Die Künstlerin Lisa Baier und ihr Konflikt mit der Stadt Görlitz

Zensur in Görliwood

In Görlitz wollte die Künstlerin Lisa Maria Baier eigentlich eine Arbeit zeigen, in der es auch um das verschärfte Abtreibungsrecht in Polen geht. Nun aber soll ihre Arbeit abgebaut werden.

Die Görlitzer Art, eine öffentliche Kunstausstellung in der sächsischen Stadt Görlitz, hat sich durch provin­zielle Winkelzüge in einen Eklat hineinmanövriert. In der dieses Jahr zum zweiten Mal stattfindenden Ausstellung werden vorher ausgesuchte Skulpturen im öffentlichen Raum zu sehen sein – bis auf eine.

Unter den neun ausgesuchten Kunstwerken von Absolventen und Meisterschülern der Hochschule für Bildende Künste (HfBK) Dresden befand sich auch eines von Lisa ­Maria Baier. Ihre »Kulisse«, eine multimediale Installation, wurde bereits vergangenes Jahr für die Ausstellung in der Kleinstadt ausgewählt und prämiert. Auf einer Holztri­büne sind mehrere Sitze befestigt, am Ende der Tribüne gibt es eine Art Leinwand, das Setting erinnert an ein Kino. Das Konzept dahinter dreht sich um den starken Filmbezug der Stadt, die sich wegen ein paar dort gedrehter Filmen gerne »Görliwood« nennt. Baier wollte das Spannungsverhältnis zwischen Betrachten und Betrachtetwerden aufzeigen. Ein Vertrag wurde geschlossen, Pläne wurden geschmiedet und Vorbereitungen getroffen.

»Ich habe mich in erster Linie gefreut«, sagt Baier im Gespräch mit der Jungle World. »Von mir eingereicht wurde nur ein Skizze, auf der selbstverständlich die Umsetzung des Projekts aufbaut. Solche Werke sind immer als Prozess zu betrachten, sind nie bereits bei ihrer Einreichung fertig. Sie entwickeln sich meist erst mit ihrem Standort.« Anfang Juli begann der Aufbau der ­Arbeiten durch die Künstlerinnen und Künstler in der Stadt. Die genauen Standorte der Installationen waren vorher nicht bekannt, Baier entschied sich für den Vorplatz der Stadthalle, der den deutschen und den polnischen Stadtteil – der jenseits der Grenze die Stadt Zgorzelec bildet – miteinander verbindet.

Seit Monaten wird gegen die Verschärfung eines Gesetzes in Polen protestiert, die Abtreibungen nahezu unmöglich macht. Vor allem ­junge Frauen demonstrieren immer wieder für ihre Rechte und gegen ­regressive Politik. »Um sich von dieser Seite der Grenze aus zu solidarisieren, habe ich ein Banner in meine Installation integriert, das mit Filmstills aus einer Dokumentation über die Proteste gegen das Gesetz bedruckt ist«, erzählt Baier. »Außerdem habe ich Bänder mit eigentlich selbstverständlich erscheinenden Forderungen wie ›Aborcja bez granic‹ (Abtreibung ohne Grenzen) oder ›Prawa kobiet‹ (Frauenrechte) an Kleiderbügeln aufgehangen.« Nach dem Aufbau der Arbeiten drehten die Künstlerinnen und Künstler ein 30 Sekunden langes Video über ihre Arbeit. Baier sagt darin: »Mein Projekt hat sich in eine sehr solidarische Richtung entwickelt.«

Nach einigen Tagen erreichte sie eine E-Mail von Michael Wieler, dem Bürgermeister für Kultur der Stadt Görlitz. In dem mit Paragraphen gespickten Schreiben heißt es, die Hinweise auf Frauenrechte in der Installation hätten den von der Jury ­gewählten Entwurf so stark verändert, dass er an diesem Platz nicht mehr gezeigt werden könne. Baier solle ihr Kunstwerk neu aufbauen oder bis zum 12. Juli zurückbauen. Ansonsten, kündigte Wieler an, werde die Stadt dafür sorgen.

»Ich war in erster Linie schockiert und hatte Angst, dass ich die Prämierung komplett zurückzahlen muss«, schildert Baier. »Ich mache öfter kritische Sachen, man muss nur meine Website anschauen, aber offenbar hat das vorher niemand getan. Meine Projekte bestehen vor allem daraus, dass man über die dort angesprochenen Themen redet. In anderen Projekten wurden Konflikte immer zuerst im gemeinsamen Gespräch ausgetragen.«

In einem offenen Brief solidarisierte sich der Studentenrat der HfBK mit Lisa Baier und warf dem Kulturbürgermeister vor, die Künstlerin in ihrer Kunstfreiheit einzuschränken. Wieler antwortete in einem Schreiben, dass er nicht bereit sei, das Kunstwerk stehenzulassen, »weil es nicht die Art der politischen Kommunikation ist, welche wir als Stadt mit der polnischen Seite pflegen«. Dementsprechend handele es sich nicht um eine Einschränkung künstlerischer Freiheit, sondern um »eine bewusste Positionierung der Stadt, eine solche politische Demonstration auf diese Weise zu ­tätigen«.

Als Künstlerin kann es Baier nach wie vor nicht fassen: »Ich bin keine Auftragskünstlerin. Es kann nicht sein, dass mir ein Grundrecht verwehrt wird, nur weil das inhaltliche Thema meines Kunstwerks nicht mit der gewünschten politischen Kommunikation der Stadt übereinstimmt.«

Am 16. Juli wurde die Görlitzer Art eröffnet. Am Rande der Veranstaltung fanden sich Menschen zusammen, um in einer kleinen Demons­trationen Solidarität mit Baier zu zeigen. Ihre Arbeit ist im Ausstellungsflyer geschwärzt. In weißen Lettern steht darüber gedruckt: »Das Werk ›Kulisse‹ von Lisa Maria Baier konnte nicht im Einvernehmen zwischen Künstlerin und Veranstalter realisiert werden.«