In Mexiko bleiben die Verbin­dungen zwischen Politik, Kartellen und Militär eng

Im Einsatz für den Paten

In diesem Jahr wurden in Mexiko bereits 19 Journalistinnen und Journalisten ermordet. Präsident Andrés Manuel López Obrador hat versprochen, die Straflosigkeit zu beenden, doch die Verbindungen zwischen Politik, Justiz, Kartellen und Militär sind weiterhin eng.

In keinem Land sind Berichterstatter so gefährdet wie in Mexiko. 19 Morde an Journalistinnen und Journalisten haben die mexikanischen Behörden in diesem Jahr verzeichnet – damit ist 2020 schon jetzt das blutigste der vergangenen zehn Jahre, so Alejandro ­Encinas, der mexikanische Staatssekretär für Menschenrechte. Er sprach von einer »Dekade der enormen Gewalt« gegen Journalisten. Seit 2017 steigt die Zahl der Gewalttaten. Im November 2019 haben sich deshalb 17 Menschenrechts- und Pressefreiheitsorganisa­tionen, darunter Reporter ohne Grenzen, zur Internationalen Koalition zur Sicherheit von Journalistinnen und Journalisten (ISCO SOJ) zusammengefunden. Sie verhandelte mit der Regierung Mexikos.

Es gilt als wahrscheinlich, dass der mexikanische General und ehemalige Verteidigungsminister Salvador Cienfuegos für das Kartell H-2 arbeitete und es schützte.

Doch die Opferzahlen legen nahe, dass sich seither wenig geändert hat. Anabel Hernández macht die politischen Strukturen dafür verantwortlich. »Die Journalisten geraten zwischen die Fronten: auf der einen Seite die Vertreter des Staats, auf der anderen die Kartelle. Von beiden werden sie bedroht, weil sie die Verflechtungen zwischen beiden aufdecken«, sagt die Journalistin, die Mexiko 2014 verlassen musste. Bewaffnete hatten ihr Haus gestürmt, seitdem untersucht sie aus dem euro­päischen Exil die Netzwerke zwischen Kartellen, Politik und Justiz. »Die Grenzen sind nicht mehr klar zu erkennen. Keine der Seiten hat ein Interesse daran, dass die Bevölkerung informiert ist, dass sie die Wahrheit über das erfährt, was passiert. Mehr Information durch investigative Recherche kann an diesen Verhältnissen jedoch etwas ändern«, sagt sie. Hernández hält das für den Hauptgrund dafür, dass Journalistinnen und Journalisten mit Gewalt mundtot gemacht werden sollen.

Exemplarisch für die engen Verbindungen zwischen Politik, Militär und Kartellen ist der Fall Salvador Cienfuegos. Der General im Ruhestand war in der Regierung von Präsident Enrique Peña Nieto (2012–2018) als Verteidigungsminister in die Bekämpfung der Kartelle involviert. Am 15. Oktober ­wurde Cienfuegos auf dem Flughafen von Los Angeles auf Ersuchen der Drug Enforcement Agency (DEA), der US-Strafverfolgungsbehörde zur Drogenbekämpfung, festgenommen. Für die mexikanischen Behörden kam die Verhaftung des 72jährigen überraschend, denn die Ermittler der DEA hatten ihre Kollegen auf allen Ebenen herausgehalten.

Aus gutem Grund. Cienfuegos gilt den US-Ermittlern als »der Pate«. Er soll mit denen paktiert haben, gegen die er vorgehen sollte: dem Kartell H-2, das zum Netzwerk der Organisation Beltrán Leyva gehört. Cienfuegos wusste über alle Militäroperationen gegen die Kartelle detailliert Bescheid. Den Statistiken der mexikanischen Armee zufolge richteten sich die Operationen in diesem Zeitraum gegen zwei konkurrierende Kartelle, Sinaloa und Jalisco Nueva Generación. Das Kartell H-2 hatte in dieser Zeit kaum Verluste durch Beschlagnahmungen oder Verhaftungen zu verzeichnen. Das dürfte kein Zufall ge­wesen sein.

