Prozess gegen SS-Wachmann

Handlanger der Vernichtung

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Die Hauptverhandlung wird unter Ausschluss der Öffentlichkeit vor einer Jugendstrafkammer des Landgerichts geführt, denn im Tatzeitraum war Bruno D. 17 beziehungsweise 18 Jahre alt. Zu seinen Aufgaben gehörte es, Flucht, Revolte und Befreiung der Gefangenen zu verhindern. Die Staatsanwaltschaft beschuldigt ihn, »als ›Rädchen der Mordmaschinerie‹ in Kenntnis aller Gesamtumstände dazu beigetragen zu haben«, dass der im Sommer 1944 an den Lagerkommandanten ergangene Tötungsbefehl des Wirtschaftsverwaltungshauptamts der SS ausgeführt werden konnte.

Während D.s Einsatz wurden Gefangene durch Genickschuss oder durch das Giftgas Zyklon B getötet. Mehrere Tausend Menschen starben wegen der lebensfeindlichen Bedingungen in dem KZ, etwa weil ihnen Essen und Wasser verweigert wurde, wie der Staatsanwalt am ersten Verhandlungstag ausführte. Er erklärte auch den Aufbau der als Arztstube getarnten Genickschussanlage. Dort mussten die Gefangenen sich an Messlatten aufstellen. Durch eine kleine Öffnung in der Wand wurden sie erschossen.

Ein Sachverständiger des nordrhein-westfälischen Landeskriminalamts, der mit einem Kollegen das frühere KZ-Gelände untersucht hatte, beschrieb am zweiten Verhandlungstag nüchtern und mit winzigen Karten in einer Powerpoint-Präsentation die Lage der Baracken, der Zäune, die Anordnung der 25 Wachtürme und die Lage des sogenannten Scheiterhaufens, auf dem die Leichen der Häftlinge verbrannt wurden. 

»An wenig von dem, was gezeigt wird, kann ich mich erinnern«, sagte Bruno D. dazu am Freitag. Wie hoch waren die Wachtürme? Was war die innere, was die äußere Postenkette? Wie weit waren die Wachtürme von der Gaskammer, dem in unmittelbarer Nähe stehenden Galgen, dem Krematorium und den zu Gaskammern um­gebauten Waggons der Lagerbahn entfernt? Die Vorsitzende Richterin Anne Meier-Göring fragt nach, will sich ein Bild davon machen, was Bruno D. in den knapp neun Monaten als Wachmann mitbekommen haben könnte. 

Für Cohen ist es nicht leicht, diese technischen Beschreibungen zu hören. Der Jungle World sagt er: »Ich bin in ­einer Familie aufgewachsen, in der viel über den Holocaust gesprochen wurde. Und wenn ich die Augen schließe, habe ich Stutthof genau vor mir und auch all die furchtbaren Dinge, die dort geschehen sind.«
Bruno D. bestreitet nicht, dass er SS-Wachmann in Stutthof war. Bereits 1975 und 1982 sei dem Polizeipräsidium Hamburg dies durch seine Zeugenaussagen bekannt gewesen. D.s Anwalt wirft dem Gericht deshalb eine »rechtsstaatswidrige Verzögerung der Anklage« vor.