Trotz steigender Inflation muss die expansive Geldpolitik fortgeführt werden

Geldflut als Krisenmodus

Die desaströsen wirtschaftlichen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie haben die US-amerikanische Notenbank Fed und die Europäische Zentralbank zu einer expansiven Geldpolitik veranlasst. Nun steigt die Inflationsrate.
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Beiderseits des Atlantiks treibt Banker und Wirtschaftspolitiker vor allem eine Frage um: Wie lange kann die umlaufende Geldmenge weiter erhöht werden, ohne dass die negativen Nebenwirkungen dieser expansiven Geldpolitik ihre intendierten positiven Effekten überwiegen? Seit dem Ausbruch der Pandemie sind die US-Notenbank Fed und die Europäische Zentralbank (EZB) in den Krisenmodus zurückgekehrt, den sie erst vor wenigen Jahren im Nachklang der Weltfinanz- und -wirtschaftskrise 2008 verlassen haben. Bei der sogenannten quantitativen Lockerung (quantitative easing, QE) kaufen die Notenbanken allmonatlich Staatsschulden oder Unternehmensbonds auf, um die Finanzmärkte zu stützen und die Konjunktur zu beleben.

Letztlich wird hierbei Geld gedruckt. Die frisch zugeführte »Liquidität« lässt die Kurse an den Finanzmärkten steigen und kurbelt auf der Basis des Staatskonsums die Nachfrage an – während die Notenbanken sich in Mülldeponien des Weltfinanzsystems ver­wandeln. Die Folge dieser faktischen Gelddruckerei: Die Bilanzsumme der EZB ist von 1,1 Billionen Euro 2007 auf inzwischen 8,2 Billionen geklettert, die US-Notenbank hält derzeit »Wertpapiere«, die mit 8,4 Billionen US-Dollar zu Buche stehen.

Und die quantitativen Lockerungen gehen vorerst weiter: Die Fed kauft allmonatlich Staatspapiere und Hypothekenanleihen im Wert von 120 Milliarden Dollar auf, bei der EZB beläuft sich das bei Pandemieausbruch auf­gelegte Aufkaufprogramm auf rund 1,85 Billionen Euro, monatlich werden Staatsanleihen und Firmenbonds bis zu 88 Milliarden Euro aufgekauft.

Die QE-Programme wurden nach dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 2007/2008 notwendig zur Stabilisierung des Weltfinanzsystems, da die klassische neoliberale Konjunkturpolitik – die Leitzinssenkung – wegen faktischer Nullzinsen unmöglich geworden war. Seitdem ist das Gelddrucken zu einem unerlässlichen ­Instrument kapitalistischer Geldpolitik avanciert. Doch angesichts der ansteigenden Inflation wie auch der Instabilität von Märkten, die mit anlagesuchendem Kapital überschwemmt sind, mehren sich die Stimmen, die auf ein Ende der großen Geldflut drängen.

In den USA steht eigentlich eine Reduzierung des Umfangs der QE-Politik im kommenden November zur Debatte, zudem wurden erste Zinserhöhungen für 2022 in Aussicht gestellt. Bei einer Wachstumsprognose von 5,9 Prozent in diesem Jahr soll die Inflation bis auf 4,2 Prozent klettern – im Juni ging die Fed noch von einer Teuerung von nur 3,4 Prozent aus. Doch haben schlechte Zahlen vom Arbeitsmarkt, wo im zweiten Monat in Folge die Zahl neu geschaffener Arbeitsplätze weit unter den Prognosen blieb, im September die angestrebte Zinserhöhung in Frage gestellt. Überdies scheinen die Finanzmärkte schon auf das drohende Ausbleiben der Liquiditätsspritzen der Fed zu reagieren, da alle drei großen US-Aktienindi­zes (Dow, S&P, Nasdaq) im September die größten Verluste seit der Panik am Pandemieanfang verzeichneten.

In der EZB wird hingegen vor dem Hintergrund einer Inflationsrate von rund 3,4 Prozent im September die Frage eines Nachfolgeprogramms der derzeitigen Aufkaufprogramme diskutiert. Die Fronten verlaufen ähnlich wie während der Euro-Krise, als die deutsche Regierung eine strikte Geldpolitik durchsetzen wollte, während der damalige Präsident der EZB, Mario Draghi, im Einklang mit den südlichen EU-Ländern, mit seiner Nullzinspolitik und umfassenden Liquiditätsspritzen das deutsche Spardiktat konterkarierte – und die Euro-Zone vor dem Auseinanderbrechen bewahrte. Sollte das derzeitige QE-Programm ohne einen Nachfolger auslaufen, droht nicht nur ein Konjunktureinbruch in den südlichen EU-Staaten, sondern auch eine Flucht aus den Bonds der südlichen Euroländer, was deren Finanzierungskosten in die Höhe triebe.

Doch in beiden Fällen stellt sich schlicht die Frage, ob die spät­kapitalistische Krisenpolitik trotz ansteigender Inflation überhaupt noch ohne die Gelddruckerei auskommt, die – mit kurzen Unterbrechungen – seit 2008 die monetäre Politik beiderseits des Atlantiks prägt. Das »Freigeld« der Notenbanken fungiert durch Staatsanleihenaufkäufe als Konjunkturmotor, und es stabilisiert die Finanzmärkte, die zum Höhenflug ansetzen konnten. In dieser Hinsicht gibt es keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen dem Westen und China: Auch beiderseits des Pazifiks läuft die Konjunktur auf Pump. Die USA sind derzeit in diesem Sinn sogar etatistischer als China, dessen Spekulationsblase auf dem Immobilienmarkt als Konjunkturtreiber fungierte, während die USA sich dank des Dollars und der Fed ein Haushaltsdefizit von 13 Prozent des Bruttoinlandsprodukts leisten können.