Die Türhüter des Internets
Nach 16monatigen Ermittlungen legte der Unterausschuss für Kartellrecht innerhalb des Justizausschusses des US-Repräsentantenhauses Anfang des Monats einen 449 Seiten starken Bericht mit einer Empfehlung über kartellrechtliche Bedenken gegen die vier großen Internetkonzerne Amazon, Apple, Facebook und Google vor. Zusätzlich enthält der Bericht auch Empfehlungen, die von Vorschlägen für Gesetzesänderungen im Kartellrecht bis hin zur Zerschlagung der Konzerne reichen.
Bei Apple basiert die Kritik vornehmlich auf dem App Store, der digitalen Vertriebsplattform für Anwendungssoftware, in der Apple die eigenen Produkte bevorzugt anzeigt und zudem 30 Prozent aller Umsätze der darin verfügbaren Applikationen von Drittanbietern kassiert. Der Unterausschuss sieht darin ein Problem, weil der App Store der einzige erlaubte Weg ist, Apps auf Apple-Geräte zu installieren. Apple verteidigte sich interessanterweise unter anderem damit, dass 30 Prozent in diesem Segment der gängige Satz seien. Google und Facebook werden hauptsächlich dafür kritisiert, verschiedene Produkte miteinander zu verknüpfen und die so gewonnen Datensätze für ihre Werbegeschäfte zu verwenden. Und bei Amazon gilt die kartellrechtliche Kritik der konzerninneren Verknüpfung von Handelsplattform, Produktion und Direktverkauf, unter der Verwendung des firmeneigenen Paketdiensts Amazon Logistics – in den USA wird erwartet, dass die Logistiksparte von Amazon im Jahr 2022 das kombinierte Auftragsvolumen der Branchenspezialisten UPS und Fed Ex überholt.
Bei Facebook gibt man sich optimistisch, weil eine Zerschlagung des Konzerns wegen »der hohen Komplexität« gar nicht möglich sei.
Die vier Konzerne arbeiten zwar, wie es in dem Bericht des Unterausschusses heißt, in völlig getrennten Bereichen, haben jedoch eines gemeinsam: Ihnen falle die Rolle eines gatekeeper zu – eines Türhüter, der den Zugang zu Märkten beherrscht, mit Kontrolle über Preise und die Verteilung von Gütern und Diensten.
In ihren Verteidigungen argumentieren die Konzerne bisher recht uneinheitlich. Apple widerspricht in seiner Stellungnahme »vehement den Schlussfolgerungen in diesem Bericht«. Ferner heißt es: »Der App Store hat neue Märkte, neue Dienstleistungen und neue Produkte ermöglicht, die vor einem Dutzend Jahren unvorstellbar waren, und (unabhängige, Anm. der Red.) Entwickler waren die Hauptnutznießer dieses Ökosystems.« Die Argumente gehen allerdings glatt am Thema vorbei, denn wäre das nicht der Fall, würden unabhängige Entwickler den App Store nicht nutzen – und Apple hätte dann gar keine Möglichkeit, die von den Kartellrechtlern beanstandeten Dinge zu tun.
Noch schlimmer ist es bei Facebook. Der Konzern gibt sich optimistisch, weil eine Zerschlagung wegen »der hohen Komplexität«, wie es in dessen Stellungnahme heißt, gar nicht möglich sei – mit anderen Worten, man denkt, die Dienste Facebook, Instagram und Whatsapp seien auf der rein technischen Ebene zu sehr miteinander verzahnt, als dass sie sich noch in separate Unternehmen aufteilen ließen.
Amazon und Google drehten den Spieß gleich ganz um. »Das fehlerhafte Denken würde in erster Linie dazu führen, dass Millionen unabhängiger Einzelhändler aus Online-Shops vertrieben werden, wodurch diese kleinen Unternehmen einer der schnellsten und profitabelsten Möglichkeiten beraubt werden, Kunden zu erreichen«, ließ Amazon in einem Blogbeitrag verlauten. Google verwies einfach darauf, dass die Produkte kostenlos seien und so »Millionen von Amerikanern« helfen.
