Die Flüchtlingspolitik in der EU kommt nicht voran

Schicksal ungewiss

Die Neuregelung der Flüchtlingspolitik in der EU kommt nicht voran – die Folgen können tödlich sein.
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Seit Jahren versucht die EU, ihre völlig dysfunktionalen asylpolitischen Regelungen zu ändern – und ist dabei keinen Millimeter vorangekommen. Die Folgen des Abschreckungskalküls sind in den ­Lagern in Osteuropa und der Ägäis, im Mittelmeer und in der Sahara zu besichtigen: Es sind Orte der Verelendung, der Entrechtung oder des Todes. Nicht einmal die, die dafür verantwortlich sind, mögen es beschönigen: Deutschlands Innenminister Horst Seehofer (CSU) nennt den Umgang der EU-Staaten mit den Bootsmigranten im Mittelmeer »nicht würdig«, seine Parteifreundin Andrea Lindholz, die Vorsitzende des Innenausschusses des Bundestags, findet die Asylpolitik der EU »beschämend«.

Eines der zentralen Probleme ist die Dublin-Regelung. Sie legt auch in ihrer derzeit gültigen dritten Version fest, dass diejenigen Staaten sich um die Flüchtlinge kümmern müssen, in die diese zuerst einreisen. Also fast immer die Länder an den Außengrenzen der EU, etwa Griechenland oder Italien. Dies hätte längst geändert werden sollen, um die Staaten an den Außengrenzen zu entlasten. Doch viele andere EU-Mitglieder lehnen schlichtweg alles ab, was ihnen eine Teilverantwortung für die Flüchtlinge aufbürden würde.

Die EU-Kommission hat sich zuletzt 2018 mit einem bescheidenen Reformvorschlag vorgewagt: Nur dann, wenn ein Staat an einer der EU-Außengrenzen extrem belastet ist, sollte eine Ausgleichsmechanismus zur Anwendung kommen. Staaten, die diesem Land auch in einer solchen Situation keine Flüchtlinge abzunehmen bereit wären, sollten eine Strafe zahlen. Doch nicht einmal dafür gab es einen Konsens, genauso wenig wie für jeden anderen Reformvorschlag. Die damals von Jean-Claude Juncker geleitete EU-Kommission wusste nicht mehr weiter. Dessen Nachfolgerin Ursula von der Leyen (CDU) wollte im Mai 2020 ihre neue »Migrationsagenda« präsentieren, verschob dies aber auf September.

Viele hoffen nun auf die deutsche EU-Ratspräsidentschaft – und Deutschland hat schon im November einen Vorschlag vorgelegt: In geschlossenen Lagern (»closed centers«) an den Außengrenzen soll es Asylvorprüfungen für alle Ankommenden geben. Jene Flüchtlinge, denen Chancen auf Asyl eingeräumt werden, sollen unter einem guten Dutzend williger Staaten aufgeteilt werden und für ihr Verfahren dorthin weiterreisen dürfen.

Immerhin: Niemand will den Ländern, die partout keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, dies noch aufzwingen. Das ist gut, denn von einer erzwungenen Aufnahme haben die Flüchtlinge nichts und Populisten wie der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán ­haben die Asylsuchenden in der Vergangenheit gnadenlos für ihre Zwecke instrumentalisiert.

Doch für jene, die in der EU ankommen, würde die Außengrenze erst einmal Haft bedeuten, ihr Schicksal wäre höchst ungewiss. Denn wen die »Willigen« aus den Lagern weiterreisen lassen, ist völlig offen. Faktisch dürfte diese Entscheidung weniger von Recht und Anspruch als vielmehr von der Aufnahmebereitschaft abhängen. Auch aus den 2016 eingerichteten, »Hotspots« genannten Lagern in Italien und Griechenland sollten Insassen bei guten Asylaussichten über einen relocation genannten Mechanismus in andere EU-Staaten gebracht werden. Funktioniert hat das nur für eine verschwindend geringe Zahl. Wer darauf hofft, dass die EU ihn frei­willig aufnimmt, kann lange warten.