Das neue Album »Kein Wetter« von Friends of Gas

Und nun die Wettervorhersage

Das neue Album von Friends of Gas ist vollgepackt mit Anspielungen auf die Natur. Natürlich geht es hier aber nicht zu.

2006 erschien ein Album, das eine hitzige Feuilletondebatte auslöste. »Verbotene Früchte« hieß die Platte von Blumfeld, deren Texte nach ­Ansicht der Süddeutschen Zeitung »banal, wenn nicht total Banane« und der Zeit zufolge »betulich« ­waren. Ihrem Sänger und Texter Jochen ­Distelmeyer wurde vorgeworfen, er habe mit linkem Protest gebrochen, manche unterstellten ihm gar, er sei ein Neokonservativer geworden. Zur Begründung hieß es, das Album versammele Naturlyrik. Und ja: Zu den Klängen einer Sitar fliegen Schmetterlinge über Erdbeerfelder (»Schmetterlings Gang«), ­trocken wird dafür geworben, Tieren eine Chance zu ­geben (»Tier um uns«), und der Apfelmann im gleichnamigen Lied umsorgt die Bäume und fährt auf den Wochenmarkt.

Wenn Nina Walser, die Sängerin von Friends of Gas, mit ihrer rauen, dunklen Stimme von einem »Waldbrand« singt, meint sie damit nicht die Buschbrände in Australien oder den brennenden Regenwald in Brasilien.

Distelmeyer verabschiedete sich mit diesem Album vom Diskurspop, der sich 2006 eh schon totgelaufen hatte, und reichte seine Abschluss­arbeit an der Hamburger Schule ein (dieser Begriff tauchte das erste Mal übrigens in einer Besprechung des ersten Blumfeld-Albums auf) – und zwar mit einem solch hämischen, unterhaltsamen und vor allem grellen Humor, dass man sich nur darüber wundern kann, dass diese Texte damals ernst genommen wurden. Tatsächlich sollte »Verbotene Früchte« das letzte Album der Band gewesen sein.

Eine andere Band, die zu jung dafür ist, um unter Hamburger Schule einsortiert zu werden, aber ohnehin weder den passenden Wohnort noch den richtigen Duktus vorweisen kann, sind Friends of Gas. Die Münchner Noiserock-Band, deren Debütalbum »Fatal schwach« 2016 erschien, legen jetzt mir ihrer zweiten Platte »Kein Wetter« nach und schlagen, oberflächlich gesehen, in eine ähnliche Kerbe: Die zehn neuen Songs strotzen nur so von Verweisen auf Natur beziehungsweise Naturphänomene, in diesem Fall, wie der Titel schon nahelegt, auf Wetterphänomene.

Mit Naturlyrik beziehungsweise der Verherrlichung oder Verkitschung der Natur, wie der Vorwurf gegen Blumfeld seinerzeit lautete, ­haben aber auch die Texte von Friends of Gas nichts zu tun. Vielleicht sogar überhaupt nichts mit Natur im engeren Sinne. Denn wenn Sängerin Nina Walser mit ihrer rauen, dunklen Stimme im ersten Lied von ­einem sich ausbreitenden, nicht einzudämmenden »Waldbrand« singt, meint sie damit nicht die Buschbrände in Australien oder den brennenden Regenwald in Brasilien (auch wenn diese Assoziationen klug gestreut sein mögen) und erweist sich schon gar nicht als mahnende Umweltschützerin. Der Waldbrand, das ist eine Metapher, doch wofür, das bleibt offen. Laut einer Besprechung im Deutschlandfunk drehe sich das Lied darum, dass eigentlich kleine, unwichtige Dinge riesengroß aufgebauscht werden, was wiederum dazu nötigt, Stellung zu ­beziehen. Da könnten Kommentarspalten im Internet gemeint sein, doch enttäuscht diese simple Erklärung ein wenig bei einem solch mysteriösen Lied.

