Putsch in Mali

Der Putsch im Putsch

In Mali haben jüngere Offiziere die Macht übernommen. Frankreich hat seine militärische Zusammenarbeit mit der Armee des Landes im Kampf gegen Jihadisten suspendiert.

Es war gewissermaßen ein Putsch im Putsch: Am 24. Mai verfrachteten Militärangehörige im westafrikanischen Mali den Übergangspräsidenten Bah Ndaw und seinen Ministerpräsidenten Moctar Ouane kurzerhand aus der Hauptstadt Bamako in die rund 15 Kilometer nordwestlich gelegene Garnisonsstadt Kati. Dort reichten beide ihren Rücktritt ein. Neuer Übergangspräsident wurde der 38jährige Oberst Assimi Goïta, der bislang als Vizepräsident fungierte.

Den Staat in der Sahel-Zone führt seit August 2020 ein ursprünglich von Armeeangehörigen gebildeter, jedoch auch aus Zivilisten bestehender Übergangsrat. Am 18. August hatten Offiziere aus der jüngeren Generation und den mittleren Rängen der Armee des Landes – deren obere Führungsebene dem Treiben ablehnend gegenüberstand – den seit 2013 amtierenden Staatspräsidenten Ibrahim Boubacar Keïta zum Rücktritt gezwungen; er floh in die Vereinigten Arabischen Emirate. Dem Putsch waren seit Anfang Juni Massendemonstrationen gegen die notorische Korruption des Präsidenten und seiner Entourage, dessen Praktiken bei der Ämterbesetzung, aber auch wegen mangelnder Fortschritte bei der Beendigung des Kriegs mit den Jihadisten im Norden und im Zentrum des Landes vorausgegangen. Die Repression gegen die Proteste forderte bis Anfang August rund 30 Menschenleben.

In Teilen der Bevölkerung verbreitet sich die Idee, Russland als Partner zur Bekämpfung der Jihadisten im Norden hinzuzuholen.

Ein Teil der Gesellschaft betrachtete die putschenden jüngeren Armeeangehörigen als kleineres Übel im Vergleich mit den abgewirtschafteten Macht­habern. In den vergangenen Monaten wuchs jedoch die Kritik. Die Übergangsregierung hatte angekündigt, innerhalb von 18 Monaten nach ihrer Machtübernahme Wahlen abzuhalten, doch schien sie es mit der notwendigen Überarbeitung der Wählerregister nicht allzu eilig zu haben. In viele Schlüsselpositionen, auch in den staatlichen Finanzbehörden, wurden Armeeangehörige eingesetzt. Ab Mitte Mai streikte zudem der Gewerkschaftsverband UNMT eine Woche lang, um eine bessere Berücksichtigung sozialer Interessen durchzusetzen.

Eine angekündigte Umbildung der Übergangsregierung, der die putschenden Offiziere selbst angehörten, löste den neuerlichen Putsch aus. Präsident Ndaw – selbst ein pensionierter Offizier, während sein Ministerpräsident ein Zivilist war – hatte eine neue Kabinettsliste bekanntgegeben. Die Postenverteilung zwischen Offizieren und ­Zivilisten blieb gleich: Armeeangehörigen kamen noch immer vier Schlüsselministerien zu, nämlich das Verteidigungs-, das Sicherheits-, das Innenministerium sowie das Ministerium für Nationale Aussöhnung. Letzteres ist für den Umgang mit dem von politischen Krisen und jihadistischer Gewalt geprägten Norden des Landes zuständig sowie dafür, das 2015 mit nichtjihadistischen Rebellengruppen, die vor ­allem aus den Reihen der Tuareg stammen, geschlossene »Abkommen von Algier« umzusetzen.

Jedoch änderte die Kabinettsumbildung das politische Kräfteverhältnis: Die beiden Minister Sadio Camara und Modibo Koné, beide im Rang von Obersten, die den putschenden jüngeren Offizieren vom August 2020 zuneigen, wurden durch zwei Generäle ersetzt, Souleymane Doucouré und Mamadou Lamine Ballo. Die beiden Generäle zählen zu jenen Repräsentanten des militärischen Establishments, gegen das sich der Putsch vom vorigen Jahr ebenfalls gerichtet hatte und die der Korruption bezichtigt werden.

