Der Kronzeuge im Mordfall der maltesischen Journalistin Daphne Caruana Galizia wurde schwer verletzt aufgefunden

Der verletzte Zeuge

Der Kronzeuge im Fall des Mordes an der maltesischen Journalistin Daphne Caruana Galizia wurde schwer verletzt in seiner Wohnung aufgefunden. Die Polizei unterstellt, er habe sich die Verletzungen selbst zugefügt.

Für den maltesischen Polizeipräsidenten Angelo Gafa‘ war die Sache klar: Der Mann, den seine Beamten in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch voriger Woche in seiner Wohnung in Swieqi in Malta gefunden hatten, habe sich selbst verletzt. Es gebe »keine Anzeichen für Kampf, gewaltsames Eindringen oder Abwehrverletzungen«, sagte Gafà bei einer Pressekonferenz am folgenden Tag. Melvin Theuma sei mit einem Messer in der Hand gefunden worden. Er habe zu verstehen gegeben, dass er sich die Wunden selbst zugefügt habe. Am Dienstag voriger Woche hatte Theumas Anwalt vergeblich versucht, seinen Klienten zu erreichen, und ­daraufhin Alarm geschlagen. Die Polizei hatte Theumas Haus bewacht.

Die Verletzungen waren gravierend: Ärzte des Mater-Dei-Krankenhauses auf Malta, in das Theuma gebracht worden war, berichteten lokalen Medien, sein Hals sei in »zwei Teile« geteilt, die Atemwege »punktiert« und eine Halsader durchtrennt gewesen. Die »Unterseite der Schilddrüse«, so die Ärzte, »hing lose.« Dazu kamen sechs Stiche in den Unterleib sowie Schnitte an den Handgelenken.

Es sei »ganz natürlich, den schlimmsten Verdacht zu hegen«, wenn jemand »in einer Blutlache auf dem Boden seines Schlafzimmers liegt, während er angeblich unter Polizeischutz steht«, schrieb das lokale Nachrichtenportal The Shift. Erst recht, wenn es sich um den Kronzeugen eines möglicherweise von einstigen Regierungsmitgliedern in Auftrag gegebenen Mordes an einer Journalistin handelt. Theuma ist die Schlüsselfigur bei der Aufklärung des Todes der Investigativjournalistin Daphne Caruana Galizia, die im Oktober 2017 mit einer Autobombe vor ihrem Haus im maltesischen Bidnija ermordet wurde. Vor Gericht sagte er aus, Honorare in sechsstelliger Höhe an die Auftragsmörder von Galizia weitergeleitet zu haben. Er nannte ehemalige Minister und Unternehmer als Auftraggeber. Am Mittwoch voriger Woche, dem aus seine Verletzungen folgenden Tag, hätte er erneut vor Gericht aussagen sollen.

Die Bemühungen, den Mord an Galizia aufzuklären, waren lange nicht vorangekommen. Im Dezember 2017 nahm die Polizei auf Malta drei Männer fest. Dass sie die Bombe gelegt hatten, galt bald als erwiesen. Wer sie dafür bezahlt hatte und warum, blieb offen. Im November fanden Zöllner dann am Flughafen von Malta bei einem Fluggast 210 000 Euro Schwarzgeld im Handgepäck. Der Verhaftete sagte, er habe das Geld von einem Taxifahrer namens Melvin Theuma. Dieser wiederum machte den Ermittlern ein Angebot, das diese nicht ablehnen konnten: seine Freiheit gegen den Namen des Auftraggebers.

Der Taxifahrer Melvin Theuma ist die Schlüsselfigur bei der Aufklärung des Mordes an der Investigativjournalistin Daphne Galizia.

Galizia hatte vor ihrem Tod vor allem über ein Thema berichtet: die krummen Geschäfte von Ministern aus dem Kabinett des maltesischen Premierministers Joseph Muscat von der sozialdemokratischen Partit Laburista (PL), vor allem von Muscats Stabschef, Keith Schembri. Nach dem Tod der Journalistin hatte Galizias Familie vor allem diesen öffentlich verdächtigt, an dem Mord beteiligt gewesen zu sein.

Theuma nannte nach seiner Verhaftung im November zunächst den Namen des Unternehmers Yorgen Fenech, Spross einer lokalen Wirtschaftsdynastie. Der Hunderte Millionen Euro schwere Fenech hatte 2013 die Konzession erhalten, auf Malta ein Gaskraftwerk zu bauen. Galizia hatte acht Monate vor ihrem Tod über eine Firma in Dubai geschrieben, die Verbindungen zu maltesischen Politikern habe. Finanzermittler fanden später heraus, dass die Firma Fenech gehört. Im Dezember 2015 tauchten geleakte E-Mails auf, aus denen hervorging, dass zwei Briefkastenfirmen in Panama, die Schembri und einem weiteren Minister gehörten, bis zu zwei Millionen US-Dollar von dieser Firma erhalten hatten – wofür, blieb unklar. Die beiden Minister sowie der Unternehmer Fenech stritten alles ab. Doch der Verdacht lag nahe: Die zwei Minister hatten sich dafür schmieren lassen, Fenech ein lukratives Kraftwerk zu genehmigen. Weil Galizia dabei war, das aufzuklären, wurde sie umgebracht – so sieht es die Familie der Toten.

Nachdem Theuma Fenech als einen der Auftraggeber beschuldig hatte, wurde dieser im November beim Fluchtversuch mit seiner Yacht verhaftet und kurz darauf wegen Mordes angeklagt. Seitdem bemüht sich die Justiz auf Malta zu klären, ob Theumas Vorwürfe zutreffen. Das Geflecht von Beziehungen ist in dem kleinen Inselstaat eng, viele glauben, die Justiz sei nicht fähig, gegen das politische Establishment vorzugehen. Muscat unterstützte seine Minister. Doch die Indizien dafür, dass Personen aus seinem Umfeld ein Komplott geschmiedet hatten, um Galizia auszuschalten, verdichteten sich so, dass die NGO Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP) ihm im Dezember den wenig schmeichelhaften Titel »Man of the Year in Organized Crime and Corruption« verlieh. Im selben Monat trat das halbe Kabinett wegen der Affäre zurück. Muscat wollte sich an der Macht halten, räumte aber im Januar, wohl auch auf Druck der EU, seinen Posten.

Seitdem laufen auf Malta mehrere Vorverfahren in der Sache. Wie sie ausgehen, ist völlig offen. Ohne Theuma ist wohl keine Aufklärung zu haben. Dem wurde im Gegenzug für seine Aussagen Straffreiheit zugesichert. Im Juni bezichtigte der Kronzeuge den ehemaligen Wirtschaftsminister Chris Cardona, 350 000 Euro an einen der mutmaßlichen Killer gezahlt zu haben. Cardona war bis Januar Regierungsmitglied und spielt in der PL noch immer eine wichtige Rolle. Auch über ihn hatte Galizia seinerzeit Kompromittierendes ausgegraben. Auch er wies Theumas Vorwürfe zurück.
Am Sonntag meldete die Polizei, Theumas Zustand sei stabil, allerdings müsse er noch im Krankenhaus bleiben. Sobald er wieder verhandlungsfähig ist, solle er weiter aussagen. Er wird noch eine Weile bewacht werden müssen: Die eigentlichen Prozesse werden nicht vor 2021 beginnen.