Auf Seiten der Konzerne gibt man sich also äußerst gelassen. Mit gutem Grund, denn das Verfahren hat in seinem Verlauf schon einiges an Bedrohlichkeit eingebüßt. Begonnen hatte es als eines der wenigen parteiübergreifenden Projekte des Repräsentantenhauses, aber als die beiden Demokraten Jerrold Nadler (New York) und David Cicilline (Rhode Island) als Vorsitzende des Justizausschusses beziehungsweise des Unterausschusses für Kartellrecht ihren Bericht vorlegten, war das Ganze wieder klar nach Parteilinien getrennt. Die Demokraten unterstützen den Report, die Republikaner unter Führung ihres höchsten Vertreters im Justizausschuss, Jim Jordan, konnten damit nicht leben. Ihnen fehlte zum einen ein Hinweis auf die von ihnen, seit US-Präsident Donald Trump in Umfragen gegen seinen Herausforderer Joe Biden klar zurückliegt, ausgiebig beklagte »Zensur von konservativen Meinungen« und den damit einhergehenden »Verstoß gegen die Redefreiheit« der Internetkonzerne. Zum anderen halten sie die empfohlene Zerschlagung für eine überzogene »nukleare Option«, wie es Ken Buck, ein republikanischer Abgeordneter aus dem Bundesstaat Colorado, nannte.
Dass das Ergebnis der Ermittlungen nur von einer der beiden Kongressparteien unterstützt wird, ist für die Konzerne ein gutes Ergebnis. Gene Kimmelman, früher leitender Kartellbeamter im Justizministerium, sieht den Bericht gleichwohl als »die Grundlage für Gesetze und Vorschriften, die Kartellfälle gegen Google, Facebook und andere ermöglicht«, und zieht Vergleiche zum Kartellfall AT&T in den achtziger Jahren, der mit der Aufspaltung des Konzerns endete.
Die Republikaner wollen lieber angebliche Verstöße der Internetkonzerne gegen die Redefreiheit ahnden. Wobei sie notorisch free speech (Meinungsfreiheit) mit free reach (unbegrenzte Reichweite) verwechselten, wie die Computerzeitschrift Wired schon vor zwei Jahren feststellte. Das bedeutet: Man darf zwar frei sagen, was man denkt, man hat aber nicht unbedingt das Recht, das Megaphon eines anderen zu verwenden.
Gerade Facebook und Twitter haben sich im Übrigen in der Vergangenheit nicht unbedingt durch übermäßige »Zensur von konservativen Meinungen« hervorgetan – Facebook sorgte im vorigen US-Präsidentschaftswahlkampf beispielsweise mit dafür, dass die für die Wahlkampagne von Donald Trump arbeitende Datenanalysefirma Cambridge Analytica Werbung auf bestimmte Wählergruppen ausrichten konnte und dadurch erreichte, dass manche davon sogar beschlossen, nicht zur Wahl zu gehen. Und Twitter ließ die Qanon-Verschwörungstheorie jahrelang ungehindert gewähren, bis diese sich in praktisch allen Gegenden der Welt verbreitet hatte – mit manchmal tödlichen Folgen. Das alles ist aber nicht Thema der Untersuchung gewesen.
Der Bericht des Repräsentantenhauses ist nicht der einzige Versuch, kartellrechtlich gegen die vier Konzerne vorzugehen. Trump hatte Ende August auf Twitter Google vorgeworfen, der Suchbegriff »Trump news« ergebe lediglich Artikel der Kategorie fake news, in denen er schlecht dastehe. Den Konservativen wohlgesinnte Beiträge würden dagegen ausgelassen, behauptete er. Trump versprach auch gleich noch, sich um die Angelegenheit zu kümmern.
Im September leitete das Justizministerium kartellrechtliche Ermittlungen gegen Google ein – William Barr, der als Justizminister der USA auch die Funktion eines Generalbundesanwalts einnimmt, sorgte persönlich für deren Beginn. In diesem Fall wurde in zwei Richtungen ermittelt. Ein Team ermittelte hinsichtlich Googles Marktbeherrschung bei der Internetsuche, ein anderes über die monopolistische Stellung im Online-Werbemarkt. Die beteiligten Staatsanwälte ließen allerdings wissen, man habe sich noch nicht entschieden, ob man die Suche, die Werbung oder beides anklagen wolle – woraufhin Barr die Geduld verlor und eine Frist setzte: Ende September sollten die Untersuchungen abgeschlossen sein, die Anklage müsse noch vor den Wahlen im November erhoben werden. Die Staatsanwälte hielten dem entgegen, ein mögliches Verfahren stünde auf einer äußerst schwachen Grundlage, denn um die Anklage mehr oder weniger wasserdicht zu machen, hätte man noch ein weiteres Jahr benötigt. Das dürfte ein weiterer Hinweis darauf sein, dass es der Regierung Trump bei dem Verfahren nur um kurzfristige politische Ziele geht und nicht wirklich darum, ein Kartell aufzubrechen.