Die Initiative »Zusammenrücken in Mitteldeutschland« lockt westdeutsche Nazis

Aufbau Ost

Vor mehr als einem Jahr trat die Kampagne »Zusammenrücken in Mitteldeutschland« an die Öffentlichkeit. Sie unterstützt Neonazis, die mit ihren Familien aus Westdeutschland in die östlichen Bundesländer ziehen möchten.

Der Kampf um Raum ist seit jeher ein Leitmotiv rechtsextremer Ideen. Der historische Nationalsozialismus ist ohne die Blut-und-Boden-Ideologie und ihren Begriff vom »Lebensraum« kaum denkbar. In den neunziger Jahren formulierten vorwiegend ju­gendliche Neonazis einen Anspruch auf »national befreite« Zonen. Diese durch­zusetzen, war in der Regel mit Gewalt gegen diejenigen Menschen verbunden, die nicht ins eigene Weltbild passten.

Begleitet ist dieses Streben nach Raum stets von der Idee einer homogenen, weißen Volksgemeinschaft, die es zu bewahren und zu stärken gelte. Und auch wenn die Verfechterinnen und Verfechter heutiger rechtsextremer Raumkonzepte wenig äußerliche Übereinstimmungen mit den Skinheads des vergangenen Jahrhunderts haben, so vereint sie doch diese Ideologie. Auch die Personen hinter der Kampagne »Zusammenrücken in Mitteldeutschland« haben ein zutiefst rassistisches Weltbild.

Auch wenn sich Neonazis selbst gern erfolgreicher darstellen, als sie tatsächlich sind, ist die Kampagne ernst zu nehmen. Wo bereits rechtsextreme Strukturen bestehen, werden diese gestärkt.

Seit Beginn des Jahres 2020 rufen sie dazu auf, »in Mitteldeutschland geballt zusammenzurücken« (Thema Jungle World 29/2020 und Umzug gen Osten). Gemeint sind damit die östlichen Bundesländer. So bietet man an, umzugswilligen »Kameraden« bei der Wohnungs- und Arbeitssuche sowie beim Knüpfen von Kon­takten zu helfen. In Westdeutschland, so die Kampagne, werde die »ständig schrumpfende deutsche Minderheit von afrikanischen und islamischen Zuwanderern unerbittlich an die Wand gedrückt.« Ziel müsse es daher sein, sich zu sammeln und eine Hegemonie in bestimmten Regionen im Osten der Republik anzustreben.

Christian Fischer, der als einer der Köpfe der Kampagne gilt, ist bereits vor einigen Jahren mit seiner Familie nach Sachsen gezogen. In Interviews schwärmt er davon, dass seine Kinder jetzt in Schulen unterrichtet würden, in denen es fast keine Ausländer gebe, und dass die Nachbarschaft nicht nur deutsch, sondern auch offen für ­seine politischen Ansichten sei. Fischer soll Medienberichten zufolge früher bei der inzwischen verbotenen Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ) ­»Rasseschulungen« für Kinder und Jugendliche angeboten haben. Später war er im Umfeld der NPD aktiv.

Eine ähnliche Karriere in der extremen Rechten hat sein Mitstreiter Lutz Giesen absolviert, der ebenfalls an HDJ-Veranstaltungen teilgenommen hatte und später für die NPD arbei­tete. Auch er hat sich unweit von ­Fischer niedergelassen. Ebenfalls mit seiner Familie nach Sachsen gezogen ist Dankwart Strauch, der unter anderem mit dem neonazistischen Verlag Adoria seinen Lebensunterhalt verdient. Rund um Fischer, Giesen und Strauch hat sich ein Netzwerk von mehreren neonazistischen Familien gebildet, die im Landkreis Mittel­sachsen Grundstücke erworben haben. Sie treten bei Demonstrationen, wie zum Beispiel gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pan­demie, als Rednerinnen oder Organisatoren in Erscheinung. Dabei wird deutlich, dass sie sich längst mit den bestehenden rechtsextremen Struk­turen in der Region vernetzt haben.

