Miriam Rürup, Historikerin, im Gespräch über den geplan­­ten Wiederaufbau der Bornplatz-Synagoge in Hamburg

»Ein Paradigmenwech­sel im Umgang mit der NS-Vergangen­heit«

Die Debatte über den Wiederaufbau der Bornplatzsynagoge ist im Laufe des vergangenen Jahres intensiver geworden. Welche hat sie Bedeutung über Hamburg hinaus?
Die Diskussion, die wir derzeit am Hamburger Beispiel führen, verweist auf nicht weniger als einen Paradigmenwechsel im erinnerungskulturellen Umgang mit der NS-Vergangenheit. Denn mit einer originalgetreuen Rekonstruktion des Baus von 1906 würde zugleich ein gemeinsam mit der jüdischen Gemeinde in den achtziger Jahren entwickeltes Mahnmal verschwinden (Margrit Kahls als begehbarer Platz gestaltetes Synagogenmonument, das sich am früheren Standort der Synagoge befindet, Anm. d. Red.). Damit würden tatsächlich zentrale Prämissen der seit den achtziger Jahren erarbeiteten Erinnerungskultur auf den Prüfstand gestellt.

Wie würden Sie diesen Paradigmenwechsel charakterisieren?
Die Hamburger Diskussion passt sich ein in die vielfach geführten Debatten über geschichtsvergessene oder zuweilen gar dezidiert geschichtsrevisionistische Rekonstruktionen – erinnert sei hier nur an die Frauenkirche in Dresden, die Garnisonkirche in Potsdam oder den Abriss des Palasts der Republik mit anschließender Überbauung durch das Berliner »Stadtschloss«. Und es hat mich durchaus bestürzt, dass das Bodenmosaik von Margrit Kahl in der aktuellen Diskussion über den Wiederaufbau kaum erwähnt wird, das, ähnlich wie beispielsweise das von Micha Ullman entworfene Denkmal zur Erinnerung an die Bücherverbrennung auf dem Berliner Bebelplatz, mit der durch die Nazis verursachten Leere arbeitet.

Wir müssen uns aber damit befassen, wie wir mit dem Synagogenmonument umgehen. Es wurde lange genug da­rum gekämpft. 1988 wurde es endlich eingeweiht und erinnert seitdem an die Lücke, die die Nazis durch ihre Taten verursacht haben. Es erinnert damit an die vertriebenen und ermordeten Menschen, für die dieser Ort von hohem Symbolwert war, wie er es für die Überlebenden und viele Nachkommen bis heute ist. Wir dürfen nicht davon ausgehen, dass wir das Mahnmal als überwiegend nichtjüdische Gesellschaft nicht mehr bräuchten und es einfach mit einem Vorkriegsbau überbauen können, als könnten wir gewissermaßen architektonisch an eine vermeintlich gute alte Zeit anknüpfen. Das ist das falsche Signal.

Das Landesparlament, die Hamburger Bürgerschaft, hat dem Wiederaufbau einstimmig zugestimmt. Was erhofft sich die Stadt Hamburg von diesem Gebäude?
Zunächst einmal ist es natürlich sehr erfreulich, dass die Hamburger Politik als Antwort auf den Anschlag auf die Synagoge in Halle ein deutliches Zeichen für jüdisches Leben setzen möchte. Allerdings geht mir das zu schnell. Ich sehe die einhellige Begeisterung in Politik und Stadtgesellschaft für einen Wiederaufbau mit Sorge. Wenn eine Umarmung zu herzlich und eng wird, kann sie einen auch erdrücken, und spätestens wenn die AfD-Fraktion sich begeistert den Wiederaufbauplänen anschließt, scheint es geboten, auch über die Motivation zu reflektieren.

Was denken Sie, warum der Wiederaufbau so viel Unterstützung erhält?
Es scheint zuweilen fast, als wolle man als geläuterte Gesellschaft dort anknüpfen, wo man 1933 aufgehört hat. Als könne man zumindest architektonisch wieder gutmachen, was die eigenen Großeltern und Urgroßeltern angerichtet haben, und als könne man nun die Epoche des Mahnmals hinter sich lassen. Da kommt die Initiative der Jüdischen Gemeinde gerade recht. Deshalb wende ich mich gegen einen rückwärtsgewandten Wiederaufbau der früheren Bornplatzsynagoge. Sie ist nicht durch eine Naturgewalt zerstört worden, sondern wurde in der Pogromnacht von Hamburgern angegriffen und musste dann von der jüdischen Gemeinde abgebaut werden. Und Geschichte lässt sich nun mal nicht korrigieren.

