Die neue Debatte über ein Dienstjahr für Deutschland

Deutschland, du mieses Stück Dienstpflicht

Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer hat die Einführung eines neuen Freiwilligendienstes, die Wehrbeauftragte Eva Högl die Wiederinkraftsetzung der Wehrpflicht gefordert. Die De­­­bat­te scheint auf eine allgemeine Dienstpflicht hinauszulaufen.

»Dein Jahr für Deutschland« – so soll ein neuer Freiwilligendienst in der Bundeswehr heißen, den Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) schon im kom­men­den Jahr einführen will, wie sie Anfang Juli ankündigte. Öffentlich kritisiert wurde, dass Kramp-Karrenbauer davon sprach, hier könnten auch Menschen mit Migrationshintergrund »Verantwortung übernehmen«, weil sie damit suggeriert, dass insbesondere diese Bevölkerungsgruppe eine solche Möglichkeit benötige und bislang nicht genug Verantwortung übernommen habe.

Kramp-Karrenbauer, Högl und Amthor präsentieren drei Spielarten einer alten Idee. Bürger und Bürgerinnen sollen
über Dienstpflichten an den Staat gebunden werden.

Wenige Tage zuvor hatte die im Mai neu ins Amt gewählte Wehrbeauftragte des Bundestags, Eva Högl (SPD), vor­geschlagen, die Einberufung zur Wehrpflicht wiederaufzunehmen, weil sich in einer Berufsarmee der Rechtsextremismus schneller ausbreite. Diese ­Argumentation wurde vielfach zurückgewiesen, auch aus CSU und CDU war Kritik zu vernehmen. Dagegen begrüßte die AfD den Vorschlag. Das ist interessant, denn Högl hatte diesen als Möglichkeit dargestellt, auf die extrem rechten Netzwerke in der Bundeswehr zu reagieren, wie sie zuletzt beim ­Kommando Spezialkräfte (Jungle World 28/2020) aufgedeckt wurden. Dass die Bundeswehr ein gravierendes Rechtsextremismusproblem hat, lässt sich nicht bestreiten; ob die Wehrpflicht helfen kann, es zu lösen, ist fraglich.

Die Idee eines »Deutschlandjahrs« ist nicht neu, doch wurde dessen Notwendigkeit meist anders begründet. Die CDU diskutiert die Einführung einer ­allgemeinen Dienstpflicht bereits seit einiger Zeit. Bei einem Werkstattgespräch im November 2019 erzählte Kramp-Karrenbauer, sie sei bei ihrer »Zuhör-Tour« im Jahr 2018, bei der sie als Generalsekretärin die Parteibasis vor Ort traf, auf kein Thema so oft angesprochen worden wie auf die Dienstpflicht. Besonders häufig habe sie das Argument gehört, die Dienstpflicht könne gegen das Auseinanderdriften der Gesellschaft helfen. Der junge CDU-Bundestagsabgeordnete Philipp Amthor, der kürzlich in den Verdacht der Käuflichkeit geriet (Jungle World 25/2020), schrieb zwei Wochen später einen Gastbeitrag für die FAZ. Die Wehrpflicht, so Amthor, sei »ein wirksames Instrument« für mehr »Verständnis füreinander« gewesen und habe das »Bewusstsein für die Inte­ressen und Nöte anderer Lebensrealitäten« gefördert. Richtig geblieben an der Dienstpflicht sei der Grundgedanke, »dass staatsbürgerliche Pflichten durchaus ein sinnvolles Korrelat staatsbürgerlicher Rechte sein können«. Deshalb forderte Amthor eine allgemeine Dienstpflicht für Männer wie Frauen.

Es dürfte auch andere Motive geben, die Dienstpflicht einzuführen. Die Bundeswehr mag ohne Wehrdienst funktionieren, der Pflegesektor aber war jahrelang auf Zivildienstleistende angewiesen. Die Dienstpflicht könnte wieder billige Arbeitskräfte liefern, sogar weit mehr als früher, wenn auch Frauen eingezogen würden. Mit diesem ökonomischen Argument wird das nun diskutierte Dienstjahr aber im Allgemeinen weder begründet noch beworben.

Es soll um mehr gehen. Kramp-Karrenbauer, Högl und Amthor präsen­tieren drei Spielarten einer alten Idee. Dienstpflichten sollen Bürger und Bürgerinnen an den Staat binden. Es geht darum, den Einzelnem auf die »Gemeinschaft« zu verpflichten. Die Bezeichnung für die Form, in der diese besondere Beziehung zwischen Einzelnem und »Gemeinschaft« hergestellt werden soll, sagt alles: Dienst.

