Deutschland kauft weiter Gas und Öl aus Russland und finanziert dadurch indirekt dessen Aggression

Putins fossile Kriegskasse

Kaum ein Land Europas ist so abhängig von russischem Gas und ­russischer Kohle wie Deutschland. Auch zukünftig sollen Energielieferungen von Sanktionen ausgenommen werden.

Jahrzehntelang galten russische Gas- und Kohlelieferungen in Deutschland nicht nur als einträgliches Geschäft, sondern wurden geradezu als Garant für Frieden und Stabilität gepriesen. Innerhalb weniger Tage hat sich diese Annahme als großer Irrtum erwiesen. Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine denkt die Bundesregierung fieberhaft darüber nach, wie sie sich aus der Abhängigkeit bei der Energieversorgung lösen kann.

Wenige Länder in Europa sind in ­einem so hohen Maße auf Gaslieferungen aus Russland angewiesen wie Deutschland. Im vergangenen Jahr machte Erdgas etwas mehr als ein Viertel des gesamten Energieverbrauchs hierzulande aus, und mehr als die Hälfte davon kam aus Russland. Auch bei den beiden anderen wichtigsten Energieimporten ist die Bundesrepublik auf Russland angewiesen: 50 Prozent der in Deutschland verfeuerten Kohle wird in Russland gefördert, 35 Prozent des Erdöls kommen aus russischen Quellen.

Durch den Krieg sind die Energie­preise drastisch gestiegen – die Invasion erhöht also sogar die Ex­port­­­einnahmen, mit denen Russland den Krieg finanzieren kann.

Russland wiederum finanziert seinen Staatshaushalt und damit auch seine Kriegsführung wesentlich aus Rohstoffexporten. Etwa 600 Millionen Dollar nimmt das Land damit täglich ein. Allein die EU-Länder kauften 2020 in Russland Gas, Öl und Kohle für umgerechnet 67 Milliarden Dollar – eine Summe, die höher ist als der russische Verteidigungsetat. Durch den Krieg gegen die Ukraine sind die Energiepreise im globalen Maßstab drastisch gestiegen. Die Invasion erhöht also sogar die Exporteinnahmen, mit denen die Regierung in Moskau ihren Krieg finanzieren kann. Bloomberg zufolge importierte die EU allein am 2. März Erdgas aus Russland im Wert von 689 Millionen Euro – ein historischer Höchstwert. Wer Russland stoppen will, müsste daher die Rohstoffexporte beenden oder wenigstens reduzieren. Es hätte starke Auswirkungen in Deutschland, wenn Russland Gaslieferungen etwa durch die Pipeline Nord Stream 1 einstellen würde – damit drohte am Montag der russische Vizeregierungschef Aleksandr Nowak. Allerdings ist es äußerst fraglich, ob Russland auf die Einnahmen aus dem Gasgeschäft überhaupt verzichten könnte.

Verhältnismäßig leicht könnte Europa hingegen die Öllieferung drosseln. Eine ganze Reihe erdölproduzierender Staaten könnte als Ersatz einspringen, darunter Saudi-Arabien und die USA. So denkt die US-Regierung derzeit laut ­darüber nach, mit den europäischen Verbündeten »auf koordinierte Weise die Aussicht auf ein Verbot der Einfuhr von russischem Öl zu prüfen«, wie US-Außenminister Antony Blinken am Wochenende auf CNN erklärte. Bundeskanzler Scholz teilte am Montag jedoch in einer Pressemitteilung mit, er lehne einen Importstopp von russischem Öl und Gas ab.

