Die Debatte über Beihilfe zum Suizid

Immer Ärger mit dem Tod

Bundestagsabgeordnete aller Fraktionen außer der AfD haben sich für eine Neuregelung der Sterbehilfe zusammengetan. Ihr Gesetzentwurf ist streng und wird von Suizidhilfevereinen kritisiert.

Wenn die Herrschenden ein Thema partout nicht regeln wollen, dann versprechen sie parteiübergreifende Lösungen – und schieben das Thema damit auf die sprichwörtliche lange Bank. Seit einigen Monaten kann man diese Taktik bei der Debatte über eine allgemeine Impfpflicht gegen Sars-CoV-2 beobachten und schon seit Jahren bei der Frage, ob Sterbehilfe hier­zulande zulässig sein solle. Letzterer widmet der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP genau einen Satz: »Wir begrüßen, wenn durch zeitnahe fraktionsübergreifende Anträge das Thema Sterbehilfe einer Entscheidung zugeführt wird.«

Sterbehilfe ist ein hochumstrittenes Thema, das auch die Gerichte seit Jahren beschäftigt. Bereits 2010 urteilte der Bundesgerichtshof, dass ein Behandlungsabbruch nicht immer eine Tötung darstelle, sondern auch als »Sterbenlassen« beurteilt werden könne. Damals ging es um eine Frau im Wachkoma, deren Kinder – auf Anraten ihres Anwalts – den Schlauch der Magensonde durchschnitten. Im Jahr darauf beschloss der Deutsche Ärztetag eine Änderung seiner Berufsordnung dahin­gehend, dass eine Hilfe zur Selbsttötung für Ärzte nicht mehr erlaubt sei.

Einig sind sich hierzulande nahezu alle Beteiligten, dass nur Beihilfe zum Suizid geregelt werden solle. Von aktiver Sterbehilfe ist in den Debatten keine Rede.

Kurz zuvor hatte sich der Verein Sterbehilfe gegründet und für Aufsehen gesorgt, da er davon berichtete, Menschen beim Suizid assistiert zu haben. Auch einige Ärzte machten daraufhin ihre Beihilfe öffentlich. 2015 gab es dann eine umfassende Debatte im Bundestag, in deren Folge der Paragraph 217 des Strafgesetzbuchs (StGB) beschlossen wurde. Er verbot fortan die »geschäftsmäßige Förderung« der Selbsttötung. Suizidhilfevereine wie Dignitas oder Sterbehilfe konnten ihre Aktivitäten nicht mehr legal ausüben beziehungsweise mussten sie in die Schweiz ver­lagern.

Es stellte sich heraus, dass Sterbewillige so gut wie gar keine Hilfe mehr zum Suizid in Anspruch nehmen konnten und sich in die Illegalität gedrängt fühlten. Schwerkranke Menschen, Mediziner und ­Sterbehilfevereine legten Verfassungsbeschwerde ein. Das Bundesverfassungsgericht gab den Klägern 2020 recht: Das Verbot geschäftsmäßiger Beihilfe zum Suizid sei verfassungswidrig, es gebe ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben und auch auf Hilfe dazu.

Seitdem ist der Bereich weitestgehend ungeregelt. Paragraf 217 StGB ist nichtig und Sterbehilfevereine dürfen erneut Beihilfe zum Suizid leisten. Das gilt auch wieder für Ärzte, seit der Deutsche Ärztetag 2021 als Reaktion auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts das Verbot der Suizidbeihilfe in seiner Berufsordnung aufhob. Andererseits scheiterten kürzlich drei Kläger vor dem Oberverwaltungsgericht Münster. Die Richter urteilten Anfang Februar, dass schwerkranke Patienten mit Sterbewunsch keinen staatlich garantierten Anspruch auf das todbringende Medikament Natrium-Pentobarbital hätten.

Einig sind sich hierzulande nahezu alle Beteiligten, dass nur Beihilfe zum Suizid geregelt werden solle. Von aktiver Sterbehilfe ist in den Debatten ­keine Rede. Eine Gruppe von 15 Bundestagsabgeordneten, in der Mitglieder der Fraktionen von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und Linkspartei vertreten sind, hat Ende Januar einen neuen Gesetzentwurf vorgestellt. Die Abgeordneten stellten genaugenommen sogar zwei Anträge: Neben einer Neuregelung des Paragraphen 217 StGB wird die Bundesregierung in einem weiteren Antrag dazu aufge­fordert, »einen Gesetzentwurf zur Stärkung der Suizidprävention vorzulegen«.

Diese Zweigleisigkeit sei den Parlamentariern sehr wichtig. »Suizidgefährdete brauchen Hilfe und Beratung. Hier müssen Angebote dringend ausgebaut werden«, sagte der Bundestagsabgeordnete und Mitinitiator Lars Castellucci (SPD) der Jungle World. Er sehe die zunehmende Individuali­sierung der Gesellschaft und eine stetig zunehmende Arbeitsbelastung für den Einzelnen als eine Ursache für die Zunahme von psychischen Krankheiten und Krisen. »Wir haben deswegen beispielsweise auch den Aspekt ›Maßnahmen gegen Vereinsamung‹ mit in unseren Antrag aufgenommen«, so Castellucci.

Der Antrag zum Paragraphen 217 StGB will die geschäftsmäßige Hilfe zur Selbsttötung zwar nicht mehr verbieten, sie aber an strenge Regeln binden. Die Suizidhilfe solle grundsätzlich nur Personen über 18 Jahren zugänglich sein. Und in jedem Fall müsste ein umfangreiches Beratungsgespräch durch einen Facharzt beziehungsweise The­rapeuten geführt werden, zu dem auch Sucht- oder Schuldenberater hinzugezogen werden könnten. Darüber hinaus müssten zwei Sitzungen bei einem weiteren Facharzt für Psychiatrie oder Psychotherapie im Abstand von drei Monaten geführt werden. »Anstößige Werbung« für Suizidbeihilfe solle ver­boten werden. »Unser Vorschlag stellt besonders gefahrträchtige Angebote und die Werbung dafür unter Strafe. Anbieter von assistiertem Suizid sollen sich an prozedurale Sicherungsmechanismen wie zum Beispiel Wartefristen und Beratungspflichten halten«, sagte die Bundestagsabgeordnete und Mit­initiatorin Kirsten Kappert-Gonther (Bündnis 90/Die Grünen) der Jungle World.

Der Verein Sterbehilfe hat erwartungsgemäß eine andere Sicht auf die Debatte und den Antrag der fraktionsübergreifenden Gruppe. Der neueste Antrag sei »genauso verfassungswidrig« wie das alte Gesetz, sagt Jakub Jaros, der Geschäftsführer des Vereins Sterbehilfe, der Jungle World; die Antragsteller hofften einfach nur, »beim Verfassungsgericht mehr Glück zu haben als vor zwei Jahren«. Auch Florian Willet, der Sprecher des Suizidhilfevereins Dignitas, kritisiert im Gespräch mit der Jungle World den neuen Gesetzentwurf: »Suizidhilfe muss dringend eine finanzierbare Sache bleiben. Den Vorgang nicht nur bürokratisch, sondern auch durch Involvierung mehrerer Ärzte und ›Berater‹ aufzublähen, würde Suizidhilfe zu etwas machen, dass sich nur finanziell gepolsterte Personen leisten könnten.« Noch deutlicher wurde Michael Schmidt-Salomon, der Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung. Wegen der vorgesehenen Wartefristen warf er den Initiatoren in einer Pressemitteilung vor, eine »besonders barbarische Form des staatlichen Paternalismus« an den Tag zu ­legen.