Gefahren für die Demokratiebewegung in Hongkong

Ungesunde Gedanken

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Offenbar handelt es sich um ein großangelegtes Experiment des social engineering, mit dem festgestellt werden soll, ob es möglich ist, eine ganze Bevölkerungsgruppe, in Xinjiang Uiguren und andere Muslime, zur Anpassung ihrer Lebensweise an neue staatliche Vorgaben zu zwingen.

Dass es nicht um die Verfolgung von Straftaten geht, wird in den »China Cables« erneut deutlich. Vielmehr werden »ungesunde Gedanken« als eine Infektion betrachtet, die es durch Quarantäne und Zwangsbehandlung der »Erkrankten« auszumerzen gelte. Zwar ist von »religiösem Extremismus« die Rede, zu dessen Symptomen aber bereits ein Vollbart, die Spende für eine Moschee oder die Nikotinabstinenz gezählt werden.

Es ist daher keineswegs paranoid, wenn die Protestierenden in Hongkong befürchten, dass die chinesische Regierung mit ähnlichen Methoden gegen sie vorgehen wird. Die »ungesunden Gedanken« der Demokratiebewegung sind für deren Herrschaft weitaus gefährlicher als die nur für die muslimische Minderheit relevante kulturelle Abgrenzung von Uiguren. Das Ergebnis der Kommunalwahl in Hongkong vom Sonntag zeigt, wie weit die »Infektion« fortgeschritten ist. Da die Wahlen für die nicht sehr einflussreichen Distriktvertretungen als Referendum über die Proteste betrachtet wurden, verdoppelte sich die Wahlbeteiligung und prodemokratische Kandidaten gewannen 55 Prozent der Stimmen.

Ob die ökonomische Bedeutung Hongkongs der Demokratiebewegung auf Dauer einen Schutz bietet, ist fraglich, zumal wenig dafür spricht, dass ein Ende der Autonomie der Stadt die internationale Geschäftswelt abschrecken würde. In Xinjiang haben nicht zuletzt deutsche Konzerne eifrig investiert. Das Joint Venture, mit dem VW dort produziert, hat ein Abkommen mit der Bewaffneten Volkspolizei geschlossen. Dieses sieht für neue Mitarbeiter »patriotische Erziehung« vor, damit am Fließband keine ungesunden ­Gedanken aufkommen.