Eine Podcast-Reihe, die Christian Fischer verantwortet, zeigt, wie die Kampagne in unterschiedliche Szenen und Milieus der extremen Rechten wirkt und auf positive Resonanz stößt. Einer der Gäste war Jonathan Stumpf, der unter dem Pseudonym Johannes Scharf auftritt. In der jüngeren Vergangenheit hat dieser unter anderem ­dystopische, rassistische Gedichte geschrieben, die ein gewaltsames Ende der »Weißen« zum Inhalt haben. In der extrem rechten Szene bekannt geworden war er vor einigen Jahren mit dem Buch »Der weiße Ethnostaat«. Bei der Kleinpartei »Der III. Weg« und anderen Neonazi-Gruppen hielt er immer wieder Vorträge, in denen er einen solchen »weißen Ethnostaat« als letzte Möglichkeit beschreibt, um die »Weißen« zu retten. Die verbleibende weiße Bevölkerung müsse sich um den Aufbau eines »Nova Europa«, eines neuen Gebiets ausschließlich für weiße Europäer bemühen. Dem »Ansturm aus der Dritten Welt«, so Scharf im Gespräch mit Fischer, werde Europa nicht standhalten und letztlich zu einem »Unterkontinent« werden. Ziel müsse es daher sein, die deutsche Kultur und die deutsche Sprache zu erhalten.

Eine andere Interviewpartnerin ­Fischers war Kathrin Oertel, die im Herbst 2014 eine der Mitgründerinnen von Pegida in Dresden war. Auch aus ihrer Sicht schreiten »die Überfremdung« und »der Große Austausch« deutlich voran. Ihr gehe es darum, eine »deutsche Art von Kultur zu erhalten, die durch Fremde im Land ­definitiv zerstört wird«. Die Zeit für Demonstrationen, so Oertel im ­Gespräch mit Fischer, sei inzwischen vorbei, »man muss zum aktiven Tun übergehen«. Mit der Kampagne gebe es die Chance, dass sich Menschen mit ähnlicher Gesinnung finden und auf Regionen einigen, die zur Keimzelle werden, um von dort einen Neuanfang zu wagen. Sie ist der Meinung, dass man nichts erreichen könne, solange man »von diesem System abhängig« sei. Auch deshalb sei »Zusammenrücken« eine gute Möglichkeit, unabhängiger zu werden, mit eigenem Land, eigenem Acker und ­einer Gemeinschaft von Gleichgesinnten.
In einer weiteren Podcast-Sendung beklagt der bekannte rechtsextreme Liedermacher Frank Rennicke geistige Leere und ein Niveau von Überfremdung in Westdeutschland, das eine Veränderung unmöglich mache. Die Zukunft für Nationalisten sieht er in Dörfern und Kleinstädten Sachsens, Thüringens und Sachsen-Anhalts.

Wie diese Zukunft aussehen soll, beschreibt der ehemalige NPD-Funktionär und rechtsextreme Blogger Baldur Landogart, der meint, dass Demonstrationen kein sinnvolles Mittel der politischen Artikulation seien, denn »wenn man das Geld für Immobilien genutzt hätte, dann hätten wir heute in jeder deutschen Stadt eine nationale Begegnungsstätte«.

Michael Brück, ein ehemaliger Dortmunder Stadtrat für die Partei »Die Rechte«, der vor einigen Monaten nach Chemnitz gezogen ist, unterstützt die Kampagne »Zusammenrücken«, weil »die Normalbevölkerung« in den neuen Bundesländern leichter zu erreichen und offen für rechte Positionen sei. Er resümiert: »Wer die Möglichkeit hat, sollte überlegen, nach Mitteldeutschland zu gehen, weil man dort noch unter Deutschen ist.«

Eigenen Angaben zufolge erhielt die Kampagne im ersten Jahr ihres Be­stehens trotz der Pandemie mehrere Dutzend Anfragen pro Woche. Auch wenn man davon ausgehen kann, dass sich Neonazis gern erfolgreicher ­darstellen, als sie tatsächlich sind, ist die Kampagne durchaus sehr ernst zu nehmen. In Regionen, in denen bereits rechtsextreme Strukturen bestehen, werden diese mit dem Zu­zug weiterer Neonazis zukünftig deutlich gestärkt werden.