Ein Jihadist hat den französischen Lehrer Samuel Paty enthauptet

Terror in der Vorstadt

Ein Jihadist hat bei Paris den Lehrer Samuel Paty enthauptet, weil dieser im Unterricht Mohammed-Karikaturen gezeigt hatte. An der vorangegangenen Kampagne gegen den Lehrer hatte sich auch ein in Frankreich bekannter Islamist beteiligt.

Ein abgeschnittener Kopf auf einem Bekennerfoto, das in sozialen Medien kursierte. Es ist der des 47jährigen Geschichts- und Geographielehrers Samuel Paty, abgetrennt mit einem geschärften Fleischermesser. Der 18jährige Jihadist Abdullah Anzorov, ein in Moskau geborener Tschetschene, hatte eine blutige Botschaft hinterlassen.

Abdullah Anzorov wurde am Freitag voriger Woche, nachdem er den Lehrer Samuel Paty regelrecht abgeschlachtet hatte, gegen 17 Uhr im Pariser Vorort Conflans-Saint-Honorine von einer Polizeieinheit durch gezielte Schüsse getötet. Anzorov war durch Polizisten gestellt worden, die zuvor die verstümmelte Leiche gefunden hatten. Auch nach wiederholter Aufforderung, stehenzubleiben, ging der Mörder weiter auf die Polizisten zu und richtete eine Luftpistole auf sie. Deshalb und weil sie fürchteten, er könne einen Sprengstoffgürtel tragen, eröffneten die Beamten das Feuer auf ihn.

Anzorov war auf Paty aufmerksam geworden, weil der seinen Schülern am 5. Oktober in einer Unterrichtsstunde zum Thema Meinungsfreiheit Karikaturen aus der satirischen Wochenzeitung Charlie Hebdo gezeigt hatte. Anfang September begann im Pariser Justizpalast der Prozess ­wegen der Massaker in der Redaktion der Wochenzeitung Charlie Hebdo und im koscheren Supermarkt ­Hyper Cacher (Die 14 Angeklagten). Am 25. September hatte ein jihadistischer Attentäter einen Mitarbeiter und eine Mitarbeiterin einer Nachrichtenagentur in der Nähe des ehemaligen Redaktionssitzes von Charlie Hebdo in Paris mit einem Fleischerbeil schwer verletzt, weil die Zeitung mehrere Mohammed-Karikaturen erneut abgedruckt hatte (Der Terror kehrt zurück ).

Paty zeigte auch eine Karikatur von Charlie Hebdo, auf der ein nackter Mann zu sehen ist, bei dem es sich der Bildlegende zufolge um Mohammed handelt. Anzorov zählte nicht zu Patys Schülern. Er wohnte rund 100 Kilometer entfernt vom Tatort in der Stadt Évreux. Über die sozialen Medien hatte er von dem Streit über die Unterrichtsstunde erfahren, nachdem Islamisten diese zu einer Kampagne im Internet genutzt hatten. Dass im Unterricht über Mohammed-Karikaturen diskutiert wurde, brachte einige Eltern und radikale Moslems im Umfeld der Schule auf. Zu denen zählte Brahim Chnina, der Vater einer 13jährigen Schülerin. Er stellte ein Video ins Netz, in dem er behaupte, Paty habe seine Tochter mit seiner Unterrichtsstunde schockiert. Ermittlungen ergaben jedoch, dass die betreffende Schülerin gar nicht in Patys Klasse ging. Sie hatte nur vom Hörensagen von der Unterrichtsstunde erfahren. Paty hatte den Schülern gesagt, diese Stunde könne sie eventuell unangenehm berühren, und ihnen freigestellt, nicht an dieser teilzunehmen. Chnina behauptete, Paty habe die muslimischen Schüler von der Unterrichtsstunde ausgeschlossen.

