Die Proteste der »Querdenker« und ihrer Sympathisanten werden zahlreicher

Anschwellender Protest

In Deutschland häufen sich die Proteste von »Querdenkern« und Impfgegnern. Beteiligt sind zahlreiche Rechtsextreme – und Soldaten der Bundeswehr.

In ganz Deutschland demonstrierten in den vergangenen Tagen Zehntausende Menschen gegen die Coronapolitik und die Einführung der Impfpflicht. In Magdeburg zogen am Samstag mehrere Tausend Menschen bei einer »Quer­denken«-Demonstration durch die Stadt, darunter zahlreiche bekannte Rechtsextreme. Teilgenommen haben auch drei Männer in Bundeswehruniform. Einer von ihnen war der ehemalige Oberst des Kommandos Spezialkräfte (KSK), Maximilian Eder. Er hatte zu ­einem Kameradschaftstreffen von Soldaten und Reservisten aufgerufen, um mit ihnen an der Demonstration in Magdeburg teilzunehmen. Eder tritt schon seit Pfingsten 2021 als Redner bei »Querdenken«-Demonstrationen auf. Damals forderte er, KSK-Kämpfer nach Berlin zu schicken, um im Parlament »ordentlich aufzuräumen«. Während der Flutkatastrophe im Ahrtal war er als »Kommandeur« mehrerer Bundeswehrveteranen aufgetreten, die dort eine Schule besetzt hatten und angeblich Hilfe leisten wollten.

Immer öfter finden auch in Kleinstädten in ganz Deutschland kleinere Proteste statt.

Neben Eder waren wohl nur zwei weitere Soldaten in Uniform zugegen: der frühere Obergefreite Julian C. sowie der Oberfeldwebel Andreas O. Letzterer ist in der Protestbewegung womöglich schon bekannter als Eder selbst. In den vergangenen Wochen war O. wegen Drohvideos und blutrünstigen Reden bei »Querdenken«-Demonstrationen aufgefallen, weshalb er am 30. Dezember in München festgenommen wurde. Auch bei seiner Festnahme waren Eder und C. anwesend.

O. hatte sich zuvor alle Mühe gegeben, die Aufmerksamkeit der Ordnungsbehörden auf sich zu ziehen. Auf einer Demonstration gegen Coronamaßnahmen im bayerischen Rosenheim hatte er am Tag zuvor »Hochverrätern« gedroht: »Euch werden wir in Scherben schlagen, eure Leichen wird man auf Feldern verteilen.« In einem selbstgedrehten Video stellte er der Regierung ein Ultimatum: Noch einen Tag gebe er der Bundesregierung, um die Impfpflicht für Soldaten aufzuheben. In einem anderen Video sprach er den »Befehl« an »jeden mir untergebenen Soldaten« aus, die Proteste gegen die Coronamaßnahmen zu »schützen«. Jeder Polizist, der »sich verfassungsfeindlich oder übergriffig ­gegenüber der Bevölkerung zeige«, sei festzunehmen.

Am 30. Dezember auf dem Münchner Odeonsplatz hatte O. einen Kameramann mit dabei, der die anscheinend bewusst angestrebte Festnahme live streamen sollte. Im Video ist zu sehen, wie der Oberfeldwebel, offenbar frustriert, sagt: »Irgendwie möchte mich keiner einsperren.« Erst nachdem er einige Minuten umhergeirrt war, erbarmte sich die Polizei und nahm ihn fest. Bereits einen Tag später war er wieder auf freiem Fuß, da von ihm keine akute Gefahr ausgehe, so die zuständige Staatsanwaltschaft.

Glaubt man Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD), so arbeitet der Militärische Abschirmdienst (MAD) nun mit Hochdruck daran, radikale Impfgegner und sogenannte Querdenker in der Bundeswehr ausfindig zu machen. Anlass dazu gibt es schon länger. Der Taz zufolge stufte der MAD Andreas O. bereits seit Februar als ex­tremistischen Verdachtsfall ein. Schon im Frühjahr 2021 begannen echte oder angebliche Soldaten und Reservisten, sich in Telegram-Kanälen zu vernetzen. Die im November beschlossene Covid-19-Impfpflicht für Soldatinnen und Soldaten hat die Impfgegner in der Bundeswehr wohl noch bestärkt.

Auch Veteranen der Bundeswehr engagieren sich in der »Querdenken«-Bewegung. Ihre Kanäle auf Telegram haben sie schon früh in nach Bundesländern geordnete Gruppen aufgeteilt. Einige davon sind nach anfänglicher Euphorie wieder eingeschlafen. Andere, wie der »Veteranen-Pool NRW« oder sein Pendant in Berlin-Brandenburg, sind nach wie vor aktiv. Die an Letzterem beteiligten Veteranen scheinen, dem Inhalt ihres Kanals nach zu urteilen, mit dem in die Türkei geflohenen, antisemitische Botschaften verbreitenden Attila Hildmann zu sympathisieren. Auch Reichsbürger-Propaganda ist in den Veteranenkanälen beliebt.

