Die Taliban wollen Körperstrafen für Vergehen gegen die Sharia wiedereinführen

Hände ab für die Sharia

In Afghanistan wollen die Taliban unter Mullah Nooruddin Turabi, ihrem neuen Verantwortlichen für Gefängnisse, Körperstrafen für Vergehen gegen die Sharia wieder einführen.

Schon bald dürften in Afghanistan wieder viele Gliedmaßen amputiert werden. Ein führender Ideologe der Taliban, Mullah Nooruddin Turabi, gab vergangene Woche im Gespräch mit der Nachrichtenagentur AP zu verstehen, dass die barbarischen Bestrafungsmethoden der islamistischen Bewegung wiedereingeführt würden. In der ersten Herrschaftsperiode der Taliban in Afghanistan von 1996 bis 2001 folgten diese einer archaischen Interpretation der Sharia: Dieben wurde eine Hand abgehackt, bei Raubdelikten wurden eine Hand und ein Fuß amputiert. Vorehelicher Sexualverkehr wurde mit öffentlichem Auspeitschen bestraft, Ehebruch hatte die Steinigung zur Folge.

Kritik aus dem Ausland verbat sich Turabi; niemand habe dem Regime zu sagen, »wie unsere Gesetze auszusehen haben«.

Kurz vor ihrer erneuten Machtergreifung im August, als der Rückzug der US-Streitkräfte bereits in vollem Gange war, gaben sich Sprecher der Taliban betont zurückhaltend und gemäßigt. Davon ist nach der Eroberung Kabuls durch die islamistischen Extremisten, die Anfang September mit pakistanischer Unterstützung auch die letzte Widerstandbastion im Panjshir-Tal erobern konnten, nicht mehr viel zu hören. Turabi war schon in den Neunzigern als Justizminister und Leiter der Religionspolizei der Taliban ein extremer Hardliner, dessen Häscher selbst kleine Vergehen gegen die extreme Interpretation der Sharia gnadenlos verfolgten: Männer wurden zusammengeschlagen, wenn ihre Bärte den Verdacht erregten, gestutzt zu sein. Nun haben ihm die Taliban die Verantwortung für die Gefängnisse übertragen.

Turabi, dem selbst ein Auge und ein Bein fehlen, verteidigte in dem AP-Interview das erste Regime der Taliban in Afghanistan, da dieses dem Land Stabilität gebracht habe: »Wir hatten komplette Sicherheit in jedem Teil des Landes.« Hierzu seien abermals Amputa­tionen notwendig, da das Abhacken von Händen »sehr wichtig für die Sicherheit« sei. Dabei ist Afghanistan ein ökonomisch zusammengebrochenes Land, in dem Verelendung, Mangelernährung und Hunger weitverbreitet sind. Der Strafenkatalog der ersten Terrorherrschaft der Taliban werde wieder eingeführt, kündigte Turabi an, wobei diesmal »Richter und auch Richterinnen« die Strafen verhängen werden. Kritik aus dem Ausland verbat sich Turabi; niemand habe dem Regime zu sagen, »wie unsere Gesetze auszusehen haben«.

Die Taliban zeigten sich aber offen für die Errungenschaften des Internetzeitalters. »Wir haben uns verändert«, so Turabi, der das Interview tatsächlich einer Journalistin gab. Bei einer Pressekonferenz zur Machtübernahme der Taliban 1996 hatte er eine anwesende Journalistin noch angeschrien, sie solle den Männern vorbehaltenen Raum verlassen. Die Taliban, erläuterte er jetzt, erlaubten Fernsehen, Mobilfunk, Fotos und Videos, da dies ein guter Weg sei, um die eigene Botschaft zu verbreiten; statt Hunderte Menschen erreiche man Millionen. Turabi plädierte dementsprechend für die massenhafte Verbreitung von Videos und Fotos von Exekutionen, um so den »Abschreckungseffekt« zu steigern. In Herat stellten die Taliban Ende September bereits Opfer von Exekutionen öffentlich zur Schau.

Das öffentliche Abspielen von Musik wurde abermals verboten. Die Musikschulen des Landes mussten schließen. Am 27. August erschossen Taliban in der nordafghanischen Provinz Baghlan den Musiker Fawad Andarabi.

Für die Frauen des geschundenen Landes stellt die abermalige Talibanherrschaft schon jetzt eine Katastrophe dar. Das Frauenministerium wurde aufgelöst; in dem Regierungsgebäude, das es beherbergte, ist nun das »Ministerium zur Prävention von Lastern und zur Propagierung der Tugend« ansässig, das Turabi während der ersten Talibanherrschaft leitete. Mitte September ließ das Bildungsministerium die Schulen in Kabul öffnen – doch nur für Jungen und männliche Lehrkräfte, Frauen müssen bis auf Weiteres draußen bleiben. Frauenrechtlerinnen sagten Medienvertretern, die Frage sei nicht ob, sondern wie stark die Bildungs- und Menschenrechte von Frauen durch die Taliban beschnitten würden.

Dabei steht noch gar nicht fest, ob die Taliban ihre Terrorherrschaft in dem verwüsteten Land überhaupt stabilisieren können – oder ob Afghanistan in einem Zustand der Anomie versinkt, wie er für viele failed states charakteristisch ist. Arabische Medien wie al-Jazeera berichten von wachsenden Spannungen zwischen Fraktionen und konkurrierenden Clans der Taliban. Diese sähen sich zudem durch Zellen des in Afghanistan operierenden »Islamischen Staats« (IS) ideologisch herausgefordert. Überdies seien viele Kämpfer aufgrund der desaströsen ökonomischen Lage unzufrieden, was ihre Anwerbung durch den IS erleichtern könnte.