Der Kommunist Paul Merker setzte sich in der DDR für Israel ein

Kommunistische Minderheit

Paul Merker war ein führender Kommunist in der DDR und setzte sich für eine Entschädigung jüdischer Überlebender und den Staat Israel ein. Das bezahlte er mit Gefängnisaufenthalt und Ächtung.

Bis an sein Lebensende blieb Paul Merker Kommunist. Als er ein Jahr nach Ende des Zweiten Weltkriegs aus dem mexikanischen Exil nach Deutschland zurückkehrte, war er davon überzeugt, dass er am Aufbau einer neuen, sozialistischen Welt mitwirken werde. Wenige Monate zuvor war er in Abwesenheit als einer von sieben Vertretern der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) in das Politbüro der neu gegründeten Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) gewählt worden.

Mit damals 52 Jahren blickte Merker auf ein bewegtes Leben in der deutschen Arbeiterbewegung zurück: Nach vier Jahren als Soldat trat er 1918 der Unabhängigen Sozialistischen Partei Deutschlands (USPD) und schließlich 1920 der neu gegründeten KPD bei. Dort leitete er die Gewerkschaftsabteilung und war seit 1926 Mitglied des Zentralkomitees. Während Hitlers Machtübernahme war Merker aufgrund seiner Tätigkeit für die Rote Gewerkschaftsinternationale in der Sowjetunion, drängte aber darauf, zur illegalen Arbeit in Deutschland eingesetzt zu werden. Im Untergrund leitete er die kommunistische Gewerkschaftsarbeit und die KPD in Berlin. Als einer der wenigen kommunistischen Führungskader entkam er der Gestapo.

Während nach Moskau emigrierte KPD-Mitglieder den Nationalsozialismus als Herrschaft der Monopolbourgeoisie beschrieben, rückte Paul Merker den Antisemitismus ins Zentrum.

Die drei Politbüro-Mitglieder Paul Merker, Walter Ulbricht und Franz Dahlem leiteten ab 1935 das Auslandssekretariat der KPD in Prag und ab 1936 in Paris. Als die Wehrmacht in Frankreich einmarschierte, wurde Merker im Konzentrationslager Le Vernet in den Pyrenäen interniert, entkam jedoch und floh 1942 über Marseille nach Mexiko. Dort gründeten KPD-Emigranten um Merker die »Bewegung Freies Deutschland«, einen überparteilichen Zusammenschluss von Nazigegnern, dessen Zeitschrift Freies Deutschland. Alemania Libre zu einer der wichtigsten deutschen Exilpublikationen wurde.

Doch schnell geriet der Kreis um Merker in Konflikt mit dem Rest der KPD-Führung, der sich in Moskau aufhielt. Bereits damals ging es um die Analyse des Nationalsozialismus und die Frage nach den Konsequenzen, die aus der antisemitischen NS-Vernichtungspolitik zu ziehen seien. Während in der Moskauer Emigration der Faschismus vor allem als Herrschaft der Monopolbourgeoisie beschrieben wurde und die nationalsozialistische Rassenlehre bei Wilhelm Pieck, Walter Ulbricht und anderen Funktionären so gut wie keine Rolle spielte, rückte Merker den Antisemitismus ins Zentrum seiner Analyse, die er in Aufsätzen wie dem im Oktober 1942 veröffentlichten Text »Hitlers Antisemitismus und wir« entwickelte. Um Merker bildete sich eine Minderheitsströmung in der KPD: Als einziger führender KPD-Funktionär trat er vehement für eine Wiedergutmachung und Entschädigung der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus ein, unabhängig vom künftigen deutschen Wirtschafts- und Staatssystem. Zudem machte er sich als einziges Mitglied des Politbüros öffentlich für einen eigenständigen jüdischen Nationalstaat stark.

Trotz dieses Dissenses war Merker für führende Funktionen vorgesehen. Als er 1946 nach Deutschland zurückkehrte, wurde ihm die Leitung der Zentral­verwaltung für Arbeit und Sozialfürsorge in der Sowjetischen Besatzungszone übertragen, danach war er kurzzeitig Staatssekretär im DDR-Landwirtschaftsministerium. Gemeinsam mit anderen Emigranten aus Mexiko, insbesondere dem späteren Staatssekretär im DDR-Präsidialamt, Leo Zuckermann, setzte er sich für die Belange jüdischer Überlebender ein. Immer wieder setze er die Entschädigung jüdischer Opfer auf die Tagesordnung des SED-Zentralkomitees und erarbeitete gemeinsam mit Zuckermann ein Wiedergutmachungsgesetz zur Rückgabe »arisierten« Eigentums.

In erbitterten amtlichen und innerparteilichen Auseinandersetzungen versuchte Merker, die Gleichstellung jüdischer Opfer mit als »antifaschistische Widerstandskämpfer« anerkannten Kommunisten zu erreichen. Doch vergeblich: Seine Forderung nach kollektiver Entschädigung seitens der DDR wurde abgelehnt und ein großer Teil ehemals jüdischer Firmen in Ostdeutschland wurde rechtlich als Nazi-Vermögen behandelt und verstaatlicht. Nur in den seltensten Fällen konnten Restitutionsansprüche durchgesetzt werden.

Schnell wurde die Minderheitsströmung um Merker, die in der Anerkennung der Verantwortung für den ­Holocaust und den entsprechenden Konsequenzen die Grundlage für eine ­sozialistische Entwicklung der DDR sah, innerhalb der SED isoliert und immer stärker angefeindet.

