Die Geschichte von Peter Kember, dem ehemaligen Mitglied von Spacemen 3, der jetzt unter dem Namen Sonic Boom Musik macht

Bloß kein Schnickschnack

Wer etwas über Peter Kember erfahren will, der unter dem Namen Sonic Boom gerade sein neues Album »All Things Being Equal« veröffentlicht hat, muss bis in die späten Achtziger zurückgehen: in die Zeit, als Kember einer der Köpfe der experimentellen Rockband Spacemen 3 war.

»Grundsätzlich: am besten ein Akkord. Zwei Akkorde sind cool, drei Akkorde okay, vier Akkorde durchschnittlich.« So beschrieb Peter Kember alias Sonic Boom 2002 in einem Interview seine musikalischen Vorlieben und auch seine Kompositionsweise. Mit der Band Spacemen 3 hatte er seit Mitte der achtziger Jahre eine minimalistische und umso inten­sivere Variante psychedelischer Rockmusik entwickelt und sich dabei auch immer stärker elektronischen Drone-Sounds zugewandt.

Nach vier mehr oder weniger gemeinsamen Alben von Spacemen 3 gingen Jason Pierce und Peter Kember, die beiden Songwriter und ehemaligen Jugendfreunde aus der mittelenglischen Stadt Rugby, ab 1990 getrennte Wege. Pierce gründete die Band Spiritualized und Kember verfolgte in erster Linie Soloprojekte unter den Namen Spectrum, E.A.R. (Electronic Audio Research) und seinem alten Bühnenalias Sonic Boom. Nach über zehn Jahren Veröffentlichungspause hat Kember nun mit »All Things Being Equal« wieder ein Soloalbum veröffentlicht, das seinen strengen Kompositionsprinzipien folgt und dem Zuhörer Benommenheit und Entrückung empfinden lässt – und das ganz ohne den Gebrauch von Drogen.

Als Spacemen 3 1988 kurz nach dem Einstieg von Bassist Will Carruthers zu einem improvisierten Konzertabend geladen waren, instruierte Peter Kember den Neuen nachdrücklich: »Nur eine Note. Halte es einfach, eine Note und kein Schnickschnack!«

In der klassischen Musik bezeichnet der Orgelpunkt (auch Pedalton genannt) einen anhaltenden oder stetig wiederholten Basston, über den sich weitere Stimmen, ob vom selben Instrument oder anderen, harmonisch und melodisch frei bewegen. Der durchgängige, unveränderte Bass bildet das Fundament des Stückes und legt damit – aller Monotonie zum Trotz – sogar die Basis für eine gewisse Erhabenheit. Der sogenannte Generalbass bestimmte vor allem die Musik des Barockzeitalters. Es würde sicher zu weit gehen, Sonic Boom andichten zu wollen, sich an klassischen Vorbildern zu orientieren, und dennoch basieren die meisten seiner Songs auf dem neuen Longplayer auf einem gleichbleibenden, in diesem Fall meist mit einem Sequencer eingespielt Basston.

Bei den ersten drei Stücken handelt es sich sogar um die gleiche Note, die da immer wieder gespielt wird, so dass sie wunderbar anein­ander anschließen und man nach knapp 20 Minuten Spielzeit gut auf das dauende C eingestellt ist, über das hinweg Sonic Boom von Imagination und Einfachheit (»Just Imagine«), von Vergänglichkeit und Verschmelzung (»Just a Little Piece of Me«) oder von Versunkenheit und Frieden singt. Der dritte Titel »Things Like This (A Little Bit Deeper)« erschien kürzlich mit einem trippigen, am Computer gerenderten Anima­tionsvideo als dritte Auskopplung des Albums. Bei dem Lied wechseln sich dann doch schon zwei Orgelakkorde über dem Grundton ab, laut Kember also nur noch »cool«.

Der ehemalige Bassist von Spacemen 3, Will Carruthers, hat vor ein paar Jahren mit »Playing the Bass with Three Left Hands« eine Art Autobiographie geschrieben, in der er vor allem über die Zeit von 1988 bis 1992 berichtet, als er das dritte Album von Spacemen 3, »Playing With Fire« (1989), Kembers Solo-Debüt »Spectrum« (1990) und außerdem das ­Debütalbum von Spiritualized (»Lazer Guided Melodies«, 1992) mit einspielte. Finanziell war diese Zeit für ihn persönlich ein völliges Desaster, auch davon handelt das Buch. Und sein extensiver, eindrücklich beschriebener Drogenkonsum mag zwar von der existentiellen Misere abgelenkt haben, aber er hat diese Situation sicher auch nicht verbessert. Neben Hepatitis C schenkte der Rausch Carruthers allerdings auch die eine oder andere unterhaltsame Begebenheit, die der Bassist und Autor mit seinem trockenen Humor zu Papier gebracht hat.