Zu der Demonstration in Magdeburg am Wochenende wurde überregional aufgerufen. Das ist eine Ausnahme; die derzeit vorherrschende Strategie der Coronaprotestszene sieht vor allem kleine regionale Demonstrationen vor. Als die Stuttgarter Gruppe »Querdenken 711« sich im vergangenen Sommer immer weniger fähig erwies, Massenveranstaltungen in Berlin auf die Beine zu stellen, flaute die Protestneigung zunächst ab. Doch seit November steigen die Teilnehmerzahlen der Demons­trationen wieder. Immer öfter finden seither auch in Kleinstädten in ganz Deutschland kleinere Protestaktionen statt.

Eine Schlüsselrolle spielen dabei die »Freien Sachsen«. Die rechtsextreme Splitterpartei besitzt auch über Sachsen hinaus wachsenden Einfluss auf die Protestszene. Im Gegensatz zu »Querdenken 711« bevorzugen die »Freien Sachsen« nicht Großveranstaltungen, sondern Regionalisierung. Ihre nach Bundesländern geordneten Telegram-Kanäle sammeln und veröffentlichen zahlreiche Demonstrationstermine, ob in Großstädten oder kleinsten Gemeinden. Für viele Städte werden zudem örtliche Telegram-Kanäle empfohlen. Auf diese Weise kann jeder, der interessiert ist, Gleichgesinnte finden. Auf den ­Telegram-Kanälen gibt es außerdem praxisorientierte Tipps zur Organi­sation von Demonstrationen.

Die Proteste, die durch diese Strategie am Laufen gehalten werden, haben keinen langen Vorlauf. Als Mitte Dezember zum Beispiel mehrere Tausend »Querdenker« in Düsseldorf demons­trierten, waren die Ordnungskräfte nach eigenen Angaben völlig überrascht von der großen Anzahl der Demons­trationsteilnehmer. In manchen Städten scheint die Polizei nicht in der Lage oder nicht willens zu sein, Auflagen durchzusetzen oder ungenehmigte ­Demonstrationen zu beenden.

Manch ein Vertreter der Sicherheitsbehörden scheint allerdings auch andere Sorgen zu haben. Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, warnte in der vergangenen Woche im Interview mit dem ­Focus davor, alle Demonstranten »gleich in die rechte Ecke« zu stellen, und verharmloste die Sympathien mancher Polizisten für die Proteste: »Es gibt ja auch keine Rechtsverpflichtung, mit der Coronapolitik der Regierung zu­frieden zu sein.«

Der ehemalige Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Hans-­Georg Maaßen, ergreift inzwischen Partei für das extremistische Impfgegnermilieu. Auf der rechten Social-Media-Plattform Gettr verbreitete er ein Video des Coronaverharmlosers Sucharit Bhakdi, in dem dieser ein Impfverbot fordert. Der Mikrobiologe Bhakdi war Bundestagskandidat der »Quer­denker«-Partei »Die Basis«. Gegen ihn läuft derzeit ein Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung, weil er in einem Interview gesagt hatte, »das Volk der Juden« habe von den Nazis das »Erzböse« gelernt und »umgesetzt«. Maaßen, der behauptet, sich bis heute nicht von einem angeblichen Impfschaden erholt zu haben, den er als Kind erlitten habe, beschrieb den Aufruf Bhakdis als »bewegenden Appell« für ein »Covid-Impfverbot«.

Es ist nicht das erste Mal, dass Maaßen mit Verschwörungstheorien kokettiert. 2020 warnte er in der rechten Zeitschrift Cato, »Geisteswissenschaftler, Journalisten, Berufspolitiker, EU- und UN-Bürokraten, Befürworter der ökonomischen Globalisierung« würden nicht als »Feinde unserer Gesellschaftsordnung« erkannt. »Die sozialistischen und die globalistischen Kräfte scheinen sich verbündet zu haben«, um »undemokratische, totalitäre supranatio­nale Systeme« zu errichten, raunten der ehemalige Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz und sein Co-Autor Johannes Eisleben.

Dennoch wurde Maaßen im vergangenen Jahr bei der Bundestagswahl als Direktkandidat der CDU in einem Wahlkreis in Südthüringen aufgestellt. Seit er Bhakdis Videos empfohlen hat, gibt es in der CDU erneut eine Diskus­sion über den Umgang mit Maaßen. Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien forderte, ihn aus der Partei auszuschließen. Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, kritisierte »das Schweigen der Parteispitze« zu Maaßens Äußerungen scharf. Die CDU dürfe »auf keinen Fall Signale aussenden, dass sie Äußerungen wie die von Hans-Georg Maaßen toleriert«. Am Montag schließlich verurteilte der CDU-Parteivorstand Maaßens Äußerungen einstimmig. Der CDU-General­sekretär Paul Ziemiak lehnte es jedoch ab, Maaßen zum Parteiaustritt aufzufordern. Zunächst werde der thüringische Landesverband ein Gespräch mit ihm führen.