»Klassische antiziganistische Vorurteile«
Was ist in jener Nacht in Mannheim passiert?
Etwa zwei Dutzend Personen wurden von ehrenamtlichen Helfern in die dafür vorgesehenen Räumlichkeiten im Bahnhof begleitet. Mitarbeiter von »DB Sicherheit« sagten daraufhin Zeugenaussagen zufolge, dass »diese Leute nicht bleiben« dürften. Man habe die Erfahrung, dass ansonsten Lebensmittel geklaut und alles dreckig hinterlassen werde. »Diese Klientel« habe erst kürzlich »die Hütte leergeräumt«. Weil es sich bei den Familien angeblich nicht um ukrainische Geflüchtete handeln würde, wurde die Polizei verständigt. Die Familien hatten keine Möglichkeit, anzukommen und nach langer Reise auszuruhen. Später konnten die Betroffenen dank des Einsatzes der Helfer in die örtliche zentrale Erstaufnahmestelle gebracht werden.
Wie geht es den Betroffenen?
Sie sorgen sich um in der Ukraine verbliebene Angehörige. Sie berichten, bereits in der Ukraine von anderen Flüchtenden in den Schlangen an der Grenze zurückgedrängt worden zu sein. Am Bahnhof Mannheim waren sie klassisch antiziganistischen Vorurteilen ausgesetzt. Schon während der Auseinandersetzung war eine weitere ukrainische Familie eingetroffen, die vom DB-Sicherheitspersonal gar nicht weiter beachtet wurde.
Was sagt die Deutsche Bahn?
Bereits am 24. März gab es ein Gespräch mit allen beteiligten Organisationen. Die ehrenamtlichen Helfer schilderten, sich bedroht gefühlt zu haben. Öffentlich spricht die Bahn von »Missverständnissen«, auch hinsichtlich der Frage, weshalb den Familien keine Hotelgutscheine ausgestellt worden seien. Sind die Aufenthaltsräume überbelegt, ist dies das gewöhnliche Vorgehen. Gegenüber den Bahnhofshelfern und dem VDSR hat sich die Bahnhofsleitung für den Vorfall entschuldigt und Sensibilisierungsmaßnahmen zum Thema Antiziganismus für ihre Mitarbeitenden in Aussicht gestellt. Uns wurde glaubhaft vermittelt, dass der Bahn nicht daran gelegen ist, in der Behandlung von Geflüchteten Unterschiede zu machen.
Wie stellt sich die Situation für Roma in der Ukraine dar?
In der Ukraine gibt es genauso wie in Russland eine starke rechte Szene. In den vergangenen Jahren kam es in einigen Landesteilen immer wieder zu Übergriffen und Vertreibungen. Organisationen der Roma leisten derzeit humanitäre Hilfe – nicht nur für Roma, sondern für alle Menschen. Tausende Roma sind in der ukranischen Armee und den territorialen Selbstverteidigungseinheiten im Einsatz. Viele andere sind auf der Flucht und erleben dabei Antiziganismus, auch in Deutschland. Oft erhalten sie nicht die gleiche Hilfe wie andere Geflüchtete, werden segregiert oder ihnen wird der Zugang zu Bussen und Zügen verwehrt. Ihnen wird vorgeworfen, nur zu kommen, weil es etwas umsonst gebe. An einigen Bahnhöfen wurde auch über gewalttätige Übergriffe berichtet. Zudem gibt es Roma in der Ukraine, denen keine Papiere ausgestellt wurden. Die Flucht ist für sie dementsprechend besonders schwierig.