Die unzureichenden Maßnahmen gegen die Covid-19-Pandemie

Durchwursteln bis zur nächsten Variante

Die Lage in den Krankenhäusern wird jeden Tag schlimmer, Besserung ist vorläufig nicht in Sicht.
Kommentar Von

Die Situation in der Covid-19-Pandemie scheint sich derzeit auf hohem Niveau zu stabilisieren. Aber vielleicht verschlimmert sie sich auch und die Infektionen werden bloß schlechter erfasst. Das Robert-Koch-Institut kann das derzeit nicht sicher beurteilen. Zumindest die Zahl derjenigen, die mit Covid-19 auf einer Intensivstation liegen, steigt weiter und hat am 4. Dezember 4 797 erreicht. Schwer Erkrankte müssen wegen Überbelegung Hunderte Kilometer weit in andere Kliniken gebracht werden. Dringende Operationen, zum Beispiel wegen Krebserkrankungen, müssen deswegen vielerorts verschoben werden. Im ganzen Land gibt es noch 1 816 freie Betten auf Intensivstationen. Das ist ein Bett auf circa 46 000 Einwohner.

Unterdessen streitet die Politik, unter welchen Bedingungen Fußballspiele und Weihnachtsmärkte stattfinden können oder ob sie doch wieder abgesagt werden müssen. Und wie sieht es mit den Pflegekräften aus? Der Gewerkschaftsverbund Verdi hat nach Warnstreiks eine Lohnerhöhung für im öffentlichen Dienst tätiges Pflegepersonal um 2,8 Prozent durchgesetzt, aber erst ab Dezember nächsten Jahres. Eigentlich handelt es sich dabei um eine Lohnkürzung, lag doch die Inflationsrate in diesem November bei 5,2 Prozent. Da helfen auch die für 2022 geplanten Einmalzahlungen von 1 300 Euro und die Erhöhung der Infektionszulage von 90 auf 150 Euro monatlich kaum.

Es scheint so, als wären sich Verdi und die Regierungen der Bundesländer weiterhin einig, dass Pflegende nicht wichtig sind und deshalb auch für wenig Geld arbeiten können. Die Ankündigung des Verdi-Vorsitzenden Frank Werneke, man werde diesen »Erfolg« in zukünftigen Tarifrunden fortsetzen, muss deshalb wohl als Drohung an die Gewerkschaftsmitglieder verstanden werden. So wird sichergestellt, dass der Exodus aus den Pflegeberufen weitergeht und sich noch beschleunigt.

Vielleicht kann man ja in die Automobilindustrie wechseln? Angestellte der Porsche AG erhielten im vergangenen Jahr 9 700 und in diesem Jahr bis zu 7 850 Euro Jahresprämie – zusätzlich zu ihren im Vergleich zur Pflegebranche höheren Grundgehalt. Solche Summen lassen sich natürlich nur erwirtschaften, wenn man die Konsumenten nicht allzu sehr gängelt und ihnen freie Fahrt mit dem neu erworbenen Porsche gewährt. Warum nicht nach Köln, wo am letzten Novemberwochenende mehr als 50 000 Fußballfans ohne Maske lauthals jubeln durften. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) bezeichnete die Genehmigung dieses Pandemieboosters als »angemessene Entscheidung«. Da ist er konsequent, schon bei der Eröffnung der Karnevalssaison drei Wochen zuvor hatte es kaum Einschränkungen gegeben. Inzwischen ist die Wocheninzidenz in Köln mit über 450 Infektionen pro 100 000 Einwohner die höchste in ganz Nordrhein-Westfalen.

Aber noch sind die Werte in Wüsts Bundesland nicht so schlecht wie zum Beispiel in Bayern. Dort gibt Ministerpräsident Markus Söder (CSU) wieder einmal den Hardliner. Kein Wunder, drohen doch in vielen Bezirken hohe Inzidenzen von um die 1 000, die Wirtschaft ernsthaft zu schädigen. Die Schließung von Kneipen und Gastwirtschaften kommentierte Söder mit den Worten: »Dann geht hier in Bayern eh nicht mehr viel.« Von den ebenfalls geschlossenen Theatern und Kinos kein Wort. Währenddessen laufen die Bänder an den bayerischen Standorten von BMW und Audi weiter. Da steckt man sich ja nicht an.

Derweil wird der Druck auf Ungeimpfte deutlich erhöht. Eine Impflicht kommt wahrscheinlich im Frühjahr. Was interessieren dabei die Versprechungen von vor einigen Monaten, genau dazu werde es nicht kommen? Das war vor der Wahl. Da wollte man noch den Teil der Wählerschaft erreichen, der sich längst in Parallelgesellschaften verabschiedet hat: vor allem in Süddeutschland in die anthroposophisch dominierte Esoterikszene und in Ostdeutschland eher in den offenen Rechtsextremismus.

Und die neue Omikron-Variante? Sie ist vermutlich noch ansteckender als die Delta-Variante. Die verfügbaren Impfstoffe werden womöglich schlechter vor ihr schützen. Auch den Immunschutz von Genesenen kann die Omikron-Variante offenbar umgehen, warnt die Weltgesundheitsorganisation. In Südafrika explodieren die Infektionszahlen. Kein Wunder, dort gab es auch kaum Impfstoffe, was unter anderem daran liegt, dass die Bundesregierung die nationale Pharmaindustrie in ihrem Kampf gegen Patentfreigaben für Impfstoffe unterstützt.

Aber zum Glück gibt es jetzt ein neues Infektionsschutzgesetz: In Fußballstadien dürfen nur noch 15 000, in geschlossene Räume höchstens 5 000 Besucher und 30 Millionen Impfungen (sowohl Neu- als auch Auffrischungsimpfungen) sollen bis Jahresende erfolgen – nun, bei einer Inzidenz von fast 500, soll also endlich die Impfkampagne forciert werden. Unterdessen will die bald regierende Ampelkoalition ihren neu eingerichteten Krisenstab von einem Offizier leiten lassen, dem Generalmajor Carsten Breuer. Das scheint angemessen, denn für Offiziere gehört das Akzeptieren hoher Todeszahlen zur Berufsbeschreibung.