In Frankreich streiken Lehrkräfte gegen den unzureichenden Schutz in der Pandemie

Das Protokoll des Urlaubers

Die französische Regierung musste die neuen Pandemieregeln für Schulen umgehend revidieren, nun streiken Lehrkräfte gegen mangelnde Schutzmaßnahmen.

Nun hat auch Frankreich sein »Ibiza­gate«. Seit Dienstag kursiert dieses Schlagwort, die Regierung hat erhebliche Erklärungsnöte, Rücktrittsforderungen wurden laut. »Ibizagate« bezeichnet in Frankreich allerdings andere Vorgänge als in Österreich, wo ein unter dieser Bezeichnung firmierender Skandal im Jahr 2019 die rechtsextreme FPÖ die Regierungsbeteiligung kostete.

In Frankreich löste Bildungsminister Jean-Michel Blanquer, der sich von Ende Dezember bis Anfang Januar auf der Baleareninsel aufhielt, die Krise aus. Wie am Montag durch die linke Internetzeitung Mediapart publik wurde, befand Blanquer sich noch auf dem Ferieneiland, als er am Neujahrswochenende der Boulevardzeitung Le Parisien ein längeres Interview gab, ­worin er das neue »Protokoll« zur Pandemiebekämpfung und Infektions­vermeidung im Schulwesen verkündete.

Bislang wurden die Lehrkräfte mit Stoffmasken ausgestattet, doch in Reaktion auf den Streik versprach die Regierung die Auslieferung von fünf Millionen FFP2-Masken.

Auch ohne diese Begleitumstände hätten die Ankündigungen des Ministers, vor allem aber die Art und Weise ihrer Veröffentlichung, schon genügend Anlass zu Kritik geboten. Denn die Beschlüsse wurden der Öffentlichkeit am Nachmittag des 2. Januar mitgeteilt – Unterrichtsbeginn nach den 14tägigen Winterferien war am 3. Januar. Überdies mussten sich Lehrer, Eltern und Schüler an jenem Sonntag aus einem Beitrag informieren, den Le Parisien hinter einer Bezahlschranke veröffentlicht hatte.

Ein solches Ausmaß an Gedankenlosigkeit rief umgehend Empörung hervor. Schließlich mussten Eltern, sofern ein Infektions- oder Kontaktfall in ­einer Schulklasse vorlag, nach den Regeln des »Protokolls« am selben Tag ­einen PCR-Test ergattern sowie zwei und vier Tage später dann jeweils einen Schnelltest zu Hause vornehmen. An jenem Montag wuchsen folglich die Warteschlangen vor den Apotheken und Testzentren ins Unermessliche. Manche Eltern verbrachten mit Warten zwei bis drei Stunden, es kam wegen der Fehlzeiten zu Konflikten mit Arbeitgebern.

Mittlerweile betrachtet die Regierung das »Protokoll« deswegen als nicht ­anwendbar; sie ersetzte es, wie Premierminister Jean Castex persönlich verkündete, durch ein neues. Dieses sieht nur noch Schnelltests durch die Eltern im häuslichen Wohnzimmer vor. Entsprechend wuchs aber auch die Zahl von Eltern, die angaben, ein Test sei negativ ausgefallen, obwohl er in Wirklichkeit nie durchgeführt worden war. Manche bekennen sich auf Facebook oder anderweitig im Internet offenherzig dazu. Andere tun es schlechten Gewissens und mit dem Druck des Arbeitgebers im Nacken, der kein ­Fernbleiben etwa Alleinerziehender vom Arbeitsplatz toleriert.

Viele Eltern erlebten vor allem die ersten Tage im Januar deswegen als administrative Schikane. Hätten sie gewusst, dass nicht etwa bis zur letzten Minute an einem schwierigen Regelwerk gefeilt worden war, sondern der Minister vom Urlaubsort aus impro­visierte, wären sie wohl massenhaft auf die Barrikaden gegangen.

Nun sehen allerdings die Lehrkräfte durch die Ersetzung der Apotheken- durch Wohnzimmertests die Gefahr wachsen, sich selbst zu infizieren, und reagieren mit Unmut darauf. Am 13. Januar kam es deswegen zu einem bereits zuvor auch in bürgerlichen Medien als »historisch« bezeichneten Streik. Zu ihm rief ein breites Bündnis von Gewerkschaften im Bildungswesen auf. Auch drei Gewerkschaften von Führungskräften im staatlichen Bildungswesen, also von Schuldirektoren und Bediensteten der Schulaufsichtsbehörde, riefen dieses Mal zur Arbeitsniederlegung auf – das ist selten. Entsprechend groß fiel die Streikbeteiligung aus, die Gewerkschaften bezifferten sie auf 75 Prozent im Grundschulbereich.

Für Donnerstag dieser Woche rufen mehrere Gewerkschaften erneut zum Ausstand im Bildungswesen auf, allerdings dieses Mal nicht zum landes­weiten Streik, sondern zu jeweils lokal organisierten Aktionen – vom Anbringen eines Transparents bis zur Arbeits­niederlegung.

Konkret fordern die Bildungsgewerkschaften in aller Regel nicht die Schließung der Schulen, sondern eher die Verteilung von FFP2-Masken an Lehrkräfte. Bislang wurden diese mit unzureichend schützenden Stoffmasken ausgestattet, doch in Reaktion auf den Streik versprach die Regierung Ende voriger Woche die Auslieferung von fünf Millionen FFP2-Masken. Auch wird vermehrt der Einbau von Luftfiltern in Unterrichtsräumen diskutiert, die durch einen regelmäßigen Luftaustausch ­einen gewissen Infektionsschutz bieten. Bislang sind nur 20 Prozent der fran­zösischen Schulen mit solchen Luftfiltern ausgestattet.