Dienste haben in Deutschland eine lange Geschichte. Der Wehrdienst nach französischem Vorbild wurde von Gerhard von Scharnhorst bei der Reform des preußischen Militärs geplant und 1813 eingeführt. Der Wehrdienst prägte fast 200 Jahre lang die unterschiedlichen deutschen Staaten, bis die Regierungskoalition aus CDU, CSU und FDP ihn 2011 aussetzte, vor allem weil er militärisch sinnlos, sogar hinderlich für die Modernisierung der Bundeswehr geworden war.

Nicht ganz so alt wie der Wehrdienst ist die Idee eines allgemeinen Arbeitsdienstes. In der Weimarer Republik forderten ihn insbesondere rechte Organisationen und Parteien. 1931 führte auf deren Drängen die Regierung von Reichskanzler Heinrich Brüning (Zentrum) einen freiwilligen Arbeitsdienst ein. Nach der Machtübernahme der Nazis verkündete Adolf Hitler am 1. Mai 1933 die Einführung eines verpflichtenden Arbeitsdienstes, um alle Deutschen wenigstens einmal Handarbeit leisten zu lassen. Hitlers sogenannte Mai-Rede auf dem Tempelhofer Feld drehte sich um die Frage, wie der Zusammenhalt der »Volksgemeinschaft« gestärkt werden könne. Der Arbeitsdienst sollte dazu einen Beitrag leisten, die Ankündigung der Arbeitsdienstpflicht traf an diesem Tag auf tosendem Applaus. Schrittweise wurde der Reichsarbeitsdienst eingeführt, erst für Männer, dann auch für Frauen. Die Allierten verboten ihn 1945.
Für den Nationalsozialismus war die Idee eines »Dienstes an der Volksgemeinschaft«, den jeder Arbeitende leisten sollte, zentral. Dies machte den Kern seiner Arbeitsauffassung aus, der Reichsarbeitsdienst war nur deren ­institutioneller Ausdruck. Die Dienstidee verschwand nicht mit dem Nationalsozialismus, wenngleich sich ihr Bezugspunkt änderte, weg von einer rassistisch und antisemitisch konzipierten »Volksgemeinschaft« hin zu einer pluraleren Gesellschaft. Die SED führte in der DDR 1952 einen »Dienst für Deutschland« ein, ein freiwilliger, kasernierter Arbeitsdienst, der aber aus ökonomischen Gründen nur für kurze Zeit bestand – er war schlicht unrentabel. In der BRD gründete sich im selben Jahr die heutige Bundeszentrale für ­politische Bildung – allerdings unter dem Namen »Bundeszentrale für Heimatdienst«, einer Reminiszenz an die »Reichszentrale für Heimatdienst« der Weimarer Republik. Als der Sozialhistoriker Alf Lüdtke einmal gefragt wurde, was mit der Dienstidee des Nationalsozialismus geschehen sei, kons­tatierte er, die Gesellschaft habe in den sechziger und siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts mit ihr gebrochen. Einiges spricht dafür, dass die Dienstidee mit dem Niedergang des Fordismus, an den sie gebunden war, aus der Mode geriet und in den Postfordismus nicht übernommen wurde – vorerst zumindest.

Wie sind diese erneuten Debatten über ein allgemeines Dienstjahr, über ein »Jahr für Deutschland«, zu beurteilen? Die CDU lehnt sich damit – gewollt oder ungewollt – an historisch problematische Begriffe an. Sie versucht eine Wiederaneignung von Geschichte, die Reaktualisierung einer alten Idee unter veränderten Bedingungen. Bislang scheint es auf einen nicht verpflichtenden Dienst hinauszulaufen, ansonsten wäre vermutlich eine Grund­gesetzänderung notwendig.

Auch der begriffliche Bezugsrahmen ist ein anderer. Wo der Nationalsozia­lismus von Volksgemeinschaft sprach, geht es jetzt um die Gesellschaft oder den Staat. Hardliner wie Philipp Amthor beschwören allerdings die Gemeinschaft, wenn sie über den Dienst reden. Was darunter zu verstehen ist, bleibt diffus. Dass der alte Begriff »Dienst« wieder so viel gebraucht wird, verheißt jedenfalls nichts Gutes. Was soll gut daran sein, diesem Staat zu dienen, Deutschland ein Jahr zu schenken? Falls es darum gehen soll, solidarisch für­einander einzustehen, sich gegenseitig zu helfen und etwas für andere zu tun, braucht es dafür weder den Dienstbegriff noch Deutschland.