Als wahrscheinlich gilt, dass der General für das Kartell H-2 arbeitete und es schützte. Zumindest legen das die Informationen der DEA nahe, die etliche Tausend Mitschnitte von Telefongesprächen ausgewertet hat und die mexikanischen Behörden nicht über den bevorstehenden Zugriff auf dem Flugplatz von Los Angeles informierte. Offenbar befürchteten die Ermittler eine undichte Stelle auf mexikanischer Seite.

Doch die DEA musste Cienfuegos am 18. November freilassen. Er lebt nun wieder in seinem Haus in Mexiko. Das kritisiert Anabel Hernández. »Die me­xikanische Regierung nutzte ihre di­plomatischen Beziehungen und die Freundschaft zwischen Donald Trump und López Obrador, um den General aus der Haft zu bekommen. Es ging nicht darum, dass der General unschuldig ist, die Beweise wurden nicht entkräftet, sondern der eine Präsident hat dem anderen eine Gefälligkeit erwiesen«, meint die Journalistin.

Diese Version bestätigen Recherchen der New York Times, denen zufolge ­Mexiko hinter den Kulissen wohl enormen Druck ausgeübt hat. So sollen die mexikanischen Behörden gedroht haben, die Zusammenarbeit bei der Drogenbekämpfung einzustellen und DEA-Agenten auszuweisen, sowie vor einer ernsten Beschädigung der bilateralen Beziehungen gewarnt haben. Das deckt sich mit den Aussagen des mexikanischen Außenministers Marcelo Ebrard im Magazin Proceso, der ankündigte, die Zusammenarbeit zu überdenken.

Druck der mexikanischen Armee hat offenbar dafür gesorgt, dass die Regierung den General nicht fallen ließ, sondern alles Nötige tat, um ihn wieder freizubekommen. Für die mexikanische Politik ist das ein kleiner Triumph nach den Demütigungen wegen des von US-Präsident Donald Trump angeordneten Baus einer Sperranlage an der Grenze. Mit Trump pflegt Mexikos Präsident Andrés Manuel López Obrador jedoch seit seiner Visite im Weißen Haus im Juli angeblich ein gutes Verhältnis; die Männerfreundschaft könnte geholfen haben, Cienfuegos’ Freilassung zu erwirken. Dieser Erfolg dürfte die Reihen von Regierung und Armee schließen.

Der mexikanischen Gesellschaft hingegen sei vor Augen geführt worden, wie eng das Netzwerk zwischen Politik, Militär und Kartellen und wie schwach die Justiz des Landes ist, so Anabel Her­nández. »Präsident López Obrador hat einem General, gegen den Beweise vorliegen, aus der Patsche geholfen. Das ist ein Skandal angesichts der Tatsache, dass Präsident López Obrador sich immer wieder gegen die Straflosigkeit ausgesprochen hat. Hier hatte er eine Chance, den Worten auch Taten folgen zu lassen, doch er hat sich dagegen entschieden«, meint die Journalistin im Gespräch mit der Jungle World.

Für ihre Kolleginnen und Kollegen in Mexiko ist es gefährlich, sich derart klar zu äußern. Die meisten der getöteten Journalisten berichteten über Verbindungen der Kartelle zur Polizei und Politikern, die Mörder haben überwiegend eine kriminelle Vergangenheit sowie Verbindungen zur organisierten Kriminalität. Das bestätigt auch Staatssekretär Alejandro Encinas, der überdies einräumte, dass unter den Tätern Staatsbedienstete seien. Das hat Tradition in Mexiko, und unter der Regierung von López Obrador hat sich daran Encinas zufolge kaum etwas geändert. Gleiches gilt für die nach wie vor niedrige Aufklärungsquote – der Skandal um den General ist dafür nur ein Beispiel.