Die jüngeren Offiziere gelten eher als Aufsteiger, von denen einige aus den Unterklassen stammen und sich hocharbeiteten. Das bedeutet nicht, dass die jüngeren Militärangehörigen für soziale Ziele stünden, doch setzen linksnationalistische Kreise zum Beispiel bei der Oppositionsbewegung M5-RFP (Bewegung des 5. Juni – Sammlung der patriotischen Kräfte, benannt nach dem Datum des Beginns der Massenproteste 2020) einige Hoffnungen gerade auf Assimi Goïta. Er gilt als Bewunderer von Thomas Sankara, dem linken Präsidenten des Nachbarlands Burkina Faso in den Jahren 1983 bis 1987, der vor seiner Machtübernahme durch einen Putsch der Sammlung kommunistischer Offiziere (ROC) angehörte, sich unter anderem für Frauenrechte und gegen Korruption einsetzte und bei einem mutmaßlich durch Frankreich mitinitiierten Putsch ermordet wurde. Dass die malischen Offi­ziere eine Politik nach den Leitlinien Sankaras betreiben ­werden, ist indessen eine vage Hoffnung.

Die Kabinettsumbildung betrachteten die jüngeren Offiziere als Affront und als Versuch der alten Kräfte, die unter der Präsidentschaft Keïtas das Sagen hatten, sich wieder durchzusetzen; zumindest damit lagen sie wohl nicht falsch. Unter Berufung auf die inakzeptablen Methoden der neuen Putschisten verhängten internationale Organisationen wie die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (Cedeao) und die Organisation französischsprachiger Staaten (OIF) Ende Mai Sanktionen gegen Mali. Die Cedeao scheint sich ­jedoch mit Goïta abgefunden zu haben: Sie fordert von Mali eine definitive Verpflichtung, einen zivilen Ministerpräsidenten einzusetzen und bis Februar 2022 Wahlen abzuhalten. Ersteres war ohnehin für diesen Monat geplant.

Nachdem Übergangspräsident Goïta am Montag seinen Amtseid abgeleistet hatte, wurde am späten Nachmittag Choguel Kokalla Maïga zum Übergangsministerpräsidenten ernannt. Er gilt als als Karrierist. Von 2002 bis 2004 und in den Jahren 2015 und 2016 fungierte der in der UdSSR ausgebildete Telekommunikationsingeneur als Minister. Im vorigen Jahr schloss er sich dem M5-RFP an, ein Beleg dafür, dass das Bündnis zwar eine Protestbewegung darstellt, aber auch eine Reihe mehr oder minder abgehalfterter Politiker in seinen Reihen zählt.

Die französische Verteidigungsministerin Florence Parly verkündete am Donnerstag voriger Woche die vorläufige Einstellung aller gemeinsamen Operationen der französischen mit der malischen Armee, bis die Bedingungen der Cedeao erfüllt würden. Frankreich und die Cedeao gelten in Mali ­gemeinhin als Unterstützer der politischen Kräfte des Establishments. Diese Nachricht schlug hohe Wellen, da im Norden und im Zentrum des Landes der Krieg mit jihadistischen Organisationen tobt.

Doch dürften die Auswirkungen ­zunächst begrenzt bleiben. Zwar wurde das gemeinsame Manöver Equinoxe (Sonnenwende) abgesagt, doch führt die französische Armee weiterhin Kampfeinsätze gegen Jihadisten durch, in den vergangenen Tagen zum Beispiel Luftschläge und Festnahmen im Raum Tessalit und Aguelhoc. Nur operiert sie nun im Alleingang, ohne ihre malischen Partner. Allerdings wirft dies ein Legitimitätsproblem auf respektive verstärkt das bestehende, zumal Frankreich verdächtigt wird, bei einem Armeeeinsatz in Bounti im Januar eine Hochzeitfeier bombardiert, dabei 19 Zivilisten getötet und dies vor den Vereinten Nationen vertuscht zu haben.

In Teilen der Bevölkerung verbreitet sich die Idee, Russland als militärischen Partner bei der Bekämpfung der Jihadisten im Norden hinzuzuholen. Auch Goïta soll entsprechende Sympathien hegen, was auch ein Grund dafür sein könnte, dass Frankreich die jüngsten Veränderungen ablehnt.