Schülerinteressen werden bei der Coronapolitik ignoriert

Protest für Mündigkeit

Alle reden von Demokratieerziehung, doch in der Corona­politik werden Schülerinnen und Schüler und ihre Interessen systematisch ignoriert. Ihr Protest ist daher legitim, wie auch immer die Bewertung einzelner Forderungen ausfällt.
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Ja, sie reden miteinander. Endlich – möchte man hinzufügen. Die von Schülerinnen und Schülern ins Leben gerufene Initiative #WirWerdenLaut hat in einem offenen Brief Kritik am Umgang mit der fünften Coronawelle geäußert und den Regierungen vorgeworfen, sie im Stich zu lassen. Die Initiative fordert bessere Infektionsschutzmaßnahmen an Schulen, mehr schulpsychologische Unterstützung und eine Verkleinerung des Prüfungsstoffs für Abschlussjahrgänge. Damit haben sie sich Gehör verschafft. Von Markus Lanz über die Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK) Karin Prien (CDU) bis hin zu Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) wollen sich auf einmal alle mit jenen treffen, die – wie immer wieder betont wird – mit am meisten unter der Pandemie gelitten haben: den Schülerinnen und Schülern.

Doch auch der Shitstorm ließ nicht auf sich warten. Der Philosoph Jörg Phil Friedrich unterstellte den Initiatoren in der Welt, »im verschwörungstheoretischen Ton von einem ›Durchseuchungsplan‹ und von der Gefährdung ihrer Gesundheit, als ob sie von der Pest bedroht wären«, zu sprechen. Der Bildungsjournalist Jan-Martin Wiarda schlug mit seinem Text »Wer redet da eigentlich?«, den er Anfang Februar auf seinem Blog veröffentlicht hatte, einen ähnlichen Ton an. Er raunte, so ganz allein hätten die Schülerinnen und Schüler den Aufruf wohl nicht verfasst. Wenige Tage später revidierte er das, zeigte sich aber auch entsetzt über den Hass, der ihm entgegenschlug. Karin Prien wiederum traf sich in der vergangenen Woche mit der Bundesschülerkonferenz und weiteren Vertreterinnen und Vertretern der Schülerschaft. Es sei ein konstruktiver Austausch gewesen, sagte sie, und gestand ein, dass die Schülerinnen und Schüler zu Recht forderten, »rechtzeitig gehört zu werden«.

Eine banale Feststellung, möchte man meinen. Sie zeigt aber deutlich auf, wo das Hauptdefizit liegt: Trotz aller Betonung der Wichtigkeit einer »Erziehung zur Demokratie« wird das Gespräch mit den Adressaten dieser Bildung – den Schülerinnen und Schülern – oft vergessen. So hatte beispielsweise die Schülervertretung in Mecklenburg-Vorpommern schon zu Beginn der zweiten Welle einen Plan für den Präsenzunterricht ausgearbeitet. Eine Antwort hat sie vom zuständigen Ministerium nie bekommen. Das sollte sich bei der Kampagne #WirWerdenLaut ändern. Die KMK kann nicht ernsthaft von sich behaupten, dass sie die »Motivierung von Schülerinnen und Schülern, Mitwirkungsmöglichkeiten einzufordern und tatsächlich wahrzunehmen« – wie sie sich vornimmt –, wirklich fördert. Zwar gibt es bundesweit Programme, die die »Stärkung der Demokratieerziehung« zum Gegenstand haben. Doch wenn es um handfeste Entscheidungen geht, bleiben die Schüler so lange ungefragt, bis sie dagegen protestieren. Die Bundesschülerkonferenz formuliert es sehr höflich und recht zurückhaltend: Die Einbeziehung in Entscheidungsfindungen sei in den vergangenen zwei Jahren auf einem »nicht zufriedenstellenden Niveau« erfolgt. Diese Kritik müsste man doch als KMK oder Bundesbildungsministerin annehmen können.

So wichtig das Treffen von Karin Prien und auch das von Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) mit Vertretern von #WirWerdenLaut am Freitag vergangener Woche war, es sollte nicht damit sein Bewenden haben. An dem Punkt haben die Ini­tiatoren schlichtweg recht – es wurde zu lange über sie statt mit ihnen gesprochen. Zu oft noch werden Schülerinnen und Schüler wie in der Videokolumne »Frag den Rabe« des Hamburger Schulsenators Ties Rabe in »Sendung mit der Maus«-Manier von oben herab belehrt, anstatt sie als mündige Gesprächspartner in einer demokratischen Auseinandersetzung anzuerkennen. Dass dies anders wird, bleibt hoffentlich von der Kampagne #WirWerdenLaut.