US-Präsident Donald Trump will seine Wahlniederlage nicht eingestehen

Der uneinsichtige Verlierer

Bislang haben die Gerichte fast alle Klagen abgewiesen. Die meisten Republikaner halten dem US-Präsidenten dennoch die Treue.

Der Wahlsieg Joe Bidens bei der US-Präsidentschaftswahl ist immer schwerer zu leugnen. Sein Vorsprung bei der popular vote, also den landesweit abgegebenen Stimmen, wuchs im Lau­fe der Auszählung auf mehr als 5,5 Millionen Stimmen, das entspricht 3,6 Prozentpunkten. Doch wird der Präsident nicht direkt gewählt, sondern vom Electoral College, das von den Bundesstaaten besetzt wird. Entscheidend sind deshalb die Ergebnisse in einigen wenigen swing states, aber auch diese sind deutlich. In Pennsylvania erhielt Biden über 68 000 und in Michigan fast 150 000 Stimmen mehr als der Amtsinhaber Donald Trump; er hat auch in zwei vormals konservativ dominierten Bundesstaaten gewonnen, in Georgia mit etwa 14 000 Stimmen – als erster demokratischer Präsidentschaftskandidat seit 1992 – und in Arizona mit rund 10 000 Stimmen Vorsprung. Im Electoral College verfügt er alles in allem über eine deutliche Mehrheit von 306 Stimmen, Trump kommt nur auf 232.


Doch der Präsident mag sich mit seiner Niederlage immer noch nicht abfinden. Eigentlich, so ließ Donald Trump über Twitter verlauten, habe er gewonnen – wenn man nur die »legalen Stimmen« zähle. Um das zu beweisen, fechten Trump und seine Anwälte die Wahlergebnisse in einigen Bundesstaaten gerichtlich an. Ihre Erfolgschancen sind jedoch äußerst gering, denn für die Behauptung, die Stimmen, die Biden zum Sieg verhalfen, seien »illegal«, gibt es keine juristische Basis; zudem müssten die Ergebnisse gleich in mehreren Bundesstaaten ­revidiert werden, um Biden noch den Sieg zu nehmen. Fehler bei der Stimmenauszählung können zwar vorkommen, aber nur in geringem Ausmaß, so dass ein recount das Ergebnis allenfalls um einige hundert Stimmen ändert.  

Falls die Republikaner eine ähnlich aggressive Haltung einnehmen wie einst gegen Präsident Barack Obama, werden sie Bidens Politik aus Prinzip blockieren.

Bislang haben die Gerichte fast alle Klagen abgewiesen. In Pennsylvania ist es beispielsweise nicht gelungen, die Auszählung von 9000 Briefwahlzetteln aufzuhalten, wie die Website Politico berichtete. In Michigan wies Richter Timothy M. Kenny die Vorwürfe der Republikaner, ihre Wahlbeobachter ­hätten in Detroit keinen Zutritt zu den Wahllokalen gehabt, als »unglaubwürdig« zurück. Eine andere die Auszählung in Michigan betreffende Klage reichte Trumps Rechtsbeistand beim falschen Gericht in der Hauptstadt ­Washington ein – und zwar tituliert als »Donald Trump gegen USA«, was für Stirnrunzeln und Amüsement sorgte. Für den vermeintlichen Wahlbetrug in Pennsylvania angeführte Zeugen erwiesen sich als wenig glaubwürdig oder zogen ihre Aussagen zurück. In diesem Bundesstaat haben Trump und sein Anwalt Rudolph Giuliani ihre wohl wichtigste Klage, bei der es um die ­Gültigkeit von 600 000 Stimmen ging, am Wochenende überraschend zurückgezogen.

Trumps Verhalten kommt nicht überraschend, ist aber unsinnig – oder Teil einer Strategie, die die Legitimität der Wahl untergraben soll. Monatelang hatte er seinen Wählerinnen und Wählern von der Briefwahl abgeraten, so dass die meisten Wahlbriefe von Bidens Wählerschaft stammten. Diese Briefe durften jedoch aufgrund strikter Regeln in vielen republikanisch regierten Bundesstaaten erst am Wahltag geöffnet werden. Da republikanischer Wählerinnen und Wähler am 3. November überproportional in die Wahllokale gingen, anstatt bereits zuvor Briefwahlstimmen abzugeben, lag Trump in den ersten Teilergebnissen einiger Bundesstaaten in Führung, bis die Auszählung der Briefwahlstimmen Biden einen Vorsprung einbrachte.

Lange bevor ausreichende Ergebnisse vorlagen, beanspruchte Trump öffentlich den Wahlsieg für sich. Als dann die Nachrichtenagentur Associated Press und der Trump bis dahin wohlgesinnte Fernsehsender Fox News frühzeitig Joe Biden zum Sieger im umkämpften Bundesstaat Arizona erklärten, wurde die Siegesfeier im Weißen Haus abrupt unterbrochen. Auf Twitter behauptete Trump, dass Biden nur gewonnen habe, weil die Wahl manipuliert gewesen sei.

Man sollte den Vorwurf von Wahlbetrug grundsätzlich durchaus ernst nehmen; auch in der jüngsten US-amerikanischen Geschichte gibt es mutmaßliche Fälle. 2018 wurde der republikanische Wahlkampfstratege Leslie McCrae Dowless von einem US-Bundesgericht wegen Wahlbetrugs in North Carolina angeklagt, im Mai 2020 sollen vier demokratische Stadträte der Kleinstadt Paterson in New Jersey eine Wahl manipuliert haben.