Als Spacemen 3 1988 kurz nach dem Einstieg von Carruthers zu einem improvisierten Konzertabend in einer Kunstgalerie geladen waren, instruierte Kember den neuen Bassisten nachdrücklich: »Nur eine Note. Halte es einfach, eine Note und kein Schnickschnack!« Die Veranstaltung, die als Vorprogramm für die Präsentation eines Films von Wim Wenders dienen sollte, war missverständlich betitelt als »An Evening of Contemporary Sitar Music«. Mal abgesehen von der Frage, was zeitgenös­sische Sitar-Musik denn wohl sein solle, hatte die Band gar keine Sitar dabei, sondern drei Gitarren und ­einen Bass. Während Kember und Pierce auf ihren Gitarren weltvergessene und effektvolle Melodiebögen und Drones hervorbringen wollten, sollten Carruthers und der extra mitgebrachte Gastgitarrist lediglich einen Ton beziehungsweise einen Akkord halten, und zwar 45 Minuten lang. Nach dem Konzert, das beim Kunstpublikum in erster Linie für Irritation sorgte, musste Carruthers feststellen, dass er den Bassverstärker überhaupt nicht angestellt hatte. Es war ihm, hier ausnahmsweise nur bekifft, selbst gar nicht aufgefallen. Die später unter dem Titel »Dreamweapon« erschienene Aufnahme ist jedoch noch zeitloser und schöner als die meisten regulären Veröffent­lichungen der Band. Und man kann sie, apropos Traum, hervorragend zum Einschlafen hören.

In deutlicher Abgrenzung zu New-Age-Musik oder manch anderen hippiesken Psychedelic-Klängen enthalten Kembers Stücke, ob damals oder heute, selbst wenn sie stilistisch bisweilen ähnlich erscheinen mögen, oftmals auch dunkle, verstörende Facetten. Diese finden sich nicht nur in den an Velvet Underground, Suicide und den Stooges geschulten Noise-Ausbrüchen vom Spacemen 3, sondern ebenso in den ruhigeren Songs und elektronischen Ambient-Stücken. 2004 stellte Kember eine Kompilation namens »Spacelines – Sonic Sounds for Subterraneans« zusammen, auf der er eine Reihe seiner Lieblingssongs, wichtige Einflüsse und Vorbilder, insbesondere aus den Sechzigern versammelte. Von Blues und Gospel bis hin zu Psych-Folk und Garage-Rock handelt es sich durch die Bank um die leicht versponnenen und manchmal sogar ein wenig unheimlichen, um die außerordentlichen und jenseitigen Unikate der Stilrichtungen: von den Staple Singers und Bo Diddley über Sun Ra bis zu Evie Sands und Daniel Johnston. Entrückende Musik, der auch Kember und Pierce bis heute offen Reverenz erweisen.

Im Unterschied zu Pierce war Kember immer sehr auskunftsfreudig, was seinen Umgang mit Drogen ­betraf, und er verknüpfte dies mit poli­tischen Forderungen nach einer liberaleren Drogenpolitik, um wenigstens zu verhindern, dass die Konsumierenden intravenöser Betäubungsmittel unter unhygienischen Bedingungen dieselbe Spritze benutzen. Es sollte aber noch eine Weile dauern, bis sich Spritzenautomaten und Fixerstuben als vernünftige Maßnahmen durchsetzen konnten: Kember ist auch in dieser Hinsicht ein Vorreiter.

Dass er in der Zusammenarbeit durchaus ein schwieriger Charakter sein konnte und so einiges zur Auflösung von Spacemen 3 beitrug, daraus macht Carruthers in seinem Buch ebenfalls keinen Hehl. Als 1991 das letzte Album »Recurring« herauskam, war die Band informell bereits eine Weile aufgelöst, und im Studio waren sich die beiden Songwriter ohnehin schon eine Weile aus dem Weg gegangen. Die A-Seite der Platte stammt von Kember, die B-Seite von Pierce. Man hört ihnen die jeweilige Entwicklung an, die die beiden Köpfe der Band anschließend unabhängig voneinander nehmen sollten, Pierce indessen mit deutlich größerem Erfolg. Kembers damalige Single-Auskopplung »Big City (Everybody I Know Can Be Found Here)« nimmt den Stil vorweg, der auch sein neues Album auszeichnet: Gitarren finden sich darin nicht mehr, stattdessen nun minimalistische, vor sich hin mäandernde Synthie- und Orgelflächen, begleitet von elektronischen Beats und repetitiven Gesängen. Auf »All Things Being Equal« befindet sich mit »The Way That You Live« eine ravige Nummer zwischen Dream Pop und Acid.

Wie einflussreich der Sound von Spacemen 3 weiterhin ist, zeigt sich nicht nur an den zahlreichen Musi­kerinnen und Musikern, die die Band als ein wichtiges Vorbild nennen, sondern zudem daran, welche Gruppen in den letzten Jahren mit Kember als Produzenten arbeiten wollten. So wirkte er an Alben von MGMT, Panda Bear und Beach House mit, die allesamt zu den bedeutenderen Adepten von (neo-)psychedelischer, experimenteller Popmusik zählen. Mit der kanadischen Shoegaze-Band No Joy wiederum veröffentlichte Sonic Boom 2018 eine gemeinsame EP.

Der Albumtitel »All Things Being Equal« bedeutet auf Deutsch in etwa »Wenn alles unverändert bleibt« oder »Alles wie gehabt«. Der abschließende Song »I Feel a Change Coming On« dementiert diese Bestandsaufnahme allerdings und Kember bleibt sich darin treu, dass es keine erfreu­liche Hippie-Utopie ist, die dort am Horizont auftaucht. Auch wenn die Dinge gleich bleiben, ist immer auch ein schlechter, düsterer Trip möglich. Und so ziehen hier zum Abschluss Gewitterwolken auf, die letzten Zeilen lauten: »I see dark clouds again/I hope it’s only bringing rain.« Dieser Hoffnung zum Trotz beendet schließlich der stilisierte Klang einer Explosion das Album.

Sonic Boom: All Things Being Equal (Carpark Records)