Der Gaza-Streifen als internationales Konfliktfeld

Große Rhetoriker

Der türkische Präsident Erdoğan und sein Außenminister forcieren die internationale Isolation der Türkei, die sie gerade durchbrechen wollten.
Kommentar Von

Der Konflikt zwischen Israel und der Hamas dient in gewisser Weise als Zungenlöser. Zumindest beim türkischen Präsidenten ­Recep Tayyip Erdoğan, der sich hier zu profilieren sucht. Erdoğan fiel dabei etwas aus der Rolle, als er am Montagabend äußerte: »Ich verfluche den österreichischen Staat.« Der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz und Außenminister Alexander Schallenberg hatten am Freitag voriger Woche auf ihren Amtsgebäuden die israelische Flagge aufziehen lassen. Der türkische ­Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu von der islamistischen Regierungspartei AKP hatte bereits am 16. ai vor der außerordentlichen ­Sitzung des Exekutivausschusses der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC) die Militäroperationen Israels als »Teil der systematischen ethnischen, religiösen und kulturellen Säuberung durch Israel« bezeichnet und gesagt: »Es ist Zeit, unsere Einheit und Entschlossenheit zu zeigen. Die Umma erwartet von uns die Führung. Die Türkei ist bereit, alle notwendigen Schritte zu ­unternehmen.«

Der Versuch, die Türkei als Anführerin einer panislamischen antiisraelischen Allianz vorzustellen, steht im krassen Widerspruch zu den Versuchen Erdoğans in den vergangenen Wochen, die internationale Isolation der Türkei zu durchbrechen. In Kairo hatte er sich Anfang Mai mit dem autoritären ägyptischen Präsidenten Abd al-Fatah al-Sisi getroffen, um sich mit ihm auszusöhnen; de facto hatte Erdoğan damit Ägypten als Vormacht in der Region anerkannt, eine Rolle, die er zuvor für die Türkei beansprucht hatte. Seinen Außenminister Çavuşoğlu hatte er nach Saudi-Arabien zu Gesprächen entsandt, um die Spannungen abzubauen, die seit der Ermordung des saudischen Journalisten Jamal Kashoggi im Jahr 2018 im saudischen Konsulat in Istanbul anhielten.

Die Regierungen Ägyptens und Saudi-Arabiens sind eingeschworene Gegner der ägyptischen Muslimbruderschaft, der die AKP politisch und ideologisch verbunden ist und der auch die ­Hamas nahesteht. Al-Sisi hatte die von der Türkei unterstützte Muslimbruderschaft und den ihr nahestehenden Präsidenten Mohammed Mursi 2013 weggeputscht, Ägypten war mit dem Friedensvertrag von 1979 zudem der erste arabische Staat, der Israel anerkannte. In Saudi-Arabien ist die Muslimbruderschaft verboten. Die Monarchie hat der FAZ zufolge ihre »Beziehungen zu Israel offiziell nicht normalisiert, unterhält aber geheime Verbindungen zu dem Land«. In Libyen hat die Türkei militärisch auf der Seite der den Muslimbrüdern zugeneigten Regierung in Tripolis interveniert, Ägypten und die Vereinigten Arabischen Emirate unterstützen hingegen den im Osten des Landes dominierenden Warlord Khalifa Haftar.

Zudem widmete sich Erdoğan am Montagabend in seiner gewohnt diplomatischen Art der US-amerikanischen Regierung und Präsident Joe Biden. »Mit Ihren blutigen Händen schreiben Sie leider Geschichte. Sie haben uns dazu gezwungen, das zu sagen«, sagte er in Hinblick auf einen angeblich geplanten Waffenverkauf der USA an Israel. Zuvor hatte die Washington Post berichtet, die US-amerikanische Regierung habe unlängst einen möglichen Waffenverkauf im Umfang von 735 Millionen US-Dollar an Israel ­genehmigt. Der »Boden Palästinas« werde, so sagte Erdoğan, mit »Gräuel, Schmerz und Blut gewaschen. Und Sie unterstützen das.« Die internationale Reputation der Türkei, die in einer schweren Wirtschaftskrise steckt, haben Erdoğan und sein Außenminister mit ihren rhetorischen Ausfällen keineswegs verbessert.