Eine mögliche Sperrung des Messaging-Diensts Telegram wirft rechtliche und technische Probleme auf

Braune Kanäle

Die Rufe nach einer Sperrung des Instant-Messaging-Diensts Telegram werden hierzulande lauter, seit Rechtsextreme, Verschwörungsgläubige und die »Querdenken«-Bewegung ihn nutzen, um sich zu organisieren.
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Immer mehr Politiker fordern eine strengere Regulierung oder gar eine Sperrung des Instant-Messaging-Diensts Telegram in Deutschland – dar­unter zuletzt auch die Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Tatsächlich spielt die App hierzulande eine zentrale Rolle bei der Verbreitung von Verschwörungsmythen und rechtsextremer Propaganda. Zunächst wirkt Telegram recht friedlich: Die Mehrheit der Gruppen und Kanäle beschäftigt sich mit harmlosen Themen, tauscht Memes oder lustige Videos aus. Dazwischen finden sich Prominente, Influencer, Werbung und Links zu redaktionellen Inhalten diverser Medien, darunter freilich auch solche, die fake news verbreiten.

Das Bild ändert sich allerdings, betrachtet man die Liste der mitgliederstärksten deutschsprachigen Kanäle. Unter den ersten zehn, die im Schnitt knapp 100 000 Abonnenten haben, finden sich nur zwei unverfängliche: das Wirtschaftsmagazin Kryptokompass, das sich mit Kryptowährungen wie Bitcoin beschäftigt, sowie das »ZDF Magazin Royale« von Jan Böhmermann. Beide scheinen brachzuliegen, in den Kanälen wurde seit Monaten nichts mehr gepostet. Die weiteren acht sind in der einen oder anderen Form als rechtsextrem oder verschwörungstheoretisch einzustufen.

Der Messaging-Dienst Telegram ist unter anderem in Russland, China, Indonesien und der Islamischen Republik Iran gesperrt.

Derzeit steht mit fast 160 000 Abonnenten der ehemals für das Magazin Focus Money tätige Finanzjournalist Oliver Janich an der Spitze, der heutzutage in rechtspopulistischen Medien wie dem Blog »Politically Incorrect«, dem Magazin Compact oder beim Kopp-Verlag publiziert. Weiterhin finden sich unter den meistfrequentierten deutschsprachigen Kanälen eine Gruppe von Trump- und »Qanon«-Anhängern, Martin Sellner, der als Kopf der rechtsextremen »Identitären Bewegung Österreich« bekannt ist, oder auch ein Kanal namens »Wissen ist Macht das Original«, der inhaltlich der »Querdenken«-Bewegung nahesteht.

Daneben gibt es Hunderte kleinere Kanäle und Chatgruppen, etwa regionale »Querdenken«-Gruppen für zahlreiche Kleinstädte und Landkreise, in denen ständig Verschwörungspropaganda, Hetze, Umsturzphantasien und lokale Demonstrationsaufrufe gepostet werden. Die Hetze in diesen Gruppen ist ungehemmt. So fand der Journalist Jan-Henrik Wiebe, der im Auftrag der »Tagesschau« 230 Kanäle und Gruppenchats untersuchte, 250 Tötungsaufrufe unter anderem gegen Politiker, Medienleute und Wissenschaftler.

Dass Telegram für die rechte Szene so wichtig wurde, liegt auch an dem internationalen politischen Druck auf die etablierten Social-Media-Plattformen, die in Deutschland beispielsweise durch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) reguliert werden. Aufgrund dessen sperren beispielsweise Facebook oder Youtube immer mehr Accounts, die hetzen oder zu Gewalt aufrufen. Deren frühere Betreiber weichen auf kleine Plattformen wie Gab und Bitchute oder eben Telegram aus. Das ist ein Fortschritt, weil sie dort weniger Reichweite haben, aber trotzdem problematisch, denn hier sind sie unter sich und können sich ohne kritischen Einspruch gegenseitig radikalisieren.

Allerdings bleiben die Rechtsextremen und Verschwörungsideologen durchaus auch auf den großen Plattformen, wenn sie noch nicht gesperrt wurden, posten dort aber nur noch entschärfte Versionen der Texte und Videos. Diese enthalten dann oft die Aufforderung, auf die kleinen Plattformen zu folgen, wenn man »die ganze Wahrheit« erfahren möchte. Zugleich halten Verschwörungstheoretiker ihre Anhänger an, auf den großen Plattformen bestimmte Personen mit Hass und Hetze zu überziehen.

Eigentlich handelt es sich bei Telegram um einen Messenger wie Whatsapp; diese fallen nicht unter das NetzDG, dessen Vorgaben Telegram daher auch nicht einhält. Allerdings können Chatgruppen bis zu 200 000 Mitglieder und Kanäle unbegrenzt viele Abonnenten haben. Das Bundesamt für Justiz vertritt die Auffassung, Telegram sei kein reiner Messaging-Dienst, sondern ein soziales Medium, das dem NetzDG unterliegt. Deshalb laufen seit Mai vergangenen Jahres zwei Bußgeldverfahren gegen das Unternehmen, das diese jedoch ignoriert – weil Telegram offiziell in Dubai sitzt, gestaltete sich bereits die Zustellung der Mahnschreiben schwierig.

Der Gründer von Telegram, der russische Milliardär Pawel Durow, betreibt den Messaging-Dienst nach eigenen Angaben, um Rede- und Meinungsfreiheit international sicherzustellen. Telegram sperrt durchaus pornographische und terroristische Inhalte – aber eben nach eigenen Maßstäben, die sich nicht an staatlichen Vorgaben orientieren. Dabei unterscheidet die Plattform aber nicht zwischen Demokratien und Diktaturen. In der Vergangenheit hat Telegram auch eine positive Rolle gespielt und wurde etwa von der Demokratiebewegung in Hongkong sowie von Whistleblowern benutzt. Gesperrt ist Telegram unter anderem in Russland, China, Indonesien und der Islamischen Republik Iran. Mit diesen Staaten stünde Deutschland also in einer Reihe, würde der Zugriff auf Telegram auch hierzulande durch die Internetprovider gesperrt.

Ohnehin würfe eine solche Sperre technische und rechtliche Probleme auf. Technische, weil Telegram auf Cloudservern von Amazon und Google läuft, auf denen auch viele andere legale Dienste beheimatet sind. Und rechtliche, weil nur Dienste gesperrt werden können, deren Hauptzweck die Verbreitung illegaler Inhalte ist, was bei Telegram nicht der Fall ist. Deshalb gibt es den Vorschlag, den Messaging-Dienst aus den Appstores von Apple und Google zu verbannen. Das würde aber nicht die Menschen betreffen, die die App bereits installiert haben. Außerdem haben die Telegram-Server eine offene Programmierschnittstelle, die es anderen Anbietern oder Hackern ermöglicht, weitere Apps zu entwickeln, mit denen auf Telegram zugegriffen werden kann. Und würde Telegram verboten, stünde mit Matrix ein Ersatz bereit, der so dezentral und damit so unregulierbar ist wie der Versand von E-Mails.

Aber vielleicht ist der Versuch, Telegram zu sperren, auch sonst keine gute Idee. Denn dadurch, dass dort Rechtsextreme und Verschwörungstheoretiker recht offen kommunizieren, können diese auch gut von den Behörden beobachtet und ermittelt werden, was der Verfassungsschutz nach eigenen Angaben längst tut.