Die EU-Kommission erklärt Atomkraft und Erdgas zu nachhaltigen Energiequellen

Das fängt ja gut an

Mit der Entscheidung, Investitionen in Atom- und Gaskraft­werke unter bestimmten Bedingungen als nachhaltig einzustufen, gibt die EU-Kommission nationalen Interessen den Vorrang vor dem Umweltschutz.
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Vielleicht wollten die oft als träge gescholtenen Brüsseler Bürokraten der Generaldirektion Finanzstabilität, Finanzdienstleistungen und Kapitalmarktunion (DG Fisma) der EU-Kommission beweisen, dass sie noch fleißig arbeiten, während andere sich bereits eifrig betrinken. Dass der Neujahrskater vergessen lassen würde, was sie am Silvesterabend um 21.53 Uhr den Mitgliedstaaten übermittelten, konnten sie jedenfalls kaum hoffen.

Ihr Gesetzentwurf dürfte die Energie-, Industrie- und Umweltpolitik der EU für mehr als drei Jahrzehnte prägen – es sei denn, eine »quali­fizierte Mehrheit« von 15 Mitgliedstaaten, die mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU vertreten, überstimmt die EU-Kommission. Das aber gilt angesichts der unterschiedlichen energiepolitischen Interessen als sehr unwahrscheinlich. Daher dürften Inves­titionen in Gas- und Atomkraftwerke von der EU unter bestimmten Bedingungen als klimafreundlich und daher nachhaltig eingestuft werden.

Nachhaltig ist die Kernspaltung insofern, als der radioaktive Zerfall etwa von Plutonium noch Zehntausende Jahre nach der Nutzung in einem Kraftwerk Energie erzeugt – allerdings in Form von Strahlung. Im Abklingbecken des Nuklearreaktors im japanischen Fukushima wäre es 2011 fast zur Katastrophe gekommen, doch ­solche »Zwischenlager« sollen sich in der EU noch jahrzehntelang füllen. Die DG Fisma gibt AKW-Betreibern bis 2050 Zeit, um End­lager zu errichten, vorher möchte sie nur detaillierte Pläne dafür sehen.

Etwas strenger ist man beim Erdgas. Ab 2031 sollen neue Gaskraftwerke nur noch dann als nachhaltig gelten, wenn sie gerechnet auf den »Lebenszyklus« (die Betriebsdauer) höchstens 100 Gramm sogenannte CO2-Äquivalente pro Kilowattstunde Energie emittieren. Bei modernen Gaskraftwerken ist schon der CO2-Ausstoß allein etwa doppelt so hoch, hinzu kommen die bis vor wenigen Jahren stark unterschätzten Methanemissionen bei Förderung und Transport. Deshalb gilt Erdgas als, wenn überhaupt, nur geringfügig klimafreund­licher als Kohle. Die Regelung der DG Fisma soll offenbar gewährleisten, dass die Kraftwerke nach einiger Zeit mit »grünem«, also mit ­erneuerbaren Energien erzeugtem Wasserstoff betrieben werden – in diesem Sinne grün sind derzeit etwa fünf Prozent der globalen Wasserstoffproduktion.

Hier wird ein langfristiger Plan erkennbar. Deutschland importiert derzeit mehr als drei Mal so viel Erdgas wie im Land verbraucht wird und exportiert den Überschuss. Die mutmaßlich auf Druck der alten Bundesregierung zustande gekommene Einstufung des fossilen Brennstoffs als nachhaltig stärkt die Machtposition Deutschlands auf dem europäischen Energiemarkt, die mit dem Übergang zu Wasserstoff für die zweite Hälfte des Jahrhunderts ­gefestigt werden soll. Die neue Bundesregierung scheint diese Strategie weiterzuverfolgen. Die Einstufung der Atomkraft als nach­haltig halten die Grünen für »absolut falsch« (Umweltministerin Steffi Lemke), beim Erdgas ist sie nach Ansicht von Wirtschafts­minister Robert Habeck nur »fraglich«.

Frankreich, das für das Greenwashing der Atomkraft gesorgt haben dürfte, kann nun mit EU-Subventionen für den Erhalt und Ausbau seiner Nuklearindustrie rechnen. Konkret geht es derzeit zwar nur um die Einstufung der Angebote sogenannter Öko-Fonds, ist die Taxonomie der EU aber erst einmal festgelegt, wird sie auch als Grundlage für die Verteilung von EU-Finanzmitteln und nationalstaatlichen Subventionen dienen. Das würde bei der Sanierung des mit mindestens 40 Milliarden Euro verschuldeten französischen AKW-Betreibers EDF helfen.

Bereits die marktwirtschaftliche Orientierung der EU-Klimapolitik hätte deren Scheitern garantiert. Bei der ersten sich bietenden Gelegenheit hat die EU-Kommission nun die Kriterien, nach denen ökonomische Anreize gesetzt werden sollen, zugunsten nationalstaatlicher Interessen manipuliert. Die Milliarden, die dadurch umgeleitet werden, werden beim Ausbau erneuerbarer Energien fehlen.