vom jüdischen Oligarchen Kolomojskyj – spielte Antisemitismus im hitzigen Wahlkampf keine Rolle. Als Präsident stünde Selenskyj an der Seite des ebenfalls jüdischen Ministerpräsidenten Wolodymyr Hrojsman.

Poroschenko hatte im Wahlkampf versucht, mit patriotisch-identitären Positionen zu reüssieren und sich als Oberkommandant der Streitkräfte und Garant der Stabilität zu inszenieren. »Putin träumt von einem weichen, unterwürfigen, netten, freundlichen, ­unerfahrenen und schwachen Präsidenten. Werden wir ihm dieses Geschenk geben?« hatte er noch am Wahlabend seinen Konkurrenten verhöhnt. Selenskyjs moderneres, lockereres Auftreten, seine Affinität zu sozialen Medien und seine Distanz zu schwermütigem Patriotismus dürften zu den Gründen für seinen Erfolg besonders bei jungen Wählerinnen und Wählern zählen. »Verhandlungen mit Russland lassen sich nicht vermeiden«, sagte Selenskyj im Wahlkampf. Zwar werde auch er keine ukrainischen Interessen oder Territorien aufgeben, denn Russland führe Krieg gegen die Ukraine. Aber das Wichtigste sei, dass nicht noch mehr Menschen sterben.

Während Poroschenko vor allem im stärker nationalistisch geprägten Westen der Ukraine viele Stimmen erhielt, dominierte Selenskyj im Rest des Landes, insbesondere im mehrheitlich russischsprachigen Südosten. Nur in den Wahlbezirken in Frontnähe, in Luhansk und Donezk, stimmten mehr Menschen für den als prorussisch angesehenen Kandidaten Jurij Boiko.

Rechtsextreme Kandidaten schnitten wie immer bei ukrainischen Wahlen sehr schlecht ab. Die wichtigste rechtsextreme Bewegung, die sich um das Freiwilligenregiment Asow schart, hatte offen und teilweise gewaltsam gegen den Präsidenten agitiert. Poroschenko bezeichnete dessen Anhänger daraufhin erstmals als das, was sie sind, nämlich als Nazis. »Die ukrainischen Rechtsradikalen hatten bei Wahlen nie eine Chance. Das Problem war immer, wie sie von Polizei, Sicherheitsdiensten und Militär geduldet und rekrutiert wurden. Das Problem lässt sich also lösen, aber es hängt von der nächsten Regierung ab«, kommentierte der Londoner Ukraine-Experte Alexander Clarkson auf Twitter.

Der Ukraine stehen jetzt einige weitere Wochen schmutzigen Wahlkampfs bevor. »Kolomojskyjs Marionette«, so Poroschenko, werde man keinen Fußbreit weichen. Der Präsident kämpft um sein politisches Überleben.

Bisher ist Selenskyj ein Protestkandidat ohne starkes eigenes Profil. Er bräuchte jetzt nicht nur ein Programm, sondern auch eine tragkräftige politische Koalition. Wer genau in der Ukraine unter ihm als Präsidenten das Sagen haben würde, wird davon abhängen, mit welchen Kräften er das Bündnis sucht, um bei der Stichwahl im April und der Parlamentswahl im Oktober zu bestehen.