Die gesammelten Schriften Otto Kirchheimers

Freiheit und Verfassung

Der Staatstheoretiker Otto Kirchheimer gehörte zum Horkheimer-Kreis. In seinen Schriften spiegeln sich die Konflikte und Erfahrungen der Weimarer Republik, des Nationalsozialismus, des amerikanischen Exils sowie der beiden deutschen Staaten.

In sechs Bänden erscheinen seit 2017 im Nomos-Verlag die gesammelten Schriften des Juristen und Politikwissenschaftlers Otto Kirchheimer (1905–1965). Herausgegeben werden sie von den beiden Greifswalder ­Politologen Hubertus Buchstein und Henning Hochstein. Der nun erschienene zweite Band mit Aufsätzen, Notizen und Rezensionen zum Verhältnis von »Faschismus, Demokratie und Kapitalismus« bietet einen ­guten Einblick in das Denken eines der wichtigsten Autoren der politik- und rechtstheoretischen Emigration. Die insgesamt 25 Beiträge Kirch­heimers sind zwischen 1933 und 1945 im Exil in Paris und New York und nach dem Sieg der Alliierten über Nazideutschland bis 1965 entstanden. 

Rezeptionsgeschichtlich fällt die Herausgabe der Kirchheimer-Edition in eine Zeit gesteigerter Aufmerksamkeit für die Weimarer Republik und ihre politische, soziale und ökonomische Dynamik: In diesem Jahr werden nicht nur der 100. Jahrestag der Weimarer Verfassungs­gebung und des Frauenwahlrechts begangen, es werden auch Analogien zwischen dem Scheitern der Weimarer Republik und gegenwärtigen Krisensymptomen westlicher Demokratien diskutiert. Doch ein solcher Vergleich, so sinnvoll er in Ansätzen auch sein kann, zwingt zugleich zu ­einer differenzierten historischen Auseinandersetzung mit der Weimarer Republik, ihrem Scheitern und mit dem Aufstieg des National­sozialismus. Die Schriften Weimarer Intellektueller, die sich aktiv am Aufbau der historischen sozialen ­Demokratie beteiligten, bieten hierfür einen Zugang. Sie trugen zur Debatte um Entwicklung und Erosion des Weimarer Parlamentarismus bei und diskutierten in der Emigration über Form und Charakter der nationalsozialistischen Herrschaft.

Der 1905 geborene Otto Kirchheimer lässt sich politik- und ideen­geschichtlich in eine Generation deutsch-jüdischer Kommunisten und Sozialisten einordnen, der auch Theoretiker wie Ernst Fraenkel und Franz L. Neumann angehörten. Alle drei interessierten sich auf unterschiedliche Weise für Varianten der dialektischen Gesellschaftstheorie. Sie kannten einander aus den rechtswissenschaftlichen Auseinander­setzungen über die sozialistische Interpretation der Weimarer Reichsverfassung, stritten über die Frage, wie und ob auf dem Boden dieser Verfassung eine sozialistische Gesellschaft errichtet werden könne. Sie beteiligten sich aktiv an Aufbau und Weiterentwicklung eines für Deutschland neuen demokratischen Staats-, Straf- und Arbeitsrechts.