Beim Frankreich-Afrika-Gipfel in Montpellier pflegt Präsident Macron einen neuen Stil

Neuer Gipfel, neues Glück

In Montpellier traf sich der französische Präsident Emmanuel Macron zu einem Gipfel mit »wirtschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren« aus West- und Zentralafrika.

Etwas muss sich ändern, damit alles so bleibt, wie es ist: Derzeit diskutiert die französische Öffentlichkeit die Frage, ob die politische Führung Frankreichs nach diesem Prinzip verfährt und ihren langjährigen »Sonderbeziehungen« zu den früheren französischen Kolonien in Afrika nur ein Lifting verpasst – oder ob es zu tiefer greifenden Änderungen kommt.

Den Afrika-Frankreich-Gipfel am Wochenende in Montpellier wertet die Französische Kommunistische Partei in einer Presseerklärung als »Versuch der Sympathiewerbung mit optischen Täuschungen«. Survie, eine 1984 gegründete, zunächst eher rein humanitäre und später politischer auftretende Nicht­regierungsorganisation, die gegen den französischen Neokolonialismus opponiert, schrieb: »Alles läuft nach dem Plan des Elysée-Palasts«, und kritisierte die zielstrebige »Relegitimation der französischen Afrika-Politik«.

Der Gipfel in Montpellier diente als Ersatz für ein in Bordeaux vorgesehenes Treffen der Staats­chefs aus Frankreich und afrikanischen Ländern.

Das Regierungslager und Teile der Presse meinen hingegen, dass sich im Rahmen des Gipfels größere Veränderungen manifestiert haben. Gegen diesen demonstrierten am Samstag rund 1 500 bis 2 000 Menschen in Montpellier, wo in der vergangenen Woche auch eine Reihe von Diskussions- und Gegenveranstaltungen stattfanden. Mehrere afrikanische Einwanderer, die aus dem Raum Paris zur Demonstra­tion anreisten, jedoch über keine Aufenthaltserlaubnis verfügten, wurden bei der Ankunft am Bahnhof aufgegriffen. Über sieben von ihnen wurde eine Ausreiseverfügung verhängt, zwei kamen in Abschiebehaft.

Das Geflecht aus Praktiken in West- und Zentralafrika, das nach einem gleichnamigen Buch von François-Xavier Verschave von 1998 als »Franç­afrique« bezeichnet wird und das unter anderem Kriege, verdeckte Interven­tionen und ungezügelte Ausbeutungspraktiken, Konzerninteressen und illegale Parteienfinanzierung miteinander verquickt, hat sich immer wieder gewandelt. Politiker wie die Präsidenten Nicolas Sarkozy, François Hollande und nun Emmanuel Macron nutzten solche Veränderungen, um die Idee zu propagieren, nun sei es mit Franç­afrique aber wirklich definitiv vorbei – noch unter dem jeweiligen Vorgänger habe es so etwas gegeben, nun aber seien andere Zeiten angebrochen.

Der in diesem Jahr maßgeblich von Survie-Mitgliedern herausgegebene Sammelband »L’Empire qui ne veut pas mourir. Une histoire de la Françafrique« (Das Imperium, das nicht sterben will. Die Geschichte von Françafrique) teilt die politisch-ökonomische Geschichte der postkolonialen Beziehungen in unterschiedliche Phasen ein. In der Phase zwischen 1969 und 1995 habe der Zugang zu Energieträgern wie Erdöl und Uran – mit faktischen Monopolen für französische Unternehmen in mehreren Förderstaaten – im Mittelpunkt ­gestanden. In der Periode von 1995 bis 2010 habe dann stärkere wirtschaftliche Konkurrenz eingesetzt. Nach dem Ende des Kalten Kriegs bildeten West- und Zentralafrika keine geschlossene und relativ abgeschottete Einflusszone Frankreichs mehr, da unter anderem die USA, Großbritannien und China ihren Einfluss ausbauten. Im Zeitraum von 2010 bis 2020 konstatieren die Autoren eine Rückkehr Frankreichs zu mehr militärischem Interventionismus, mit dem Eingreifen in den Bürgerkrieg in der Côte d’Ivoire bis 2011 und insbesondere der Sahel-Intervention ab 2013. Die französische Staatsmacht habe dadurch wieder eine wichtigere Rolle eingenommen.

