Nach dem Krieg gegen Armenien ist das Alijew-Regime in einer starken Position

Keine Rückkehr für Armenier

Nach dem Sieg über Armenien im Krieg um Bergkarabach konsolidiert Aserbaidschan seine Macht.

Ein Korridor, behangen mit Hunderten erbeuteter Helme armenischer Soldaten; nachgebaute Armeebaracken mit Wachsfiguren, die armenische Kämpfer darstellen sollen; Überreste von zerstörten Panzern, Iskander-Raketen und Artilleriegeschützen – derlei lässt sich im«Park der Kriegstrophäen« ­bestaunen, dem neuesten Ausflugsziel von Aserbaidschans Hauptstadt Baku. In Kampfuniform wohnte Präsident ­Ilham Alijew am 12. April der Eröffnung des Museums bei, das den Sieg über Armenien im Krieg um Bergkarabach von September bis November vorigen Jahres propagandistisch ausschlachtet.

Von den 150 00 armenischen Bewohnern von Bergkarabach musste fast die Hälfte flüchten.

Die Eroberung eines Drittels der Territoriums der umstrittenen Enklave Bergkarabach und umliegender, von Armenien seit 1994 besetzter Gebiete dürfte für den Autokraten Alijew eine Genugtuung sein. Er hatte 2003 von seinem Vater, dem vormaligen KGB-General Heydar Alijew, nicht nur das Amt des Präsidenten, sondern auch einen der kompliziertesten Territorialkonflikte auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjet­union geerbt, in dem er nun einen bedeutenden Erfolg errungen hat.

Zwischen 1988 und 1994 kämpften armenische und aserbaidschanische Truppen um die Unabhängigkeit des nach internationalem Recht zu Aserbaidschan gehörenden Territoriums Bergkarabach, das auf armenischer Seite Arzach genannt wird. 750 00 Aserbaidschaner flohen infolge des Kriegs und der ethnischen Auseinandersetzungen aus Bergkarabach und Armenien, Schätzungen zufolge mussten 360 00 Armenier Aserbaidschan verlassen. Die zwei ehemaligen Sowjetrepubliken hatten sich in einem brutalen Konflikt zu unabhängigen Nationalstaaten entwickelt. Im Grenzgebiet zwischen den beiden Ländern entstand die von Armenien gestützte, international nicht anerkannte Republik Arzach, was die aserbaidschanische Regierung nie akzeptiert hat.

Verhandlungen im Rahmen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) unter Vorsitz von Frankreich, Russland und den USA konnten in fast 30 Jahren Dauer den Konflikt nicht beilegen. Dieser galt als »eingefroren«, immer wieder kam es zu Gefechten mit Toten auf beiden Seiten. Aserbaidschans Diktator Alijew schloss nie aus, das Gebiet militärisch zurückzuerobern, sollten die Verhandlungen kein Ergebnis bringen. Dabei wusste er weite Teile der aserbaidschanischen Öffentlichkeit hinter sich.

Im vergangenen Jahr wurden diese Drohungen Wirklichkeit. Mit militärischer Unterstützung der Türkei und ­einigen Hundert aus dem syrischen Bürgerkrieg rekrutierten islamistischen Milizionären griff Aserbaidschan an. Offiziellen Angaben zufolge starben insgesamt über 5 58 Menschen, bis Russland Anfang November intervenierte und die Kriegsparteien zur Unterzeichnung eines Waffenstillstandsabkommens bewegte. Weite Teile Bergkarabachs waren da schon unter aserbaidschanischer Kontrolle. Von den 150 00 armenischen Bewohnern von Bergkarabach musste fast die Hälfte flüchten. Etwa 2 00 russische Soldaten sollen in Zukunft die Einhaltung des Waffenstillstands überwachen.

