Die Gedenkstätte in der belgischen Festung Breendonk, in der die SS einst Häftlinge folterte

Die Hölle von Breendonk

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Reportage Von

Dennoch war das Maß an Grausamkeit, das im Fort angewendet wurde, beispiellos. »Breendonk wurde zugleich zum Propagandainstrument. Man wollte in Belgien vermitteln: Wer sich nicht unterordnet, wer Widerstand leistet, kann sich schnell in Breendonk wiederfinden«, erläutert Schram.

»Gestehst du nicht, dann geht’s nach Breendonk, und was das heißt, weißt du«, habe auch Améry beim ersten Verhör im Brüsseler Hauptquartier der Gestapo in der Avenue Louise zu hören bekommen, nachdem er am 23. Juli 1943 als Angehöriger einer deutschsprachigen Organisation innerhalb der belgischen Widerstandsbewegung verhaftet worden war. Wusste er, was Breendonk bedeutet? »Ich wusste und wusste nicht«, schrieb Améry. Er hatte die »KZ-Literatur der deutschen Emigration von 1933 an« gelesen und glaubte »vorauszusehen, was mir bevorstand«.

Folter und Erniedrigung

Wie die Konzentrationslager in Deutschland und andernorts zielte auch Breendonk auf die Erniedrigung und Entmenschlichung der Insassen ab – durch Unterernährung, Schläge, Zwangsarbeit. Eine Arbeit, die »komplett sinnlos war«, betont Roden: »Es ging darum, die Erde, die das Fort umgab, wegzuschaufeln, um sie auf die andere Seite des Grabens zu befördern.«

Ab September 1941 wurde die Wachmannschaft durch Männer der All­gemeinen SS in Flandern verstärkt, die bald die Mehrheit der Bewacher stellten. Sie befehligte der aus Berlin-Charlottenburg stammende SS-Untersturmführer Arthur Prauss. Er war Schmitts Stellvertreter und übernahm die Leitung des Lagers.

»Er war klein, von gedrungener ­Gestalt und hatte jenes fleischige, sanguinische Gesicht, das man wohl in der Banalphysiognomik ›bärbeißig-gutmütig‹ nennen würde«, beschreibt Améry den Mann, an dessen Handgelenk oft ein Ochsenziemer baumelte. Er war nicht nur Herr über das Lager, sondern auch über die Folterkammer.
In den kleinen, kahlen Raum gelangt man über einen schmalen Flur links vom Gewölbekorridor. Auf einem unscheinbaren Tisch, der an eine Schulbank der damaligen Zeit erinnert, liegen grobe Werkzeuge aus schwarz angelaufenem Metall, die wie Schürhaken aussehen.

An der Decke hängt eine Spule, über die ein Strick läuft, daran ein eiserner Haken. An ihm ließ Prauss Menschen zur Folter aufhängen. »›Jetzt passiert’s‹, sagte er rasselnd und gemütlich zu mir«, erinnert sich Améry in »Die Tortur« an die letzten Momente, ehe Prauss mit der Folter begann. Was dann geschah, berichtet er nur bruchstückhaft, denn: »Es wäre ohne alle Vernunft, hier die mir zugefügten Schmerzen beschreiben zu wollen.«

 

Prauss war es damals auch, der die flämischen SS-Angehörigen anspornte. Diese waren allesamt Freiwillige, die sich an die Ostfront gemeldet hatten, dann jedoch wegen einer Verwundung oder aus anderen Gründen nach Breendonk kamen. »Bei den meisten Todesfällen und Misshandlungen war die flämische SS im Spiel«, sagt Roden und nennt die Namen der beiden ­berüchtigtsten unter ihnen: Fernand Wyss und Richard De Bodt. »Das ist die Hölle und ich bin der Teufel«, so soll Wyss seine Rolle in Breendonk beschrieben haben.

Obwohl die Militärverwaltung anfangs versichert hatte, es werde nicht dazu kommen, wurden ab Herbst 1942 Hunderttausende Belgierinnen und Belgier zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschickt. »Das verstärkte den Widerstand in Belgien und bedeutete auch, dass die Deutschen andere Maßnahmen ergriffen als zuvor«, so Roden. Neben der Einrichtung der ­Folterkammer zählte dazu die Hinrichtung von Geiseln als Vergeltung für Aktionen der Résistance.

Vernichtung und Widerstand

Indes verließen immer mehr Transporte Breendonk in Richtung der Konzent­rationslager, etwa nach Flossenbürg oder Mauthausen. Juden waren zu ­diesem Zeitpunkt kaum mehr in Breendonk. Am 27. Juli 1942 war in Mechelen die Kaserne Dossin als »Sammellager für Juden« eröffnet worden, von wo aus die belgischen beziehungsweise nach Belgien geflüchteten Jüdinnen und Juden ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert und dort ­ermordet wurden.

»Das SS-Sammellager Dossin wurde viel diskreter geführt und war viel we­niger bekannt«, sagt Laurence Schram. 24 906 als Juden verfolgte Personen aus Belgien und Nordfrankreich wurden über Mechelen nach Auschwitz ­deportiert.
Doch auch nach der Eröffnung der Kaserne Dossin wurden manchmal noch Juden nach Breendonk gebracht, so wie Jean Améry, der nicht als Jude, sondern wegen seiner Widerstandstätigkeit verhaftet worden war. Oder die 37 jüdischen Häftlinge, denen die SS vorwarf, Brot und Zigaretten in die ­Kaserne Dossin geschmuggelt haben. Philipp Schmitt, der inzwischen auch das Lager in Mechelen leitete, ließ sie nach Breendonk bringen. »Innerhalb von wenigen Tagen waren elf dieser 37 Personen tot«, sagt Schram. »Sie wurden in den Wassergraben geworfen, wollten wieder herausklettern, doch Wyss und De Bodt stießen sie ins Wasser zurück, schlugen mit Schaufeln und Gewehrkolben auf sie ein.«

Angesichts all dessen nahm der Widerstand in Belgien im Verlauf des Jahres 1943 weiter zu, weshalb die Militärverwaltung nach neuen drakonischen Maßnahmen suchte. Künftig sollten für »terroristische Akte« Verurteilte nicht mehr erschossen, sondern erhängt werden.