Nicht alle, die aus der Ukraine fliehen, können auf unkomplizierte Aufnahme in der EU hoffen

Zweierlei Schutz

Geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer sollen in der EU unkompliziert aufgenommen werden. Für Flüchtende ohne ukrainischen Pass gibt es bislang keine gemeinsame Sonderregelung. Schwarze Menschen berichten von rassistischer Behandlung an ukrainischen Grenzübergängen.

Als wäre alles nicht schlimm genug, tauchten im Strom all der grauenhaften Bilder aus der Ukraine bereits einige Tage nach Beginn des russischen Angriffskriegs auch solche auf wie eines vom Bahnhof im westukrainischen Lwiw: Ein völlig überfüllter Bahnsteig, verzweifelte Menschen vor einem am Gleis stehenden Zug, davor bewaffnete Soldaten, die den Zugang versperren. Der Zug fährt ab, zurück bleibt ungläubig und verzweifelt eine Gruppe schwarzer Menschen, inmitten ihrer Taschen und Koffer.

Oder ein Video, das in einer Polizeistation im polnischen Przemyśl aufgenommen worden sein soll. Dort befindet sich einer der wichtigsten Grenzübergänge zur Ukraine, aus der seit Kriegsausbruch Hunderttausende Menschen ins Land gekommen sind. Die meisten dürfen sich ungehindert weiterbewegen. Nicht jedoch ein junger Schwarzer in einem weißen Kapuzenpulli. Drei Polizisten in Tarnhosen überwältigen ihn und führen ihn ab.

In Polen, Deutschland, Tschechien und der Slowakei dürfen Flüchtende die Züge kostenlos nutzen – aber nur, wenn sie einen ukrainischen Pass haben.

Millionenfach verbreiteten sich solche Clips in den Tagen nach dem Kriegsausbruch in den sozialen Medien. Über die konkreten Umstände lässt sich wenig sagen, doch in der Summe ist der Befund eindeutig: Wer nicht weiß ist, hat auf der Flucht die größten Schwierigkeiten. In der Ukraine werden people of color daran gehindert, Züge zu besteigen, an der Grenze zu Polen werden sie nicht oder nur nach sehr langen Wartezeiten durchgelassen. An den Grenzübergängen zur Slowakei allerdings kamen schwarze ­Menschen durch, ohne behindert zu werden.

Unter dem Hashtag #AfricansIn­Ukraine berichten Betroffene von den Schikanen. Etwa 16 000 afrikanische Studierende lebten nach Angaben der südafrikanischen Botschaft dort. Die Nachrichtenagentur AFP sprach mit Studierenden am Grenzübergang Schehyni an der Grenze zu Polen. Dort standen am Dienstag vergangener ­Woche Hunderte Menschen aus Pakistan, Indien, Algerien, Kongo, Kamerun, Ghana und Algerien und warteten in einer Schlange darauf, passieren zu dürfen. Einige gaben an, es sei bereits die vierte Nacht im Freien gewesen; die Temperaturen erreichten minus zehn Grad. Eine zweite Warteschlange auf der anderen Straßenseite sei laut AFP für Ukrainer reserviert gewesen – hauptsächlich Frauen und Kinder. Diese Schlange habe sich schneller bewegt. »Weil wir Ausländer sind, behandeln sie uns wie Hunde«, zitiert AFP Mesum Ahmed, einen 23jährigen Informatikstudenten aus Pakistan: »Wir ­haben hier auf dem Bürgersteig geschlafen, aber den Ukrainern ist das völlig egal.«

Die Afrikanische Union (AU) schaltete sich ein. ­Deren Vorsitzender, Senegals Präsident Macky Sall, und der Vorsitzende der Kommission der AU, Moussa Faki Mahamat, schrieben in einer gemeinsamen Stellungnahme vom 28. Februar, sie seien »besonders beunruhigt« über Berichte, wonach afrikanischen Bürgern das Recht verweigert werde, die Grenze zu überqueren. Diese unterschiedliche Behandlung sei »schockierend rassistisch« und verstoße gegen das Völkerrecht.

