In Israel steht die Archäologie unter Ideologieverdacht

Tollgeworden vor der Mauer

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Bei manchen von der derzeitigen ­Regierung, maßgeblich von Kultur­ministerin Miri Regev (Likud), geförderten Projekten ist jedoch ein Trend zum »archäologischen Nationalismus« ­unübersehbar. In Jerusalem arbeitet die Israel Antiquities Authority (IAA) mit der Elad Association/Ir David Foundation zusammen, die sich auf das Erbe König Davids beruft und die Verbindung der Juden zu Jerusalem stärken will. Zu den Projekten gehört der nicht nur von Ezrahi und Mizrachi kritisierte »Pilgerpfad« in Jerusalem, ein Tunnel, der angeblich einem zur Zeit von Pon­tius Pilatus überirdischen Weg zum Zweiten Tempel folgt. Gesichertes Wissen ist das nicht, das Projekt wurde wegen der Methode der horizontalen Grabung von zwei hochrangigen IAA-Beamten als »schlechte Archäologie« kritisiert, zudem klagen palästinensische Einwohner des über dem Tunnel liegenden Viertels Silwan über Schäden an ihren Häusern. Bei der feierlichen Eröffnung des Tunnels Ende Juni waren unter anderem Sara Netanyahu, die Ehefrau des Ministerpräsidenten, und der US-Botschafter David Friedman anwesend, der sagte, es handele sich »ebenso um ein Erbe der USA wie Israels«.

Da die jüdische Überlieferung als Altes Testament ins Christentum überführt wurde und in Form zahlreicher Erzählungen in den Koran Eingang fand, gibt es recht viele Ansprüche auf dieses »Erbe«. Das macht das historische Verständnis nicht einfacher. Der ­Tanach, der zahlreiche – oft überarbeitete – Quellen von der trockenen Chronik über das schlüpfrige Hohelied bis zu prophetischen Visionen vereint, ist keine Geschichtsschreibung im heutigen Sinne. Zudem ist die antike ­Erzählweise eine gänzlich andere als die moderne, sie ist oftmals symbolisch kodiert und mythologisch überhöht. Die Sphären des Göttlichen und des Menschlichen sind im antiken Denken einander viel näher, als sie es in der Vorstellungswelt selbst sehr religiöser Menschen unserer Zeit sind; Moses etwa verhandelt mit Gott wie ein Gewerkschafter mit einem cholerischen Chef.

Die Wunder im Zuge des Exodus sollen den göttlichen Beistand dokumentieren, insofern waren sie für damalige Zuhörer »wahr«, ohne dass diese in ihrem Alltag erwartet hätten, von Gott wie die Juden des Exodus mit einem Wachtelregen bedacht zu werden. Belege für die Flucht aus Ägypten gibt es nicht. Aber hätten die Juden ihrem wichtigsten »National­helden« einen ägyptischen Namen gegeben, wenn alles erfunden wäre? Antike Überlieferung hat in der Regel ­einen realen Bezugspunkt, da eine Gesellschaft, die ihre Erfahrungen tradiert, sich nicht ohne weiteres eine fiktive Herkunft auferlegen lassen würde.