In den Ländern Osteuropas ist die Lebenserwartung seit 1989 gestiegen

Länger leben ohne Zukunft

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Die Abwanderung von Ärzten ist nicht das einzige Problem des osteuropäischen Arbeitsmarkts. Seit dem EU-Beitritt haben Tausende Pflegekräfte ­Ungarn und Polen verlassen, in den meisten anderen osteuropäischen Staaten ist die Lage ähnlich. »Sollte sich an den Zuständen nichts ändern, droht Osteuropa ein medizinisches Desaster«, kommentierte das Ärzteblatt bereits vor drei Jahren. Seitdem hat sich nicht viel verändert.

Die prekären Bedingungen schlagen sich auch in der Lebenserwartung nieder. Global betrachtet ist die Lebenswartung seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts um fast 50 Prozent gestiegen. In Westeuropa liegt sie nach Angaben der Weltgesundheitsbehörde (WHO) durchschnittlich bei rund 84 Jahren, in Osteuropa hingegen ist sie deutlich ­geringer: Dort beträgt sie derzeit trotz der Steigerung der letzten Zeit rund 75 Jahre.

Innerhalb der Region weist Rumänien mit die schlechtesten Werte auf. Nur in der Republik Moldau und in Bulgarien liegen sie noch deutlich niedriger. Ein Grund dafür ist die miserable Situation, mit der Rumänien zu kämpfen hat. Denn schon einmal wurde dort ein »goldenes Zeitalter« ausgerufen, das vor 30 Jahren, am 25. Dezember 1989, ein abruptes Ende fand. An diesem Tag wurde der »Erlöser der Erde« und »Gigant der Neuzeit«, wie sich der damalige rumänische Diktator Nicolae Ceaușescu unter anderem titulierte, zusammen mit seiner Ehefrau hingerichtet.

Ceaușescu hatte in den sechziger Jahren ein ehrgeiziges Industrialisierungsprogramm initiiert, das jedoch weitgehend scheiterte. Um die dafür im Westen aufgenommenen Schulden abzuzahlen, verordnete er der Bevölkerung ein rigoroses Sparprogramm. Weil die Industriegüter wegen ihrer schlechten Qualität im Ausland kaum Abnehmer fanden, wurden vor allem Nahrungsmittel exportiert. Die Folge war eine extreme Mangelwirtschaft, in der selbst die notwendigsten Lebensmittel zu Luxusgütern wurden. Angesichts der weit verbreiteten Unter­ernährung empfahl der Präsident der Bevölkerung, die Ernährung auf »Wurzeln und Beeren« umzustellen, wie der Spiegel damals berichtete. Zudem fehlten Devisen für die Energieversorgung, so dass selbst in den strengen ­rumänischen Wintern Wohnungen nur für sechs Stunden am Tag auf maximal zwölf Grad beheizt werden konnten.

Zugleich verfolgte die Regierung eine expansive Bevölkerungspolitik, um die Bedeutung des Landes zu steigern. Jede Rumänin sollte mindestens vier Kinder bekommen, Abtreibung war unter Androhung drakonischer Strafen verboten. Nach dem Ende der Ära Ceaușescu gingen Bilder von Tausenden völlig verwahrlosten Kindern um die Welt, die ohne jegliche Betreuung in Pflege- und Waisenheimen lebten. Viele Eltern setzten ihre Kinder aus, weil sie für ihren Unterhalt nicht mehr aufkommen konnten. Die Kindersterblichkeit in Rumänien gehörte zu den höchsten der Welt. Die durchschnittliche Lebenswartung betrug rund 69 Jahre, in manchen Berufen und Regionen lag sie noch deutlich niedriger. Angesichts der finsteren Vergangenheit erscheint die Gegenwart daher vielleicht nicht golden, aber doch zumindest in einem etwas helleren Licht.