Die Reden der Bundesregierung zum Ukraine-Krieg

Die Solidarität der Herrschenden

Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine zauderte die Bundesregierung zunächst. Am Sonntag verkündete Kanzler Olaf Scholz dann eine »Zeitenwende« und eine enorme Aufrüstung der Bundeswehr.
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»Das ukrainische Volk und seine frei gewählte Regierung haben unsere volle Solidarität«, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Donnerstagabend der vorigen Woche in einer Fernsehansprache. Am Morgen desselben Tags hatte Russland seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen. Doch die »volle Solidarität« sollte nach dem Willen der Bundesregierung keine Waffe sein, jedenfalls keine Waffenlieferungen an die Ukraine beinhalten. Sie war zu diesem Zeitpunkt ein Lippenbekenntnis, verbunden mit einigen Sanktionen gegen Russland, die sich größtenteils daran orientierten, dem Standort Deutschland möglichst wenig zu schaden.

Die aus Sicht der Bundesregierung wohl drastischste Entscheidung hatte man bereits zwei Tage zuvor getroffen. Nachdem Russland die sogenannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk anerkannt hatte, stoppte die Bundesregierung die Zertifizierung der Gaspipeline Nord Stream 2 – »vorerst«, wie Wirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) betonte. Andere schwerwiegende Sanktionen, wie etwa den Ausschluss russischer Banken vom Zahlungssystem Swift, lehnte die Bundesregierung hingegen zunächst ab. Mit teilweise hanebüchenen Begründungen: So sagte Außen­ministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) am Freitag voriger Woche, dass beispielsweise »eine Enkelin«, die »in Europa lebt (und) ihrer Großmutter Geld überweisen muss«, von dieser Sanktion sehr hart getroffen würde.

Erst am Samstag, nach allen anderen westlichen Verbündeten und, wie vielfach berichtet wurde, nur unter enormem Druck der Bündnispartner, stimmte die Bundesregierung einem Swift-Ausschluss einiger russischer Banken zu. Ausgenommen sind davon unter anderem jene Banken, die benötigt werden, um Energielie­ferungen zu bezahlen, und solche, bei denen Russland große Schulden hat.

Auch gegen Waffenlieferungen an die Ukraine verwehrte sich die Bundesregierung bis Samstag, selbst gegen solche, die andere Staaten vornehmen wollten. So blockierte die Bundesregierung ­zunächst eine von den Niederlanden geplante Lieferung von 400 Panzerabwehrwaffen aus deutscher Produktion an die Ukraine. Bis zu diesem Zeitpunkt konnte man sich des Eindrucks nicht ­erwehren, dass die Bundesregierung hoffte, die Ukraine möge schnell fallen, damit man wieder zu geregelten Verhältnissen mit Russland zurückkehren könne. Trotz »unserer vollen Solidarität« mit der Ukraine.

Am Sonntag fand dann eine Sondersitzung des Bundestags statt und Kanzler Scholz gab eine Regierungserklärung ab, in der er ­Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine »eine Zeitenwende in der Geschichte unseres Kontinents« nannte. »Viele von uns haben noch die Erzählungen unserer Eltern oder Großeltern im Ohr vom Krieg«, sagte Scholz, und er wisse »genau, welche Fragen sich die Bürgerinnen und Bürger in diesen Tagen abends am Küchentisch stellen«. Kommt der Russe wieder? Doch diesmal stehe Deutschland »auf der richtigen Seite der Geschichte«. Zu so viel Pathos gehört auch ein bisschen Geschichtsklitterung. Am Sonntag verkaufte Kanzler Scholz das Einknicken der Bundesregierung, nachdem der Druck der Verbündeten zu groß geworden war und die Ukraine zu lange durchgehalten hatte, als »klare Antwort«, die man ohne Zögern gegeben habe.

Scholz fuhr fort: »Wir brauchen Flugzeuge, die fliegen, Schiffe, die in See stechen, und Soldatinnen und Soldaten, die für ihre Einsätze optimal ausgerüstet sind. Darum geht es, und das ist ja wohl erreichbar für ein Land unserer Größe und unserer Bedeutung in Europa.« Um dies zu gewährleisten, solle ein »Sondervermögen Bundeswehr« eingerichtet und noch in diesem Jahr mit zunächst 100 Milliarden Euro ausgestattet werden. Außerdem werde die Bundesregierung »von nun an Jahr für Jahr mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in unsere Verteidigung investieren«. Das »Sondervermögen« solle gar im Grundgesetz festgeschrieben werden. Für diese Rede gab es im Bundestag standing ovations von den Abgeordneten der Fraktionen von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP. Es fehlte nur noch, dass sie spontan das Deutschland-Lied angestimmt hätten.

In Zukunft wird einiges anders laufen. Noch am Sonntagabend stellte Wirtschaftsminister Habeck eine längere Laufzeit deutscher Atomkraftwerke in Aussicht. Verschiedene CDU-Politiker fordern bereits, die Aussetzung der Wehrpflicht zu beenden – das tun sie zwar regelmäßig, aber nun könnten sie damit Erfolg haben. Schließlich gehen mit der Wehrpflicht auch viele billige Arbeitskräfte für den sozialen Sektor einher, die sogenannten Zivildienstleistenden. Und der soziale Sektor dürfte bald einen noch größeren Bedarf nach billigen Arbeitskräften haben als ohnehin. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) sagte am Montag im »Morgenmagazin« der ARD: »Wir werden in den nächsten Jahren alle öffentlichen Ausgaben priorisieren müssen.« Gleichzeitig schloss Lindner Steuererhöhungen kategorisch aus.

Nicht ausgeschlossen, dass es erneut eine Bundesregierung unter Beteiligung von SPD und Bündnis 90/Die Grünen ist, die den Sozialstaat hierzulande weiter abbaut. Das ist seit dem Wochenende keine kühne Behauptung mehr, sondern nahezu unausweichlich, um nicht zu sagen »alternativlos«. Aber, und auch das scheint unausweichlich, diese Bundesregierung wird den Betroffenen ­bestimmt wieder die »volle Solidarität« zusichern.