Wesentlich dramatischer ist die Abhängigkeit von den russischen Gaslieferungen. Erdöl kann in großen Mengen in Tankschiffen geliefert werden, unabhängig davon, wo es produziert wird. Im Gegensatz dazu ist die Gasversorgung überwiegend von Pipelines abhängig – ein Umstand, der die Zahl der Lieferanten drastisch einschränkt. Alternativ könnte man auf Flüssiggas (LNG) zurückgreifen, das ebenfalls in Tankschiffen geliefert werden kann. Die meisten europäischen Länder haben in den vergangenen Jahren eigene Importterminals aufgebaut, um LNG per Schiff beziehen zu können. Deutschland verzichtete jedoch darauf, solche Projekte zu fördern. Stattdessen forcierte es den Bau der Ostseepipeline Nord Stream 2.

Mittlerweile sind zwar LNG-Anlagen geplant, doch bis diese fertiggestellt sind, werden noch mehrere Jahre vergehen. Einer Untersuchung des Marktforschungsinstituts ICIS zufolge, über die das Handelsblatt berichtete, könnten, falls Russland kein Erdgas mehr liefen würde, nur 40 Prozent des europäischen Gasbedarfs durch Flüssiggas gedeckt werden, selbst wenn alle verfügbaren Terminals komplett ausgelastet würden. Hinzu kommt, dass bei der Förderung von Flüssiggas und dem anschließenden Transport um die halbe Welt enorme ­Mengen an CO2 freigesetzt werden.

Einen sofortigen Stopp der Gaslieferungen aus Russland will die Bundesregierung daher unbedingt vermeiden. Die Finanzsanktionen der EU gelten nur für wenige Banken und explizit nicht für jene, die Deutschlands Zahlungen an russische Gaskonzerne abwickeln. Die Regierung in Berlin will sich dadurch Zeit erkaufen, die sie auch dringend braucht. »Die vergrößerte Abhängigkeit von Russland, die in den letzten zehn, fünfzehn Jahren bewusst aufgebaut wurde, kann nicht in wenigen Tagen oder drei Monaten komplett verändert werden«, sagte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vergangene Woche. Wahrscheinlich wird Deutschland ein Energieembargo der EU gegen Russland sogar verhindern. »Ich würde mich nicht für ein Embargo russischer Importe von fossilen Energien einsetzen. Ich würde mich sogar dagegen aussprechen, weil wir damit den sozialen Frieden in der Republik gefährden«, meinte Habeck.

Während die Bundesregierung faktisch ausschließt, die Laufzeit von Atomkraftwerken zu verlängern, sieht sie beim Thema Kohleausstieg offenbar mehr Spielraum. »Das ist der Preis, den auch wir für diesen Krieg von Herrn Putin zahlen«, sagte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) am Sonntag. Derzeit gilt noch das Jahr 2038 als Ende der Frist für den Kohleausstieg. Der Koalitionsvertrag sieht zwar vor, das Enddatum »idealerweise« auf 2030 vorzuziehen. Es ist aber fraglich, wie realistisch solche Pläne noch sind. Weil ein abrupter Ausstieg aus der Nutzung fossiler Brennstoffe nicht möglich erscheint, sollen nun die »Freiheitsenergien«, wie Finanzminister Christian Lindner (FDP) die grünen Energiequellen nach der russischen Invasion im Bundestag pathetisch nannte, schneller ausgebaut werden. »Wir werden noch mal den Turbo anschmeißen und Maßnahmen vorschlagen, die ­Geschwindigkeit zu erhöhen«, sagte Habeck.

Anders als bei Kohle- oder Atomkraftwerken lassen sich Kapazitäten für Wind- und Solarenergie auch kurzfristig schnell ausbauen. Nun sollen 2030 schon 80 Prozent des in Deutschland verbrauchten Stroms aus erneuerbaren Energiequellen stammen. Im Jahr 2035 sollen es dann bereits nahezu 100 Prozent sein. Eine entsprechende Novelle des Erneuerbare-Energien-­Gesetzes soll schon in den kommenden Monaten vom Bundestag verabschiedet werden. Um den gegenwärtigen russischen Krieg in der Ukraine zu beeinflussen, kommen diese Maßnahmen freilich viel zu spät.