Im November 2020 hat der Haushaltsausschuss des Bundestags 65 Millionen Euro für die Rekonstruktion der Synagoge freigegeben. Der gleiche Betrag soll noch einmal aus dem Hamburger Haushalt kommen. Sowohl der Bürgerschaft als auch dem Bund ist es wichtig zu betonen, dass es sich um einen Wiederaufbau handelt. Für die Errichtung eines Neubaus einer religiösen Gemeinde stellt der Bund in der Regel keine Mittel zur Verfügung, das ist Aufgabe der Gemeinden selbst. Was wird hier dann eigentlich gebaut?
De facto sprechen wir über einen Neubau. Derzeit wird eine Machbarkeitsstudie erstellt, für die im Herbst 2019 600 00 Euro zur Verfügung gestellt wurden. Die Jüdische Gemeinde wün­schte sich zunächst eine originalgetreue Rekonstruktion. Da diese aber erstens ohnehin ein Neubau wäre und zweitens das Gebäude in seiner ursprünglichen Größe für die heutige Gemeinde völlig überdimensioniert wäre, wird inzwischen betont, dass das Innere komplett neu gestaltet würde, und der Gemeindevorsitzende Philipp Stricharz verkündete neulich, dass er sich auch ein bloßes Zitat des alten Gebäudes vorstellen könnte. Es wäre ei­ne Synagoge samt Gemeindezentrum mit vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten für das jüdische Gemeindeleben. Noch scheint gemeindeintern nicht ganz klar zu sein, ob und wie die Reformgemeinde innerhalb des Neubaus einen gleichberechtigten Platz erhalten kann.

Mischt sich die Stadt Hamburg mit dem Wiederaufbau in eine innerjüdische Auseinandersetzung zwischen der liberalen und der »Hauptgemeinde« ein?
Ich würde das nicht als Einmischung bezeichnen. Die Stadt bemüht sich, ihre religionspolitische Neutralität zu wahren. Es gibt ja verschiedene jüdische religiöse Richtungen, die um Deutungsmacht ringen: die streng orthodoxe chassidische Richtung Chabad ist in Ham­burg sehr aktiv. Es gibt einen Reformflügel innerhalb der »Einheitsgemeinde« und daneben noch die liberale Gemeinde Davidstern. Gerade Letztere, die liberale jüdische Gemeinde, die ebenso wie Chabad außerhalb der Jüdischen Gemeinde Hamburgs organisiert ist und sich in der Nachfolge des Israelitischen Tempelverbands sieht, hat noch immer keine eigenen Räumlichkeiten, was für den religiösen Rahmen ebenso wie für den Gemeindealltag äußerst problematisch ist. Ich hoffe sehr, dass die Stadt in alle Richtungen offen bleibt. Zumal Hamburg sich eigentlich als Wiege des Reformjudentums feiern könnte.

Konträr zum Wiederaufbau der Bornplatzsynagoge wird ein anderes Gebäude in Hamburg dem Verfall überlassen – die Ruinen des Israelitischen Tempels in der Poolstraße.
Dabei handelt es sich um die Ruine des ersten liberalen Tempelbaus einer eigenständigen liberalen jüdischen Gemeinde aus dem Jahr 1844. Inzwischen hat die Stadt das Ruinengrundstück angekauft und arbeitet an einem Konzept zum weiteren Umgang mit dem Ge­lände. Als Verein Tempelforum e. . bringen wir uns in diese Diskussionen ein. Doch ist es auch wichtig zu wissen, dass die Ruine in der Poolstraße nicht die letzte Synagoge der liberalen Juden in Hamburg war. Diese nämlich steht noch heute. Der Hauptsaal des 1931 eingeweihten Tempelneubaus wird heute als Rolf-Liebermann-Studio vom NDR für Konzerte genutzt.

Die Initiative für den Wiederaufbau wirbt mit dem Slogan »Nein zu Antisemitismus, ja zur Bornplatzsynagoge«. Was für eine Vorstellung von Antisemitismus liegt dem zugrunde?
Diese Kampagne mit dem so verkürzten Slogan scheint mir problematisch, aus verschiedenen Gründen. Zunächst einmal: Falls die jüdische Gemeinde Hamburg ein neues Gebäude braucht, dann soll sie ein neues Gebäude bauen können, keine Frage. Aber wieso diskutiert man dann nicht aus der jüdischen Perspektive, sondern überfrachtet die Neubauidee gleich mit einer solchen gesamtgesellschaftlichen Aufgabe? Eigentlich fängt es schon damit an, dass der Slogan in seiner Schlichtheit sug­geriert, wer gegen den Wiederaufbau sei, sei antisemitisch – oder wolle zumindest nichts gegen Antisemitismus unternehmen. Und das kann doch als Unterstellung verstanden werden gegen jene, die sich für eine offene Diskussion einsetzen.

Hilft denn der Wiederaufbau im Kampf gegen den Antisemitismus?
Ich würde sogar betonen, dass die historisch rückwärtsgewandte Wiederaufbauidee eher das Gegenteil bewirken könnte – und ich spreche hier von der Wirkung, nicht von der Intention –, weil gerade diejenigen, die schon lange nach einem Schlussstrich rufen, der Kampagne begeistert zustimmen können. Und zu guter Letzt wird doch durch die Verknüpfung von Synagoge und Antisemitismusbekämpfung den Juden die Aufgabe zugeschoben, allein durch ihre religiöse Präsenz Antisemitismus zu bekämpfen. Dies verkennt völlig, dass es die nichtjüdische Gesellschaft ist, die sich darum kümmern muss, Antisemitismus zu bekämpfen. Ich sehe nicht, wie ein religiöser, wilhelmi­nischer Prachtbau aus dem frühen 20. ahrhundert gegen Antisemitismus hilft. Diesen bekämpft man nicht durch große Alibibauten und Symbolpolitik, sondern durch strukturelle Veränderungen, Bildungsarbeit und Aufklärung.