In Israel steht die Archäologie unter Ideologieverdacht

Tollgeworden vor der Mauer

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Von palästinensischer Seite wird ein islamisch legitimierter Anspruch auf Jerusalem erhoben, aber auch ein Erstbesitzrecht auf Israel geltend gemacht. Die Waqf-Behörde, die für die Verwaltung des Tempelbergs zuständige ­islamische Stiftung, richtete mit einem Bauprojekt zur Schaffung einer Ge­betsstätte Ende der neunziger Jahre immensen archäologischen Schaden an. Die meisten Grabungsplätze unterstehen aber israelischen Behörden.

An sich lässt sich der Streit um das historische Besitzrecht leicht klären. Es ist unbestritten, dass das Judentum vor Christentum und Islam entstand. Die Philister, die Palästina ihren Namen gaben, kamen, wie jüngst abgeschlossene DNA-Tests an Knochenfunden in Ashkelon bestätigten, aus Südosteuropa. Die Arabisierung erfolgte im frühen 7. Jahrhundert im Rahmen der islamischen Eroberung. Eine palästinensische Nation wurde erst in den frühen sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts propagiert, mehr als ein halbes Jahrhundert nach dem Entstehen des modernen Zionismus. Der palästinensische Anspruch, zuerst dagewesen zu sein, ist somit politische Mythologie, während die Juden sich zumindest auf zwei Kulturmerkmale, die Religion und die Sprache, berufen können, die seit knapp 3 000 Jahren in »Palästina« nachweisbar sind.

Welche politische Bedeutung historische Ansprüche haben sollten, ist eine andere Frage; die Notwendigkeit eines jüdischen Staates würde auch durch überraschende archäologische Funde nicht aufgehoben. Der Zionismus folgte jedoch dem Vorbild anderer Nationalbewegungen des 19. Jahrhunderts und suchte nach historischen »Wurzeln«, seit 1948 auch mit den Mitteln der Archäologie. Bald traten Differenzen zutage. Yigael Yadin, ehemals Haganah-Kommandant und General­stabschef der IDF, hoffte, Belege für die im Tanach beschriebenen militärischen Konflikte zu finden. Yohanan Aharoni, Kibbuznik und linker Zionist, wollte beweisen, dass friedliche Siedlungstätigkeit entscheidend für die Inbesitznahme des Landes war. Derzeit wird vor allem darüber gestritten, ob archäologische Funde die Historizität der Überlieferung ausreichend belegen, also etwa ein in der »Stadt Davids« gefundener Palast tatsächlich König David zuzuschreiben ist. Differenzen dieser Art sind wissenschaftliche Normalität und können durchaus fruchtbar sein, wenn beide Seiten auf der Grundlage der Fakten streiten und seriös arbeiten.