Der Film »Vox Lux«

Gaga Story

Brady Corbets Filmdrama »Vox Lux« verschränkt Schulamokläufe und Terroranschläge mit der Biographie einer Diva. Was als große Poperzählung angelegt ist, verheddert sich in Klischees.

Als Brady Corbet seinen Debütfilm »Childhood of a Leader«, der die Kindheit eines späteren Faschistenführers erzählt, bei den Filmfest­spielen in Venedig 2014 vorstellte – und zwei Löwen einheimsen durfte –, waren Zuschauer wie Kritiker überrascht von der gewissen Prise Seltsamkeit. Nun kommt der zweite Spielfilm des charismatischen Regisseurs in die Kinos. Begonnen hat Corbet als Schauspieler. So war er unter anderem in der Serie »24« und in ­Michael Hanekes amerikanischem Remake von »Funny Games« zu ­sehen. Mit »Vox Lux« setzt der Regisseur nun da an, wo er mit »Childhood of a Leader« abgeschlossen hat und widmet sich den Tragödien der Gegenwart.

Es wirkt, als versuche Corbet den Stil von Michael Haneke und Lars von Trier zu kopieren. Leider mangelt es ihm aber an den guten Ideen seiner Vorbilder.

Im Mittelpunkt steht die Biographie der Popsängerin Celeste. Die verschachtelte Film­erzählung spingt zu Beginn zurück ins Jahr 1999. Nach den großen Ferien finden sich die Schülerinnen und Schüler einer Highschool in ihren Klassenräumen ein, als ein Mitschüler dazu tritt, ­seinen Namen nennt und das Feuer eröffnet. Celeste (Rafferty Cassidy) entkommt dem Tod nur knapp und muss wochenlang Reha-Maßnahmen über sich ergehen lassen. Auf dem im Fernsehen ausgestrahlten Schulgottesdienst singt sie ein Lied für die Opfer, das ihre Schwester, eine Songwriterin, geschrieben hat. Mit dem Lied, das ihr helfen sollte, die Eindrücke der Schultragödie zu verarbeitet, wird sie zum Medien­star. Ein findiger Talentscout, absurd abstoßend gespielt von Jude Law, weiß, wie man aus der Tragödie eine atemberaubende Karriere formen kann.  

Jahre später ist aus Celeste, nun ­gespielt von Natalie Portman, nicht nur ein Megastar mit schwerem Drogenproblem geworden, sondern auch Mutter einer Tochter, die, wie die junge Celeste, von Rafferty Cassidy dargestellt wird. Aus dem ehemals vorsichtigen und schüchternen Mädchen ist eine herrische Diva geworden, deren Aufstieg zur Popikone eng mit einem zum Medienereignis ­gewordenen Terrorakt verzahnt ist.

Steril, holprig, lustlos

Die Handlung des Films ist in mehrere Akte aufgeteilt und schildert insgesamt 18 Jahre im Leben von ­Celeste. Ein paar Jahre nach dem Massaker wird es ruhiger um sie. Ein geplantes Comeback scheitert, als das Gerücht aufkommt, dass ihre Musik eine Gruppe von Terroristen  inspiriert habe. Der Film endet mit ­einem furiosen Konzert, das Celeste das ersehnte Comeback beschert.

Ein Hauch von Flashdance im Ballettsaal. Rafferty Cassidy spielt sowohl die junge Celeste als auch Celestes Tochter.

Bild:
Atsushi-Nishijima

Die Nacherzählung des Plots vermag nur unzureichend darzustellen, was der Kern des Films ist oder sein soll. Das liegt auch an der merkwürdigen Regie. Es wirkt, als versuche ­Corbet den Stil von Michael Haneke und Lars von Trier zu kopieren. ­Leider mangelt es ihm aber an den guten Ideen seiner Vorbilder. Den ­Dialogen fehlt jegliche Verve, sie sind meist steril, häufig holprig, lust- und stillos. Die schauspielerische Darbietung bleibt wenig greifbar, Portmans New-Jersey-Akzent wirkt gestelzt und gekünstelt.

Dabei besitzt der Film durchaus sinnliche Qualitäten. Die Bild­kompositionen haben einen spröden, fesselnden Charme, das grobe Korn der Bilder in der ersten Hälfte ist fast haptisch, skulptural und ­sowohl Bild- als auch Tonschnitt sind vir­tuos. Corbet erschafft eine Welt des gelebten Startums zwischen Hotel­interieur und Arena-Show.
Was den Film rettet, ist die Musik. Der Soundtrack mit den von Sia ­geschriebenen Songs, die von Rafferty Cassidy und Natalie Portman interpretiert werden, schafft ein Gefühl der Depersonalisierung, der tiefliegenden Melancholie, des Fluchs und des Verwunschenseins. Die lang­gezogenen Streicher, die pompösen Orchestersätze, die an Krzysztof ­Penderecki und Twin Peaks erinnern, stammen von dem kürzlich ver­storbenenen Scott Walker, ehemals Gründer der Walker Brothers. Der Score des Films ist seine letzte abgeschlossene Arbeit. Nichtsdestotrotz hinterlässt »Vox Lux« mit seinem Anspruch, ein »21st century portrait« zu zeichnen, große Fragezeichen.

Faustischer Pakt auf den letzten Metern

In Interviews erzählte Natalie Portman von den Techniken, mit denen sie versucht habe, ihrer Figur den nötigen Hauch Wahnsinn zu verleihen. Es gehe um das Porträt einer mit Pop, Terror und Amok aufgewachsenen Generation. Erwähnt werden die Fernsehauftritte und -ausraster des Rappers Kanye West, das Neben­einander von Terror und Celebrity-Kultur in den Medien und die You­tube-Videos zum Thema Ketamin als Betäubungsmittel. Letzterer Punkt bedarf einer Erläuterung: Corbet erzählte der Schauspielerin und studierten Psychologin Portman vom sogenannten K-Hole, der Trennung von Geist und Körper unter dem Einfluss des dissoziativ wirkenden ­Medikaments. Nahtoderfahrung und ozeanische Selbstentgrenzung sind die erwünschten Folgen des Konsums dieser Droge.

»I get it«, soll sie dem Regisseur geschrieben haben. Doch hat sie das auch umgesetzt? Wer sich den Film anschaut, muss dies bezweifeln, denn ihre Darstellung lässt eine Auseinandersetzung mit dem Rausch ver­missen und bleibt bloß effekthascherisch. Der Blutrausch des Amok­läufers, der Selbstüberschätzungsrausch eines Popstars und der ­Drogerausch werden nebeneinander gestellt. Es scheint, als ob Regisseur und Schauspielerin sich dabei verheddert haben. Banal und gewöhnlich geht es nur um die Drogen­missbrauchsfälle, die Celeste zu dem machen, was sie ist: unausstehlich egozentrisch.

Brady Corbet ist ein fraglos talentierter Regisseur, das beweisen ­seine vorherigen Filme. Sie sind streckenweise beeindruckend inszeniert, sogar schön und mitreißend. Schade ist jedoch, dass er sich nicht auf seinen Stoff verlassen möchte, sondern mit banalen Wendungen und Ideen aufwartet. So muss muss auf den letzten Metern des Films noch ein faustischer Pakt entfaltet werden, der dem Publikum noch ein »Oh« entlocken soll.

Vox Lux (USA 2018), Buch und Regie: Brady Corbet. Filmstart 25. Juli