Auch das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR kritisierte dies vergangene Woche auf Twitter: »Da die Zahl der Flüchtlinge, die aus der Ukraine fliehen, stündlich steigt, ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Aufnahmeländer weiterhin alle Menschen aufnehmen, die vor Konflikten und Unsicherheit fliehen – ungeachtet ihrer Nationalität und Abstammung (im Original race).«

Die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland reagierte mit »Fassungslosigkeit, tiefem Befremden und absolutem Entsetzen auf die Verweigerungen der Grenz­polizei, Schwarze Menschen, unter ihnen afrikanische Studierende, die EU-Grenze zur Ukraine überqueren zu lassen«, hieß es in einer Stellungnahme. »Diese Diskriminierung verdeutlicht einmal mehr die Wirkungsmacht von Anti-Schwarzem-Rassismus bis hinein in humanitäre Notlagen.«

In Polen, Deutschland, Tschechien und der Slowakei dürfen Flüchtende zwar die Züge kostenlos nutzen – aber nur, wenn sie einen ukrainischen Pass haben. Organisationen wie Solibus und Afrique-Europe-Interact schickten deshalb Busse an die ukrainische Grenze, um people of color abzuholen.

Die Berichte über den Rassismus auf der Fluchtroute fielen in jene Tage, in denen die EU über die Aufnahme der schon jetzt enormen Zahl aus der ­Ukraine Fliehender beriet. Schon früh zeichnete sich ab, dass es für sie eine sehr großzügige Aufnahme geben würde: Aufenthaltserlaubnis mit vollen Rechten – ohne Asylverfahren.

Die EU-Kommission wollte auch jene Flüchtende in den Mechanismus einschließen, die keinen ukrainischen Pass haben. Doch nicht alle EU-Staaten zogen mit. Am 3. März, dem Tag der entscheidenden Ratssitzung, sagte Österreichs Innenminister Gerhard Karner (ÖVP), sein Land habe wie Polen, die Slowakei und Ungarn Bedenken, solchen Menschen gleichwertigen Schutz zu ­gewähren. »Wir brauchen rasche, unbürokratische Hilfe für ukrai­nische Kriegsflüchtlinge«, so Karner. »Da hilft es nicht, wenn wir Drittstaatsangehörige mit einbeziehen.«

Die EU aktivierte eine bisher noch nie genutzte Richtlinie aus dem Jahr 2001, die nach den Balkankriegen geschaffen worden war. Vor allem für ukrainische Staatsangehörige greift nun ein Schutzmechanismus, unter dem diese ohne Asylantrag aufgenommen werden. Das Bundesinnenministerium veröffentlichte ein Dokument zur Umsetzung des Beschlusses in Deutschland. Darin heißt es, die Menschen könnten eine Aufenthaltserlaubnis für ein bis drei Jahren erhalten, sie erhielten Krankenversicherung, eine Unterkunft, Sozialleistungen und Zugang zum Arbeitsmarkt »gemäß nationaler Arbeitsmarktpolitik«, gewährt werde außerdem das Recht auf Bildung und Schulbesuch.

Flüchtende ohne ukrainischen Pass sollen nach Ankunft in der EU in ihre Herkunftsländer gebracht werden, mit denen die EU in Kontakt treten will. Was aber geschieht mit jenen, die nicht in ihre Herkunftsländer zurückkehren können, zum Beispiel weil sie bereits aus diesen geflohen sind oder aus Kriegsgebieten stammen? Die EU-Mitgliedstaaten können für diese Personengruppe entweder die gleiche Regelung wie für Ukrainerinnen und Uk­rainer anwenden – also Aufnahme ohne Asylverfahren – oder sie wie normale Flüchtlinge behandeln. Dann könnten sie einen regulären Asylantrag stellen, und zwar nur im Land der registrierten Einreise in die EU; also wohl in Polen, der Slowakei, Ungarn oder Rumänien.

Bis zum Montag waren 1,8 Millionen Menschen aus der Ukraine geflohen, die UN rechnen mit weiter stark steigenden Zahlen. Laut einer Umfrage des ARD-Deutschlandtrends vom ­Donnerstag vergangener Woche finden 91 Prozent der Befragten die Aufnahme vom Flüchtlingen aus der Ukraine richtig.

Eine Sonderregelung soll es in Deutschland für Jüdinnen und Juden aus der Ukraine geben. Seit 1991 gewährt Deutschland als »Geste der Versöhnung« jüdischen und von Juden ­abstammenden Zugewanderten aus den Nachfolgestaaten der UdSSR einen ­Status als sogenannte Kontingentflüchtlinge; der Zugang zu diesem Status wird aufgrund des Kriegs vereinfacht. Das berichtete Ende vergangener Woche die Welt. »Ziel ist, dass Menschen jüdischer Abstammung und Religionszugehörigkeit aus der Ukraine in Deutschland unter erleichterten Bedingungen und unter Beteiligung der jüdischen Gemeinden an dem Ver­fahren der jüdischen Zuwanderung teilnehmen können«, sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums. »Grund für die Erleichterungen sind die kriegsbedingte Aussetzung des regulären Verfahrens über die Botschaft in Kiew, die humanitäre Lage in der Ukraine sowie Deutschlands historische Verantwortung.«