Solidarität als Verbrechen

Leben retten? Verboten!

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Doch der Befund des TNI lautet: Die Kriminalisierung von Fluchthilfe und Solidarität ist keineswegs auf rechtspopulistisch regierte Staaten beschränkt. »Wir beobachten das fast flächendeckend in ganz Europa«, sagt Ben Hayes vom Transnational Institute.
Der Londoner Think Tank »Institute of Race Relations« legte Ende April einen Bericht vor. Demnach standen in der EU 2018 insgesamt 99 Men­schen wegen Hilfeleistungen vor Gericht, oder es wurde gegen sie ermittelt. 2017 habe die Zahl noch bei 45 gelegen. Die Zahl der verfogten »Solidaritätsverbrechen« steige. Es seien »neue Straftatbestände entstanden, wie die Gefährdung der Sicherheit von Seefahrt und Flughäfen, Spionage, Bildung einer kriminellen Vereinigung, Mitgliedschaft in der Organisierten Kriminalität. Wir erleben, dass Gesetze, die gegen Terror und die Mafia gerichtet sind, auf Organisationen und Einzelpersonen angewendet werden, die Flüchtlingen und Migranten helfen. In einigen Fällen wurden ihre Telefone abgehört und ihre Bankkonten gesperrt.«

Im Mai legte die NGO Open Democracy eine Erhebung vor. Sie zählt mehr als 250 Personen in 14 Ländern, die in den vergangenen fünf Jahren wegen Unterstützung von Migranten verhaftet, oder angeklagt wurden oder gegen die ermittelt wurde – wegen Dingen wie der »Bereitstellung von Nahrung, Unterkunft, Transport oder anderer Unterstützung«. Die meisten Fälle gab es in: Italien, Griechenland, Frankreich, Großbritannien, Deutschland, Dänemark und Spanien.

Unter diesen Fällen sind auch deutsche Priester, die sich wegen der Gewährung von Kirchenasyl verantworten müssen oder mussten. Erst im April waren Gemeindebüros und private Arbeitszimmer von fünf Pfarrern wegen mittlerweile beendeter Kirchenasyle im Rhein-Hunsrück-Kreis durchsucht worden. Die Evangelische Kirche zeigte sich erschüttert. »Diese Eskalation haben wir noch nicht gehabt«, sagte der Migrationsexperte Rafael Nikodemus dem Evangelischen Pressedienst. »Wir spüren einen enormen Druck der Ausländerbehörden.« Es würden immer mehr Strafanzeigen gegen Pfarrer ­gestellt.