In dem von Russland vermittelten Waffenstillstandsabkommen wurde neben territorialen Regelungen auch ein Gefangenenaustausch verabredet. Doch noch immer hält Aserbaidschan eine unbekannte Zahl an armenischen Soldaten sowie viele weitere Zivilisten in Gefangenschaft. Die armenische Regierung spricht von mehr als 200 Menschen. Als am 9. April ein Flugzeug in der armenischen Hauptstadt Eriwan landete, das befreite Gefangene aus Aserbaidschan bringen sollte, war die Maschine fast leer. Wie der Sender Radio Free Europe/Radio Liberty berichtete, warf die armenische Regierung Aserbaidschan vor, das Abkommen gebrochen zu haben.

Nach Angaben der Menschenrechtsorganisaton Human Rights Watch (HRW) erlitten armenische Soldaten in Gefangenschaft schwere Misshandlungen und Folter. Es handele sich um Kriegsverbrechen, sagte der HRW-Direktor für Europa und Zentralasien, Hugh Williamson, am 19. März. Außerdem sei es »sehr besorgniserregend, dass eine Zahl vermisster armenischer Soldaten zuletzt in Gefangenschaft gesehen wurde, es aber keine Angaben zu ihrem Verbleib gibt«.

Bereits während des Kriegs zirkulierten in den sozialen Medien Videos, die Kriegsverbrechen wie Misshandlung und Hinrichtungen von Gefangenen oder Schändungen von Leichen zeigten. Am 10. Dezember rief die Menschenrechtsorganisation Amnesty International beide Kriegsparteien zur Untersuchung der Vorfälle auf. Eines der Videos zeigte aserbaidschanische Soldaten bei der Enthauptung eines Gefangenen mit einem Messer. Seitdem wurden immer mehr Videos von Kriegsverbrechen bekannt, auch solche, die aserbaidschanische Soldaten zeigen, wie sie Kriegsgefangene misshandeln oder erniedrigen.

Die aserbaidschanische Regierung bezeichnet viele der inhaftierten Armenier als »Mitglieder einer terroristischen Sabotagegruppe«, die nach Beginn des Waffenstillstands in aserbaidschanisches Territorium entsendet worden sei. Das armenische Außenministerium bestreitet das und fordert, sie wie reguläre Kriegsgefangene zu behandeln und dem Abkommen entsprechend freizulassen.

»Aserbaidschan versucht, aus den Ergebnissen des Kriegs den maximalen Vorteil zu ziehen, und setzt deshalb Armenien an seinen verwundbaren Punkten unter Druck«, sagte der Direktor des armenischen Think Tanks Caucasus Institute, Alexander Iskandarjan, bei einer Pressekonferenz in der armenischen Hauptstadt am 9. April. Die Kriegsgefangenen dienten als Druckmittel in den Verhandlungen über die Nachkriegsordnung und die zukünftige regionale Infrastruktur nicht nur in Bergkarabach.

Die Pläne des aserbaidschanischen Autokraten Alijew sind ambitioniert: Die aserbaidschanische Exklave Nachitschewan, die sich unter diesem Namen als autonome Republik konstituiert hat und die von Armenien und der Türkei umschlossen wird, soll wieder mit dem Rest Aserbaidschans verbunden werden. Dazu soll eine jahrzehntelang stillgelegte Bahnlinie aus Sowjet­zeiten durch Armenien hindurch wiederaufgebaut werden. Unterstützung dafür gibt es nicht nur von Russland, das bei dem Plan vermittelte, sondern auch vom südlichen Nachbarn Iran, entlang dessen Grenze zu Armenien die Bahnstrecke verläuft. »Die Wiedereröffnung der Bahnlinie nach Culfa (Nachitschewan) ist notwendig für Irans Zugang zu seinen Nachbarländern und dem eurasischen Markt«, sagte der iranische Außenminister Mohammed Javad Zarif am 18. Februar.