Allerdings wurden die Ziele, die sich die anfangs vor Ort durchaus populäre französische Intervention in Mali gesetzt hatte, kaum erreicht. In Nordmali wurden die Jihadisten von der Macht verdrängt, ihr Vormarsch in den Süden wurde beendet. Doch wurden sie lediglich aus den städtischen Zentren vertrieben und die öffentliche Meinung in Mali – ob auf der Straße oder in den ­Führungsschichten – tendierte mehr oder minder offen zu der Annahme, dass Frankreich einen endgültigen Sieg über die Jihadisten gar nicht gewollt habe, um eine dauerhafte Präsenz zu legitimieren. Mittlerweile wendet sich die malische Militärjunta Russland zu, was in der Öffentlichkeit vielerorts begrüßt wird.

Der wachsenden Distanz zu Frankreich in den afrikanischen Bevölkerungen und den politischen Führungsschichten will Macron mit neuen Methoden in den bi- und multilateralen Beziehungen entgegenwirken. Das sollte auch der Gipfel in Montpellier verdeutlichen. Er diente als Ersatz für das in Bordeaux im Frühjahr vorgesehene, periodisch stattfindende Treffen der Staatschefs aus Frankreich und anderthalb Dutzend afrikanischen Ländern. Dieses war wegen der Covid-19-Pandemie abgesagt worden.

Macron änderte das Konzept völlig: Am Gipfel in Montpellier sollten gar keine Staatsoberhäupter mehr teilnehmen – mit Ausnahme des französischen. Stattdessen sollten der französische Präsident und Unternehmer des Landes mit »wirtschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren« Afrikas aus Privatunternehmen, NGOs und Intellektuellenkreisen zusammentreffen.

Die Moderation übernahm der kamerunische Schriftsteller Achille Mbembe; er fasste Reformvorschläge für die französisch-afrikanischen Beziehungen in 13 Programmpunkten zusammen, die zur Gipfeleröffnung offiziell präsentiert wurden. Die kamerunische Website Actu Cameroun bezeichnete Mbembe am Montag etwas enthusiastisch als »den Mann, der künftig die afrikanischen Diktatoren zu Fall bringen wird«. Im Zusammenhang damit steht, dass Frankreichs Führung ankündigte, einen mit Millionen Euro ausgestatteten »Fonds zur Demokratieförderung« einzurichten.

Insgesamt kamen rund 2 000 bis 3 000 Menschen zu der messeähnlichen Veranstaltung, die erstmals eher NGOs ein Forum bot. Präsident Macron hörte sich, auf einer Art Barhocker sitzend, geduldig an, wie elf ausgewählte Gesprächspartner ihm auf einer Diskussionsveranstaltung Veränderungswünsche unterbreiteten. Der ivorische Politologe und Historiker Arthur Banga beispielsweise forderte eine Abschaffung der Gemeinschaftswährung Franc CFA – ihre ursprünglich für 2020 geplante Ersetzung durch eine regionale Währung wird nun für 2027 angekündigt – sowie eine Schließung französischer Militärbasen in Afrika.

Rückblickend spricht Moussa Tchangari von der NGO Alternative Espaces Citoyens in Niger in einem auf NGO-Mailinglisten zirkulierenden Text einerseits von einer »Show von Montpellier«, die er als politische Propagandaveranstaltung einstuft. Andererseits bezeichnete er als Grundlage für deren Erfolg die Tatsache, dass Macron sich im Auftreten als sehr flexibel erwiesen habe – im Gegensatz zu seinen afrikanischen Amtskollegen, in deren Palästen die jungen Diskutanten nicht am ­Sicherheitspersonal vorbeigekommen wären.

Doch bereits am 18. Mai hatte Macron auf einer Versammlung unter der Bezeichnung »Gipfel über die Finanzierung afrikanischer Ökonomien« afrikanische Staatschefs getroffen, unter ­ihnen mehrere langjährige Potentaten. Zwar wird nun der Kampf gegen Dik­taturen proklamiert. Doch in Montpellier unterstützte Macron weiterhin explizit die nach dem Tod des Autokraten Idriss Déby Itno im Tschad von dessen Sohn Mahamat Idriss Déby geführte, von Armeeangehörigen gebildete Übergangsregierung. Der Tschad ist aus französischer Sicht eine der strategisch sensibelsten Zonen. »Ich sagte Übergang (transition), nicht Weitergabe der Macht (transmission)«, setzte Macron einschränkend hinzu. Doch am Montag wurde die Durchsuchung von Räumlichkeiten der Oppositionspartei Les Transformateurs in der Hauptstadt N’Djamena bekannt. Radio France International (RFI) berichtete nahezu gleichzeitig von der »Ausbreitung einer antifranzösischen Haltung« in N’Djamena.