Chnina begann eine Kampagne gegen Paty. An dieser beteiligte sich auch der bekannte französisch-marokkanische Islamist Abdelhakim Sefrioui. Er wurde 2004 als Gründer der Gruppe »Collectif Cheikh Yassine« bekannt, benannt nach einem früheren Anführer der palästinensischen Terrororganisation Hamas. Sefrioui gehörte auch zu den Unterstützern des antisemitischen Komikers Dieudonné M’bala M’bala. In einem Video, das Sefrioui in den sozialen Medien verbreitete, bezeichnen Chnina und Sefrioui Paty als »Ganoven« und forderten seine Entlassung aus dem Schuldienst. Sie beschwerten sich auch bei der Schulleitung über Paty. Die zuständige Schulbehörde in Versailles hörte Paty daraufhin an und versuchte sich an einer Mediation.

Es trifft nicht zu, dass die Behörde Paty mit einer Disziplinarstrafe belegte. Dies wird seit dem Wochenende wiederholt auf islamistischen und rechtsextremen Websites behauptet. Islamisten sind um den Nachweis bemüht, Paty habe anerkanntermaßen Verfehlungen begangen. Rechtsextreme behaupten, die Behörde habe sich auf die Seiten der Islamisten geschlagen – beides ist falsch.

Anzorov erhielt über das Internet Kunde von dem Konflikt. Er selbst hatte sich, Aussagen von Freunden und Familienangehörigen zufolge, die die jihadistische Ideologie erkennbar nicht teilen, seit einem guten halben Jahr dem Jihadismus zugewandt und begonnen, sich von früheren Sozialkontakten abzukapseln. Seine Eltern lebten, seit er sechs Jahre alt war, als anerkannte politische Flüchtlinge in Frankreich. Zusammen mit einem Freund und dessen Vater fuhr er am Wochenende vor dem Mord nach Rouen. Dort kaufte er in einem Fachgeschäft ein Messer, angeblich als Geschenk für seinen Großvater; sein Freund wunderte sich, dass Anzorov die Schachtel, in der sich das Messer befand, öffnete. Am Freitag voriger Woche ließ er sich von einem Bekannten im Auto von Évreux aus in den Raum Paris mitnehmen. Die Ermittlungen haben ergeben, dass Anzorov ­Chnina und Sefrioui vor der Tat kontaktiert hatte. Dass er ihnen seine Mordpläne mitteilte, ist unwahrscheinlich. An dem fraglichen Freitag hielt er sich in der Nähe der Schule auf und bot einem 14jährigen Schüler einen Geld­beitrag von mehreren Hundert Euro an, um zu zeigen, wer Samuel Paty sei. Der Schüler und seine Freunde halfen, den Lehrer bei Dienstschluss zu iden­tifizieren, wohl im Glauben, Anzorov wolle ihn zur Rede stellen und ihn dabei filmen.

Insgesamt 15 Personen, darunter mehrere Familienmitglieder und Freunde Anzorovs sowie Chnina und Sefrioui, wurden seit Freitagabend ­vergangener Woche in Gewahrsam genommen und vernommen. Da ein ­Zusammenhang zu einer Terrorstraftat besteht, kann der Gewahrsam ausnahmsweise bis zu 96 Stunden dauern, die Vernehmungen hielten bis Dienstagabend an.

Die Polizei nahm am Montag Hausdurchsuchungen bei mehreren Dutzend Personen vor. Am selben Tag kündigte sie an, die Moschee in Pantin bei Paris ab Mittwoch für sechs Monate zu schließen. Der Imam der Moschee hatte das Video von Sefrioui im Internet weiterverbreitet. Die Regierung kündigte auch an, 51 muslimische Vereine auflösen zu wollen, darunter das »Collectif contre l’islamophobie en France« (Kollektiv gegen Islamophobie in Frankreich, CCIF). Der französische Innenminister Gérald Darmanin begründete das Vorgehen gegen den CCIF im Gespräch mit dem Radiosender Europe 1 damit, dass Chnina »sich sehr deutlich auf diese Vereinigung bezieht«.

Am Sonntag demonstrierten Zehntausende in Paris und anderen Städten unter Teilnahme von Regierungsmitgliedern. Lehrergewerkschaften hatten zu den Demonstrationen aufgerufen.