Small Talk mit Elisabeth ­Gernhardt von Terre des Femmes über sogenannte Ehrenmorde

»Streng patriarchale Strukturen«

Zwei Brüder sollen ihre Schwester Maryam H. im Juli vergangenen Jahres wegen ihres »zu westlichen« Lebensstils getötet haben, unter anderem habe sie sich den Vorschriften ihrer Brüder widersetzt. Die Afghanin lebte mit ihren zwei Kindern in Berlin. Anfang März begann der Prozess gegen die mutmaßlichen Täter. Die »Jungle World« sprach mit Elisabeth Gernhardt von der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes über den Fall.
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Als der Fall bekannt wurde, sagte die damalige Berliner Inte­grationssenatorin Elke Breitenbach (Linkspartei): »Das ist kein Ehrenmord, das ist ­Femizid.« Was war das Problem an dieser Aussage?

Auch wenn unzweifelhaft jeder Mord, der begangen wird, einer zu viel ist – ungeachtet der Bezeichnung –, ist es aus unserer Sicht wichtig, die Taten beim Namen zu nennen, um deren Vorkommen aufzuzeigen und somit fundiert an den möglichen Ursachen und Hilfesystemen zu arbeiten.

Warum sprechen Sie von »sogenannten Ehrenmorden«?

Es ist uns wichtig, den Begriff »Ehre« und »Ehren«-Mord in Anführungszeichen zu setzen oder von »sogenannten Ehrenmorden« zu sprechen, um deutlich zu machen, dass wir uns von diesen Ehrvorstellungen selbstverständlich distanzieren.

Der Freund der ermordeten Maryam H. sagte vor Gericht zu dem älteren Angeklagten: »Wenn du Ehre hast, Afghane bist, ein Mann bist – dann steh auf und sag, was du gemacht hast.« Ist das ein ­anderer Ehrbegriff?

Das ist ein interessanter Ausspruch und zeugt davon, wie unterschiedlich bedeutungsschwere Begriffe wie »Ehre« aufgeladen sein können und wie wichtig es ist, darüber auch in Hinblick auf Präventionsarbeit zu sprechen. Beispielsweise gehen wir derzeit mit unserem Schultheaterprojekt »Mein Herz gehört mir« an Berliner Schulen, um tradierte Denk- und Verhaltensmuster spielerisch zu hinterfragen.

Der Freund der ermor­deten Maryam H. sagte auch aus, sie sei eine sehr religiöse Frau gewesen. Die Brüder haben sie aber mutmaßlich wegen ihrer »westlichen Lebensweise« ermordet. Wie passt das zusammen?

Gewalt im Namen der Ehre, Zwangsverheiratungen, sogenannte Ehrenmorde – die zugrundeliegenden teils rigiden Moral- und Verhaltensvorstellungen sind weniger in religiösen als vielmehr in streng patriarchalen Strukturen begründet. Das bedeutet, innerhalb der jeweiligen Gemeinschaft gibt es scheinbar klar ausgehandelte und tradierte Rollenbilder mit entsprechenden Verhaltensvorstellungen, an die sich ­jeder und jede zu halten hat. Weicht insbesondere die Frau davon ab, kann sich das Familienkollektiv zum Handeln gezwungen sehen, um die sogenannte Familienehre wiederherzustellen.

Sie zählen Ehrenmorde auch zu den Femiziden und fordern einen eigenen Straftatbestand Femizid. Aber es gibt auch Ehrenmorde an Männern, beispielsweise an Schwulen. Gehören die in eine andere Kategorie?

In der Tat ist genau das ein Argument dafür, den ­Begriff »Ehrenmord« weiterhin zu verwenden. Einer Studie des BKA aus dem Jahr 2011 zufolge waren 43 Prozent der untersuchten Ehrenmordopfer männlich. Ähnliches spiegelt sich auch in unserer jährlichen Recherche stattgefundener oder versuchter Ehrenmorde.

Bezogen auf Femizide fordern wir eine Strafverschärfung nach der Istanbul-Konvention. Femizide, die im Zusammenhang mit einer Trennung stehen, werden bislang häufig nicht als Mord, sondern als Totschlag verurteilt und folglich mit einer geringeren Strafe belegt.