Allein, wenn man sich die englischsprachige Bezeichnung für dieses Netzphänomen in Erinnerung ruft, ergibt die Sache befriedigenden Sinn. Shitstorm nennt man es, wenn die Stimmung im Internet hochkocht und massenhaft beleidigt wird. Der »Scheißesturm« passt zu einem Album, das den Titel »Kein Wetter« trägt. Der »künstliche Himmel«, von dem Walser im selben Song singt, scheint denn auch einen Computerbildschirm zu meinen, am Ende des Liedes wird plötzlich auf Englisch gesungen, »a spell of bad ­weather« – auf einmal passt alles zusammen.

Diese Methode des Wortspiels und der Andeutung prägt das gesamte ­Album. Die spartanischen Texte zeichnen dabei keine Sinnsuche nach, spielen aber mit der Idee, dass in ihnen Bedeutung liegen könnte. So wie im zweiten Lied »Schrumpfen«, dessen Text die Wortreihe Kapitel-Kapital-Kapitulieren bestimmt. ­Irgendwas wird es schon bedeuten, vielleicht will es dem Hörer etwas ­sagen, doch ausschlaggebend ist hier das Spiel mit der Sprache, die Allite­ration. Wenn Walser im Lied »Stechpalmenwald«, dessen Titel die deutsche Übersetzung des Wortes Hollywood ist, dieses Wort hauchend in die Länge dehnt, wird daraus plötzlich »Holy Wood«, heiliger Wald – ein Witz, der nicht neu ist: Marilyn Mansons Album von 2000 trug diesen Titel. Im Lied »Graue Luft« macht Walser eben diese Luft verantwortlich für einen Schwindel, und schwindelig wird einem selbst, wenn man ihr zuhört, wie sie das Wort »Schwindel« immer und immer wieder wiederholt, bis es seines Sinnes völlig beraubt, bedeutungsleer und schließlich nur noch eine Folge von Lauten ist.

Ist bei Friends of Gas von der Natur die Rede, wird jedwede Anmutung von Natürlichkeit sogleich konterkariert: Augen sind aus Glas, gebadet wird im Abwasser, die Witterung stagniert und am Ende ist mit Walsers Worten alles von schlechter Qualität. Adorno und Horkheimer schrieben: »Natur wird dadurch, dass der gesellschaftliche Herrschaftsmechanismus sie als heilsamen Gegensatz zur Gesellschaft erfasst, in die unheilbare gerade hineingezogen und verschachert. Die bildliche Beteuerung, dass die Bäume grün sind, der Himmel blau und die Wolken ziehen, macht sie schon zu Kryptogrammen für ­Fabrikschornsteine und Gasolinstationen.« Das im Hinterkopf, lässt sich eine Tradition im deutschen Punk ausmachen, in die sich Friends of Gas, wenn auch in gebrochener Weise, einreihen: 1980 sangen S.Y.P.H. ein Lob auf den Beton und ekelten sich vor der Natur (»Zurück zum Beton«), 2006 dann machten sich Blumfeld einen Spaß daraus, über Tiere und Obst zu singen, statt mit Popanspielungen um sich zu werfen, und jetzt kommen Friends of Gas und stellen sich dem Widerspruch zwischen Natur und Gesellschaft, lösen ihn aber nicht nach einer Seite auf, sondern entwerfen in ihren kryptischen Texten eine Welt, in der ­weder Natur noch Gesellschaft »heilsam« sind, sondern alles leer ist. »Leere, liebe Leere«, heißt es im Song »Abwasser«.

Diese Resignation, die sich auch in dem schweren, dissonanten Sound der Band ausdrückt, ist erfrischend, erratisch und musikalisch äußerst wirksam. Wer Naturkitsch will, muss ironischerweise wieder auf die Hamburger Schule zurückgreifen, denn »Die Unendlichkeit«, das jüngste Album von Tocotronic, hatte in der Hinsicht einiges zu bieten: »In den Bäumen / Rauscht der Wind« oder »Und mein Herz öffnet sich / Voller Liebe für dich / Aus dem tiefsten ­Orkan« sang Dirk von Lowtzow da ganz unironisch. Friends of Gas ­hingegen haben Kryptogramme gar nicht nötig: Sie tragen die Tank­stelle gewissermaßen schon im Bandnamen.

Friends of Gas: Kein Wetter (Staatsakt)