Die Vorwürfe sind in beiden Fällen juristisch nicht abschließend geklärt, gaben jedoch ausreichenden Anlass für Neuwahlen – und können deshalb auch als Beispiel dafür angeführt werden, dass die Kontrollmechanismen funktionieren. Im dezentralen Wahlsystem der USA ist Betrug ohnehin fast nur auf lokaler Ebene möglich, kaum aber in einer Dimension, die das Ergebnis der Präsidentschaftswahl in Frage stellen könnte.

Die Präsidentschaftswahl 2016 könnte man tatsächlich »manipuliert« nennen, allerdings nicht bei der Stimmabgabe oder -auszählung, sondern durch das Eingreifen russischer Hacker in den Wahlkampf, wenngleich unklar bleibt, in welchem Ausmaß dies das Ergebnis beeinflusst hat. Trump behauptet, von deren illegalen Aktivitäten nichts gewusst zu haben, Mitglieder seines Wahlkampfteams haben sich jedoch sogar mit Vertretern der russischen Regierung getroffen. Dies stufte der nach der Wahl eingesetzte Sonderermittler Robert Mueller allerdings als nicht illegal ein, Trump und seine Anhängerschaft stellen die Russland-Affäre bis heute als eine perfide Lügenkampagne der Medien dar.

Dem Wahlprozess misstrauen nicht nur Republikaner. So glauben viele Demokraten fälschlicherweise, dass George W. Bush die Präsidentschaftswahl im Jahr 2000 nur durch unlautere Machenschaften in Florida gewonnen hätte – der demokratische Kandidat Al Gore akzeptierte damals allerdings seine Niederlage. Trump jedoch hat die staatlichen Institutionen sowie das Wahlverfahren gezielt delegitimiert und Verschwörungstheorien verbreitet, die von ihm eifrig geförderte politische Polarisierung tut ein Übriges. Einer Umfrage des  Morning Consult zufolge glauben 70 Prozent der Republikaner, die Wahlen seien nicht frei und fair gewesen. Trumps Anhänger glauben weiterhin so bedingungslos an ihren Präsidenten, dass ein legitimer Wahlsieg von »Sleepy Joe« Biden ihnen nahezu unvorstellbar scheint.

Als am Samstag Tausende Trump-Fans in Washington, D.C., mit den Parolen »Vier Jahre mehr« und »Wir wollen Trump« demonstrierten, winkte der Präsident ihnen aus einer gepanzerten Limousine beim Vorbeifahren auf dem Weg zum Golfclub zu. Schrille Begeisterungsschreie waren zu hören. Für seine Bewunderer ist Trump offensichtlich mehr als ein Politiker – er ist ein Star. Das macht die Situation so brisant. Die meisten republikanischen Abgeordneten des Repräsentantenhauses trauen sich bislang noch nicht, Bidens Wahlsieg anzuerkennen, vermutlich um sich bei Trumps Anhängerschaft nicht unbeliebt zu machen – oder gar aus Angst, Trump könne seine fast 90 Millionen Twitter-Follower gegen sie aufhetzen. Auch der republikanische Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell, hält dem Präsidenten die Treue, und er hat seine Fraktion mit nur wenigen Ausnahmen hinter sich.

So befindet sich der noch amtierende Präsident in einer ungewöhnlichen ­Situation. Er hat die Wahl verloren, aber sein Einfluss in seiner Partei ist ungebrochen. Für Joe Biden und seine Kandidatin für die Vizepräsidentschaft, Kamala Harris, ist das ein Problem: Wenn wesentliche Teile der Bevölkerung ihren Wahlsieg als illegitim betrachten und die Republikaner diese Haltung bestärken, wird es schwieriger für sie, eine mehrheitsfähige Politik zu gestalten.

Falls die Republikaner in den kommenden Jahren eine ähnlich aggressive Haltung einnehmen wie einst gegen Präsident Barack Obama, werden sie, wenn sie denn die prognostizierte Mehrheit im Senat bekommen, Bidens Politik aus Prinzip blockieren. Das könnte den Republikanern nützen, denn rechte Medien wie Fox News und diverse Websites schüren weiterhin Entrüstung und betreiben die Polarisierung als Geschäftsmodell.
Groß ist auch der Einfluss von Radiomoderatoren wie Rush Limbaugh, die einer Studie des konservativen Think Tanks Cato Institute zufolge jede Woche an die 15 Millionen US-Amerikanerinnen und -Amerikaner erreichen; die sogenannten sozialen Medien wirken zudem als Verstärker der rechten Rhetorik.

Noch sträubt sich Präsident Trump dagegen, seinem Nachfolger die Regierungsgeschäfte zu übergeben. Emily Murphy, die Vorsitzende der General Services Administration, der regierungsinternen Verwaltungsbehörde, hat sich bislang geweigert, die nötigen ­Gelder für einen Regierungswechsel bereitzustellen. Es herrscht Chaos. Trump twittert derweil munter weiter über eine weitreichende Verschwörung und gibt sich betont kämpferisch: »Wir werden gewinnen« Derartige Aussagen könnten die US-amerikanische Demokratie weiter destabilisieren. Trump geht es wohl vor allem darum, aus seiner Niederlage noch eine Art Sieg zu machen.