Das betraf auch die Frage des Verhältnisses zum Staat Israel. 1948 ergriff Paul Merker in seinem Aufsatz »Der Krieg in Palästina« leidenschaftlich Partei für den Judenstaat. Er rief zur Soli­darität mit dem jüdischen Kampf gegen die »reaktionären Standesinteressen der arabischen Fürsten und Feudalen« auf. Doch Stalin vollzog zu dieser Zeit – nach anfänglicher Unterstützung eines jüdischen Staatswesens – eine Kehrtwende. Zugleich begann im sowjetischen Herrschaftsbereich eine großangelegte antisemitische Kampagne gegen »Kosmopolitismus« und »Zionismus«, in der auch Israel als Teil des imperialistischen Feindeslagers angegriffen wurde. Im Laufe des Jahres 1948 wechselte die Sowjetunion von der Unterstützung für Israel zur Parteinahme für dessen arabischen Gegner.

Die DDR vollzog diesen Schwenk mit und sollte bis zu ihrem Ende eine dezidiert antiisraelische Außenpolitik verfolgen. Bald gerieten auch die ehe­maligen Emigranten aus Mexiko als »westliche Agenten« und »Kosmopoliten« in den Blick der staatlichen Repression. Im November 1949 gab Hermann Matern als Vorsitzender der Parteikontrollkomission die Anweisung, Parteimitglieder zu überprüfen, insbesondere jene, die während des Krieges in andere Staaten als die Sowjetunion emigriert waren. Besonders jüdischstämmigen Mitgliedern wurden Verbindungen zur zionistischen und einer »trotzkistisch-jüdischen« Bewegung sowie zum US-Geheimdienst unterstellt.

Paul Merker war einer der ersten, die dieser Säuberungswelle zum Opfer fielen. Im August 1950 wurde er öffentlichkeitswirksam aus der Partei ausgeschlossen. In einer Entschließung des ZK wird ihm vorgeworfen, er habe im Exil zionistische Auffassungen vertreten und die Entschädigung der von den Nazis geraubten jüdischen Vermögen nur gefordert, um dem US-Finanzkapital zu ermöglichen, in Deutschland einzudringen.

1952 intensivierte sich die antisemitische Kampagne in allen realsozialistischen Staaten. In Prag wurden in einem Schauprozess der ehemalige KP-Generalsekretär Rudolf Slánský und zehn weitere Angeklagte, nahezu alle jüdischer Herkunft, wegen Hochverrats zum Tode verurteilt und am 3. Dezember hingerichtet. Am 30. November wurde Paul Merker als »imperialistischer Agent« verhaftet und im Untersuchungsgefängnis des Ministeriums für Staats­sicherheit (MfS) in Berlin-Hohenschönhausen interniert. Die parteinahe Presse stellte ihn an den Pranger. Wie die von dem Historiker Jeffrey Herf in den frühen neunziger Jahren erstmals veröffentlichten Prozessakten zeigen, war Merker während seiner Haft ständigem Verhördruck ausgesetzt, weitere »Mitverschwörer« zu belasten, und wurde von seinen Stasi-Vernehmern als »König der Juden« verhöhnt.

Die Verhaftung Merkers führte zum endgültigen Bruch vieler jüdischen Gemeinden mit der DDR. Herf bezeichnet das Vorgehen gegen Merker als »das wichtigste politische Ereignis für die Behandlung der jüdischen Frage in der Geschichte der DDR«. Kurz nach Merkers Verhaftung flohen Hunderte Juden aus der DDR. Unter den Flüchtlingen befanden sich der Präsident der jüdischen Gemeinde, Julius Meyer, sowie sechs von sieben Vorstehern der jüdischen Gemeinden in der DDR. Der langjährige Weggefährte Merkers, Leo Zuckermann, suchte Zuflucht in der Westberliner Wohnung des späteren Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, Heinz Galinski, und kehrte später nach Mexiko zurück.

Merker selbst verbrachte 28 Monate in Untersuchungshaft und bereite sich auf den zu erwartenden Schauprozess vor. Der Tod Stalins im März 1953 änderte jedoch das Vorgehen seiner Ankläger. Statt in einem öffentlichen Verfahren wurde Merker in einem Geheimprozess zu weiteren acht Jahren Haft verurteilt. Zur Last gelegt wurde ihm unter anderem, die DDR durch seine Forderung nach Entschädigung der jüdischen Opfer und seine Aktivitäten und Kontakte im mexikanischen Exil geschädigt zu haben.

Im Frühjahr 1956 wurde Merker im Zuge der Entstalinisierung aus dem Gefängnis entlassen. Sein Kampf um politische Rehabilitation blieb jedoch erfolglos. Zwar wurde er stillschweigend wieder in die SED aufgenommen und an seinem Lebensabend von der DDR-Führung mit verschiedenen Orden bedacht, seine Positionen blieben jedoch geächtet. Paul Merker übte nie wieder ein hohes politisches Amt aus und arbeitete bis zu seinem Tod 1969 als Lektor.

Mit Merkers Verhaftung endete die kurze Geschichte der Minderheitsströmung im deutschen Parteikommunismus, für die die Vernichtung der europäischen Juden mehr war als nur ein Nebenaspekt der NS-Barbarei und die daraus Schlüsse für ihre Politik zog. Als Ende der fünfziger Jahre die DDR ihre Zusammenarbeit mit antisemitischen Terrororganisationen und autokratischen Regimen im Nahen Osten intensivierte und begann, die Feinde Isra­els finanziell, politisch und militärisch zu unterstützen, gab es keinen innerparteilichen Widerspruch mehr.