Auch für den Wiederaufbau der im Krieg eroberten Gebiete verkündete die aserbaidschanische Regierung weitreichende Pläne. Es müssen nicht nur Minen geräumt und die zerstörte Infrastruktur repariert werden, die Regierung will auch sogenannte smart cities errichten, also Städte, in denen Daten über Mobilität, Energie und Verwaltung in Echtzeit erhoben und verknüpft werden. Zudem plant der Ölstaat im eroberten Bergkarabach Solar- und Windkraftprojekte sowie den Bau von Staudämmen.

Ausländische Investoren sollen dabei helfen. Die mit Aserbaidschan verbündete Türkei, die schon jetzt eine bedeutende Rolle für die Außenwirtschaft des Landes spielt, ist dabei der erste Ansprechpartner. Bei Ausschreibungen für Wiederaufbauprojekte würden türkische Firmen bevorzugt, teilte die aserbaidschanische Regierung mit. Mit dem von Alexander Lukaschenko autoritär regierten Belarus beteiligt sich ein weiterer Verbündeter der Regierung Alijew an den Infrastrukturprojekten. Bei einem Staatsbesuch am 14. April in Baku besprachen Lukaschenko und Alijew unter anderem die wirtschaftliche Zusammenarbeit.

Die antiarmenische Kultur- und Geschichtspolitik Aserbaidschans drückt sich auch in der Besatzung des Territoriums aus. Alijews Land ist neben der Türkei der einzige Staat der Welt, der den Genozid an den Armeniern im ­Osmanischen Reich explizit bestreitet. Seit der Unabhängigkeit Aserbaidschans und dem Beginn der Konflikte mit Armenien wurden in Aserbaidschan unzählige armenische Friedhöfe, Klöster, Kirchen und Kulturdenkmäler zerstört. 2005 wandelten beispielsweise aserbaidschanische Behörden den mittelalterlichen armenischen Friedhof von Culfa in der Exklave Nachitschewan in einen Militärübungsplatz um und zerstörten ihn dabei vollkommen.

Ähnliches wiederholte sich in den vergangenen Monaten. So wurden der armenischen Regierung und ver­schiedenen Presseberichten zufolge armenische Kirchen zerstört. Mitte März kam es bei einem Besuch Alijews im zuvor von Armeniern bewohnten Hadrut in Bergkarabach zu einem exemplarischen Vorfall: Bei der Besichtigung einer Kirche ordnete er vor laufenden Kameras die Entfernung armenischer Inschriften an. Offensichtlich handele es sich dabei um Fälschungen und bei der Kirche in Wahrheit um ­einen albanischen Tempel, so Alijew. Das entspricht der aserbaidschanischen Staatshistoriographie, der zufolge die Armenier kein kulturelles Erbe im Südkaukasus hätten. Armenische Kirchen und Klöster seien in Wirklichkeit von den Kaukasusalbanern errichtet worden – den vorgeblichen Vorfahren der heutigen Aserbaidschaner.

»Trotz der Versuche, sich der Welt als Zentrum der Toleranz und des Multikulturalismus zu präsentieren, hat Aserbaidschan bewiesen, dass es führend in der Zerstörung christlichen Erbes ist«, sagte Anna Naghdaljan, Sprecherin des armenischen Außenministeriums, Ende März. Auf armenischer Seite wird dieser Vandalismus oft als »kultureller Genozid« bezeichnet, was einen Bezug zur Zerstörung armenischer Bauten nach dem Völkermord in der Türkei herstellen soll.

Nach dem Sieg in Bergkarabach präsentiert sich Aserbaidschan als erstarkte Regionalmacht, die mit ihren Nachbarn Türkei, Russland, Iran und Georgien gute Beziehungen pflegt. Viele der aserbaidschanischen Flüchtlinge, die Bergkarabach in den Neunzigern verlassen mussten, können hoffen, in ihre alten Wohnorte zurückzukehren. Die Staatspropaganda zelebriert diese Bemühungen und macht dabei klar, wer in Bergkarabach keinen Platz mehr haben soll: Armenier.